Schopfheim Claudia Tatsch leitet seit 2017 das Theodor-Heuss-Gymnasium (THG) Schopfheim mit rund 1200 Schülern. Immer treu an ihrer Seite ist ihr Hund Helgi. Tatsch hatte den Labrador als Schulbegleithund mitgebracht, Helgi erfreute sich bei vielen Schülern über die Jahre großer Beliebtheit.
Frau Tatsch, zum Schuljahresende ist Schluss. Wie ist denn so Ihre Gefühlslage? Macht sich da schon Vorfreude oder Wehmut oder sowas bemerkbar?
Claudia Tatsch: Es ist eine ambivalente Geschichte. Auf der einen Seite freue ich mich darauf, etwas Neues zu beginnen, und mal ohne den Druck auszukommen, der hier doch vorhanden ist. Auf der anderen Seite werde ich die Menschen vermissen, die ich hier kennengelernt habe, sowohl die Großen als auch die Kleinen. Der Alltag besteht aus vielen Kontakten und Gesprächen, sei es persönlich oder digital. Dieser dichte Kontakt wird mir sicherlich fehlen.
Sie haben damals gesagt, dass Sie sich auch deshalb für Schopfheim entschieden haben, weil das Miteinander in einer Landschule anders sei als in einer Großstadt, wo sie vorher Schulleiterin waren. Hat sich diese These bestätigt?
Tatsch: Im Nachhinein würde ich sagen, dass es zwei sehr unterschiedliche Schulen sind, sowohl von der Gesamtsituation als auch vom Miteinander. Die Schülerschaft hier ist meines Erachtens heterogener. Das Helmholtz in Karlsruhe war eher eine Mittelstandsschule mit vielen Kindern von Akademikern und Künstlern. Hier in Schopfheim gibt es eine Mischung aus ländlichen Strukturen und städtischen Einflüssen. Zudem haben wir immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund, was diese Heterogenität weiter verstärkt.
Was meinen Sie mit Heterogenität?
Tatsch: Wir haben zum Teil Kinder aus dem Kleinen Wiesental oder aus ländlichen Regionen, die sehr bodenständig sind. Und dann haben wir diesen städtischen Bereich. Da haben wir Eltern, die zum Teil sehr viel Einfluss nehmen wollen. Und dann haben wir jetzt immer mehr auch Kinder mit Migrationshintergrund, deren Eltern nochmal ganz andere Vorstellungen haben. Wir haben osteuropäisch geprägte Eltern, die sind sehr ehrgeizig, was ihre Kinder angeht. Dann haben wir auch viele, die der italienischen Community angehören, wo die Eltern sehr umsorgend sind. Und dann gibt es auch viele Familien, wo die Eltern gar kein Deutsch sprechen, bei denen die Kinder dann übersetzen müssen. Das ist nochmal eine neue Herausforderung. Aber das Ganze ist jetzt nicht eine Schopfheimer Spezialentwicklung. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Aufwachsbedingungen der Kinder einfach geändert.
Inwiefern spielt Corona noch eine Rolle?
Tatsch: Für uns Erwachsene scheint Corona schon lange her zu sein, aber für die Schüler hat es nachhaltige Auswirkungen. Viele Kinder kämpfen mit psychischen Problemen, die durch die Pandemie und die damit verbundenen familiären Bedingungen entstanden sind. Wir haben hier kein ausreichendes psychiatrisches Netz, um das aufzufangen. Der Bedarf an Schulsozialarbeit ist enorm gestiegen.
Wie ist die Schule aktuell aufgestellt? Stichwort Schülerzahlen.
Tatsch: Bei den Schülerzahlen waren wir gespannt, ob das neue G9 eine Veränderung bringt. Das ist bis jetzt nicht der Fall. Wir haben 146 Anmeldungen, genauso wie im letzten Jahr. Dabei waren Prognosen der Stadt noch von 200 Schülern ausgegangen. Man hatte uns vorhergesagt, dass wir aus allen Nähten platzen würden. Im Moment sieht es so aus, als ob der Gewinner der flächendeckenden G9-Einführung die Sekundarschulen sind, also die Gemeinschaftsschulen und Realschulen. Ob das nur jetzt so ist oder auch ein Ergebnis der neuen verbindlicheren Grundschulempfehlung, weiß ich nicht.
Und baulich?
Tatsch: Wenn es bei diesen Schülerzahlen bleibt, also einer verlässlichen Fünfzügigkeit, und es keine Ausschläge gibt wie in der Vergangenheit, würde es einigermaßen gehen. Wobei wir die Container trotzdem brauchen. Alternativ dazu wäre eine Aufstockung des Zwischenbaus – ein Wunsch von uns. Wenn man die Container vom Hof hätte, müssten wir nicht mehr den Sportplatz als Pausenhof nutzen. Aber ich denke, die Haushaltslage gibt einen Aufbau nicht her.
Aktuell kommt ja noch eine weitere Einschränkung hinzu: Weil unklar ist, ob die Mensa den Brandschutzvorschriften entspricht, können sie diese nur stark eingeschränkt nutzen.
Tatsch: Für uns bedeutet das natürlich eine enorme Einschränkung. Weniger wegen der Mensa, weil wir ja gar nicht mehr so viel Essen haben, sondern einfach, weil wir die Mensa als Aufenthalts- und Veranstaltungsraum brauchen. Der Plan ist jetzt wohl, eine Heißprobe zu machen, also zu testen, ob der Brandschutz die geforderten 30 Minuten standhält.
Wie steht es um die Lehrerversorgung?
Tatsch: Im Vergleich zu anderen Schulen, die vor Lehrern fast überfließen, haben wir tatsächlich Bedarf, insbesondere im Fach Kunst. Wir haben freischaffende Künstlerinnen im Angestelltenverhältnis, die wir gerne behalten möchten. Insgesamt sind wir aber gut betreut und versorgt vom Regierungspräsidium, auch wenn es Herausforderungen gibt wie Elternzeiten und die Rückkehr von Lehrkräften, die eher im Raum Freiburg wohnen und lieber dort eine Stelle finden würden.
Sind Schüler heute motivierter oder schwerer zu unterrichten als früher?
Tatsch: Das kann man nicht generell sagen. Die Interessen der Schüler verändern sich, und der Abstand zu ihren Interessen wird für mich als älter werdende Lehrkraft größer. Junge Kollegen haben da einen besseren Draht. Positiv ist das Engagement der SMV, die sich sehr für das Miteinander einsetzt. Allerdings fehlt manchmal das selbstverständliche Engagement, das ich früher kannte.
Sie sind auch Historikerin. Wie bewerten Sie, dass das Fach Geschichte stundenmäßig unter die Räder gekommen ist?
Tatsch: Ich halte es für problematisch, da Geschichte wichtig ist, um die Wurzeln unserer Demokratie zu verstehen. Schülern fehlt oft das Bewusstsein für historische Ereignisse und deren Bedeutung. Es wäre wichtig, solche Themen immer wieder aufzugreifen.
Inwiefern wird das Thema Handy immer bestimmender?
Tatsch: Wir haben ein Handyverbot, aber die Digitalisierung macht es schwierig, ein konsequentes Verbot durchzusetzen. Lehrer nutzen ihre Geräte oft selbst, was widersprüchlich wirkt. Es ist ein Dauerthema und wir arbeiten noch an der bestmöglichen Lösung. Es ist wichtig, eine Variante zu finden, die dann auch von allen an der Schule mitgetragen wird und von der alle sagen: Das ist unser Weg.
Was lief besonders positiv in den letzten acht Jahren?
Tatsch: Wir haben viel im Bereich Unterrichtsentwicklung und Digitalisierung erreicht. Unser IKT-Team hat hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben Lernentwicklungsgespräche eingeführt und sind Teil eines Projekts zum adaptiven Lernen. Das Miteinander im Kollegium und mit der Schulleitung ist wirklich sehr gut.
Wenn Sie drei Wünsche für das Gymnasium freihätten, welche wären das?
Tatsch: Erstens ein Nachfolger, der gut zu dieser Schule passt. Zweitens, dass die SMV ihr Engagement aufrechterhält und dieses Miteinander auf Schülerebene weiterhin gut läuft. Und drittens: Abgesehen von der Lehrerversorgung, mehr Unterstützung vom Regierungspräsidium in schwierigen Situationen. Aber da bräuchte es wohl schon einen ganz besonderen Zauberstab.