Was für viele nach Hokuspokus, unnahbar, irreal und vielleicht sogar verrückt klingt, ist für Michael Schneider aus Siegburg bei Bonn in Nordrhein-Westfalen tägliches Brot: Er erhält Eingebungen durch seine innere Stimme und gab diese Hinweise bei Vermisstenfälle schon öfters an die Polizei weiter. Auch im Fall der vermissten 26-Jährigen Scarlett im Bereich des Schluchtensteigs schaltete er sich ein. Und: Er schickte Privatpersonen auf die Suche. Wie geht die Polizei damit um und wie entstehen eigentlich solche Eingebungen? Ein Einblick in eine für uns völlig fremde Welt.

Kommt bei jedem Fall vor

„Es kommt bei jedem öffentlichkeitswirksamen Vermisstenfall und Kapitalverbrechen vor, dass wir Hinweise von Hellsehern erhalten“, sagt Mathias Albicker, Sprecher der Polizei im Kreis Waldshut. So sei es auch im Fall der vermissten 26-Jährigen gewesen, die sich auf eine Wanderung auf den Schluchtensteig begab. Zudem habe sich ein Anwender eines Pendels in diesem Fall bei der Polizei gemeldet.

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Doch wie geht die Polizei eigentlich mit solchen Hinweisen um? Dazu möchte Albicker nicht viel sagen. Nur so viel: „Die Hinweise werden behandelt wie jeder andere auch.“ Das heißt konkret, sie würden bewertet, mit den aktuellen Ermittlungsergebnissen abgeglichen und dann werde entschieden, wie man damit umgehe. Dem ersten Hinweis von Michael Schneider war die Polizei nachgegangen. „Wir sind um jeden Hinweis froh“, so Albicker. Die Ermittlungen im Fall der vermissten Wanderin hat mittlerweile die Kriminalpolizei Paderborn übernommen, denn der Wohnort der Vermissten liegt in deren Zuständigkeitsbereich. Auch deren Pressesprecher möchte auf Anfrage des SÜDKURIER keine Aussage zum Umgang mit solchen Hinweisen machen.

Doch wie kam es überhaupt zu dem Hinweis von Michael Schneider?

Es war am Montag, 14. September 2020. Michael Schneider aus Siegburg gab in der Internet-Suchmaschine Google das Wort „Vermisst“ ein. Das mache er nach eigenen Angaben öfter. Dabei erfuhr er von dem Vermisstenfall im Südschwarzwald. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch Informationen, dass die Vermisste zuletzt in St. Blasien gewesen wäre. Als nächstes fragte Schneider sich selbst und dann kam sie: Die Eingebung, wie er sagt. „Dabei höre ich meine eigene innere Stimme, die mir Sätze sagt, ganz ohne nachzudenken“, erklärt Schneider. „Ich bin also eigentlich kein Seher, sondern hellhörig.“

Dann folgte der nächste Schritt: Der 50-Jährige versuchte seine Eingebung zu untermauern. Dazu schnappte er sich die Landkarte, nahm das gesamte Gebiet in den Blick. Dabei würden dann sein Auge oder die Finger auf einer Stelle stehenbleiben, erklärt er. Die Stelle am Montag war Dachsberg, nahe der Loipenhütte des Skiclubs St. Blasien. Die Koordinaten schickte er der Polizei. Dieser Eingebung ging die Polizei auch nach. Aber ohne Erfolg.

Schneider freut es, dass die Polizei seinem Hinweis nachgegangen war, ist aber auch enttäuscht, dass sie die anderen Hinweise von ihm nicht mehr berücksichtigt hätte. Auch wenn er in der Zwischenzeit einige andere Koordinaten an die Polizei übermittelt hatte, bleibt er heute wieder bei seiner ersten Eingebung. Er ist selbstkritisch und sagt: „Manchmal verhöre ich mich“. Heute geht er nicht davon aus, dass die Vermisste noch auf dem Schluchtensteig zwischen Todtmoos und Wehr ist. „Im Wehratal suchen sie falsch“, sagt er.

Der Seher vermutet ein Verbrechen

Seher Schneider hat zwei Hypothesen. Hier käme nun seine Ratio ins Spiel, wie er sagt. Die Erste: Dass die Vermisste von Todtmoos Richtung St. Blasien zurückgegangen sei. Die Zweite und dies halte er für wahrscheinlicher: Dass die Vermisste Opfer eines Verbrechens wurde.

Zivilleute auf die Suche geschickt

Die Polizei hat vorerst die Suche nach der 26-Jährigen eingestellt. Erst wenn neue Hinweise vorliegen, wird erneut gesucht. Doch der Hellseher aus Siegburg gibt nicht auf. Er hat inzwischen Privatleute in der Region angerufen und ihnen seine Eingebungen durchgeben. Dort gehen sie auf die Suche. Wenn es nötig ist, seilen sie sich dazu sogar von steilen Hängen ab. Am Dienstagnachmittag waren zum Beispiel Privatleute in Dachsberg unterwegs. Und was sagt die Polizei zu solch eigenmächtigen Suchaktionen? „Das Verlassen der gekennzeichneten Wanderwege ist in weiten Teilen des Suchgebietes verboten, darauf weisen wir hin“, sagt der Waldshuter Polizeisprecher Mathias Albicker dazu.

Will beweisen, dass es möglich ist

Michael Schneider nennt sich Seher, nicht Profiler. Schon die Endspiele der Fußball-WM oder die Finanzkrise habe er nach eigenen Angaben vorausgesagt. Bei vielen bekannten Vermisstenfällen, unter anderem dem von Caroline Gruber in Endingen oder der Studentin Maria Ladenburger in Freiburg, sei er nach eigenen Angaben richtig gelegen. Wenn er an den Fall Gruber denkt, werde er wütend. Damals habe die Polizei nicht erwähnt, dass die Hinweise von einem Hellseher gekommen wären. „Ich finde es mittelalterlich, wie mit mir umgegangen wird“, sagt Schneider.

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Seine Arbeit sei geprägt von seiner Gläubigkeit an Gott. Er wolle bei der Vermisstensuche vor allem den Angehörigen helfen. In vielen Fällen melden diese sich direkt bei ihm mit der Bitte um Unterstützung. Und: „Ich will auch beweisen, dass so etwas möglich ist“, sagt Schneider. Seit 2006 ist er ehrenamtlich in der Vermisstensuche aktiv. Auch vermisste Tiere sucht er. Nach eigenen Angaben war er zuvor sieben Jahre Polizeireporter beim Privatfernsehen.

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