Verena Pichler

Seit 25 Jahren arbeitet Kämmerer Udo Düssel für die Stadt Rheinfelden, in sechs Wochen endet seine Dienstzeit. Eine so dramatische Lage wie im Moment wegen der Corona-Pandemie hat er noch nie erlebt. Auf ihn, seine Nachfolgerin und das gesamte Team kommen nun intensive Wochen zu. Denn die Stadt muss einen Nachtragshaushalt aufstellen. Was das bedeutet und wie sich die Finanzlage der Stadt entwickeln wird, hat Düssel auf Anfrage dieser Tageszeitung erklärt.

Die Ausgangslage

Die Finanzkrise trifft die Stadt Rheinfelden doppelt hart. Denn bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte sich die Konjunktur eingetrübt und die Verwaltung mit dem Gemeinderat einen sparsamen Haushalt aufgestellt. „Dann kam die gewaltige Gewerbesteuerrückzahlung“, erklärt Düssel. Diese wurde nun im März fällig, vier Millionen Euro sind damit weg. „Die tat schon richtig weh, aber wir hätten es verkraften können“, so der Kämmerer.

Udo Düssel
Udo Düssel | Bild: Peter Gerigk

Die Konsequenzen der Corona-Krise treibe die Stadt aber über die Kante: Die Einnahmen brechen dramatisch weg, während die Ausgaben hoch bleiben. „Ich kann ja nicht einfach die Verträge über Gaslieferungen für städtische Gebäude kündigen“, nennt er ein Beispiel. Täglich erreichen die Verwaltung derzeit Anträge von Gewerbetreibenden auf Stundung der Steuerzahlungen. „Fünf bis sechs Anträge pro Tag, über Summen von bis zu 30.000 Euro. Das macht im Monat eine Million Euro, die wir nicht einnehmen“, rechnet Düssel vor. Den genauen Anteil, der bei der Einkommensteuer wegbricht, kennt Düssel noch nicht. „Aber das wird erheblich sein.“ Auch fehlen der Stadt Einnahmen durch Gebühren. Er rechnet mit einem Minus in zweistelliger Millionenhöhe. Da schwerlich neue Einnahmen generiert werden können, müssen Ausgaben gesenkt werden. Deshalb wird ein Nachtragshaushalt aufgestellt, der das Defizit nur abmildern wird.

Der Nachtragshaushalt

Meistens wird ein Nachtragshaushalt aufgestellt, wenn eine größere Investition ungeplant ansteht oder ein Projekt aus dem Ruder läuft und mehr Geld benötigt wird. Dieser Nachtrag wird aufbereitet, begründet – vielleicht auf 20 Seiten – und im Haushaltswerk „nachgetragen“. Nun aber kommt auf die Ämter und den Gemeinderat fast ein neuer Haushalt zu. Düssel schätzt, dass bis zu 300 Seiten zusammenkommen, da jedes Amt seine Positionen überprüfen wird, um Sparpotenziale auszumachen. „Es geht nicht um Kürzen, sondern um heftiges Einsparen.“

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Der Gemeinderat wird sich noch vor der Sommerpause in einer Klausurtagung damit befassen. „Die strukturellen Auswirkungen, etwa bei Personalkosten oder Abschreibungen, schlagen sich erst in den Folgejahren nieder.“ Auf der hohen Kante – sogenannte liquide Mittel – hat die Stadt noch 28 Millionen Euro. „Natürlich könnte ich mit dem Geld die Löcher stopfen“, sagt Düssel. Aber die Stadt hat mittelfristig ein Investitionsprogramm von 40 Millionen Euro aufgelegt. „Jeder Euro, den ich nun entnehme, fehlt dann.“

Die Prognose

Wie Oberbürgermeister Klaus Eberhardt in der jüngsten Gemeinderatssitzung erklärte, wird es seitens des Bundes oder Landes kein Geld „auf die Hand“ für die Kommunen geben. „Es werden aber wohl Investitionsprogramme aufgelegt“, so der OB. Dennoch müsse die Stadt gemeinsam mit dem Gemeinderat nun reagieren. „Zunächst geht es jetzt darum, für den Haushalt 2020 einen rechtmäßigen Zustand herzustellen“, so Düssel. Im Herbst steht die Beratung des nächsten Jahres an – und hier müssten strukturelle Entscheidungen getroffen werden. Denn noch sei nicht absehbar, ob und in welchem Umfang sich die wirtschaftliche Lage der Stadt wieder erholt.

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„Pendeln wir uns auf dem Niveau von 2019 ein oder 2020?“ Mit Interesse habe Düssel die Diskussionen über die Kindergartenbedarfsplanung verfolgt. „Aber haben wir für diese Pläne das Geld? Und können wir uns die 37-Prozent-Quote bei der Betreuung von unter Dreijährigen überhaupt noch leisten?“, fragt Düssel. Um diese Fragen muss es in der Zukunft gehen. Denn für Düssel steht fest: Wenn Stadt und Gemeinderat nichts tun, dann müsse man in fünf Jahren darüber diskutieren, das Freibad zu schließen, um einen Kindergarten zu erhalten. „Eine große Kita fährt pro Jahr das gleiche Defizit ein wie das Freibad“, erklärt Düssel die gewaltigen Ausgaben der Stadt.

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Während diese Entscheidungen politisch sind, orientiert sich die Kämmerei an den Zahlen. Udo Düssel ist froh, mit seiner Nachfolgerin Kristin Schippmann jemanden an Bord zu haben, der bereits zweimal einen Nachtragshaushalt aufgestellt habe und sich damit auskenne. Auch die Stimmung im Team und unter den Mitarbeitern sei gut.

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Er selbst habe sich seinen Abschied in den Ruhestand zum 1. Juli anders gewünscht. Schwierige Zeiten hat Düssel während seiner Dienstzeit immer wieder erlebt. „Rheinfelden war immer eine arme Stadt, nur die letzten Jahre fielen durch Rekordeinnahmen aus dem Rahmen.“ Aber so eine Situation habe er noch nie erlebt. „Das ist wirklich dramatisch.“