Tiengen – Für sicheren, bezahlbaren Wohnraum steht seit 100 Jahren die Baugenossenschaft Tiengen. Ihren runden Geburtstag feierte sie mit einem Festakt im katholischen Pfarrsaal Tiengen, der von der Sängerin Eloise Ueber musikalisch begleitet wurde. Rund 70¦Gäste hat die Vorsitzende Dagmar Bodmer begrüßt. Unter ihnen waren Mieter, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, Vertreter von Handwerksbetrieben, mit denen die Baugenossenschaft zusammenarbeitet und Iris Beuerle, Direktorin des Landesverbands baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Beuerle, die Aufsichtsratsvorsitzende Ingrid Eble und Oberbürgermeister Martin Gruner hielten Ansprachen.
Dagmar Bodmer, Vorsitzende und Geschäftsführerin der Baugenossenschaft Tiengen, ließ in Kurzinterviews den langjährigen Mieter Bruno Bastianelli, den Malermeister Michael Przybylski und den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Müller zu Wort kommen. Die Möglichkeit, mitzubestimmen, mitzudenken und mitzugestalten, nannte Müller als gute Gründe, Mitglied der Baugenossenschaft Tiengen zu werden.
Die gegenwärtige Situation beim Bauen und Wohnen, die Herausforderungen und die besondere Rolle, die Baugenossenschaften dabei zukommt, kamen an diesem Abend ebenfalls zur Sprache. Iris Beuerle fasste die Entwicklungen zusammen: „So schwierig wie es im Moment ist, war es noch nie.“ Sie verwies auf immens gestiegene Bau- und Baunebenkosten, hohe bürokratische Hürden, fehlende Handwerker, ausbleibende Fördergelder von Bund und Land und forderte einfacheres und schnelles Bauen und Bürokratieabbau. Auch die Kommunen müssten dafür das Ihrige tun, sagte sie.
Dass Baugenossenschaften in diesen schwierigen Zeiten Wohnungen mit Mieten weit unter dem durchschnittlichen Mietspiegel anbieten könnten, begründete sie damit, dass Gewinne nicht abfließen, sondern reinvestiert würden. Ähnlich waren Kritik und Forderungen der Aufsichtsratsvorsitzenden der Baugenossenschaft Tiengen, Ingrid Eble. Mit Blick auf die Gründungsversammlung 1924, drückte Eble die Hoffnung aus, dass der Genossenschaftsgedanke, verlässlich qualitativ guten und bezahlbaren Wohnraum anzubieten, auch in der Zukunft Früchte tragen wird. Sie hob das gute Miteinander der Baugenossenschaft Tiengen mit den anderen Waldshut-Tiengener Baugenossenschaften hervor und dankte den Mitgliedern.
Oberbürgermeister Martin Gruner verwies mit Blick auf die geäußerten Forderungen auf begrenzte Möglichkeiten der Kommunen durch gesetzliche Vorgaben. Er nannte die Baugenossenschaft Tiengen einen wichtigen Akteur auf dem heimischen Wohnungsmarkt: „In der heutigen Zeit, in der Wohnraum knapp und für viele Menschen kaum noch bezahlbar ist, kommt einer gemeinnützigen Baugenossenschaft eine enorme städtebauliche und sozialpolitische Bedeutung zu.“ Mit angeregten Gesprächen bei Häppchen und Getränken endete der Festakt für 100 Jahre Baugenossenschaft Tiengen.
Die Genossenschaften und die Idee dahinter
- Geschichtlicher Hintergrund: Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch gelten als Gründungsväter der Genossenschaftsidee in Deutschland. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Genossenschaften in Deutschland. Not und Armut der Arbeiterschaft im Zuge der industriellen Revolution und Notlagen nach Kriegen waren früher vielfach Anlass für Gründungen. Genossenschaften dienen bis heute auf der Grundlage von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und solidarischem Miteinander dem Wohlergehen und den Bedürfnissen der Mitglieder in ihrem jeweiligen Bereich. Neben Baugenossenschaften sind beispielsweise Genossenschaftsbanken weit verbreitet.
- Die Baugenossenschaft Tiengen: Die Baugenossenschaft Tiengen wurde am 24. März 1924 im Hotel „Ochsen“ in Tiengen gegründet. Preisgünstiges bauen, sanieren und das Anbieten bezahlbarer Wohnungen waren und sind ihr Ziel. 1926 entstand das erste Mehrfamilienhaus in der Tiengener Zeppelinstraße 5, mit dessen Sanierung dieses Jahr begonnen werden soll. Insgesamt hat die Baugenossenschaft Tiengen 33 Gebäude mit 165 Wohnungen, 43 Garagen und 81 Stellplätze im Bestand. 229 Menschen leben in den Wohnungen, insgesamt zählt die Genossenschaft 306 Mitglieder. Weitere Informationen im Internet unter www.bg-tiengen.de
- Weitere Baugenossenschaften: In Waldshut-Tiengen gibt es vier Baugenossenschaften. Neben der in Tiengen gibt es die 1950 gegründete Föfa Waldshut-Tiengen, den 1909 entstandenen Bauverein Waldshut und ebenfalls in Waldshut die noch recht junge Woge Gartenstraße. (ufr)