Vieles wurde in den vergangenen Jahren geleistet, um die Stadt Waldshut-Tiengen in Sachen Elektromobilität voranzubringen. Doch Potenziale gibt es noch eine ganze Menge. So lautet das Fazit des Abschlussberichts einer Analyse, die Basis für das weitere Vorgehen der Stadt in Sachen Elektromobilität sein soll. Das konkrete Konzept für die Umsetzung des Mobilitätskonzepts sieht ein Vorgehen mit Augenmaß vor, was im Gemeinderat auf großen Anklang stieß. Eine wichtige Vorbedingung für den Ausbau der Infrastruktur wird aber auch der flächendeckende Ausbau des Stromnetzes sein, um die erweiterten Anforderungen überhaupt bedienen zu können. Nach Einschätzung von Oberbürgermeister Martin Gruner wird dafür mit einem dreistelligen Millionenbetrag, verteilt auf mehrere Jahre zu rechnen sein.
Was haben die Experten unternommen?
Mit der Erstellung des Elektromobilitätskonzeptes hatte die Stadt das Energieunternehmen Badenova beauftragt, die das Planwerk über einen Zeitraum von anderthalb Jahren in Zusammenarbeit mit Hauptamtsleiter Norbert Bodmer und dem städtischen Klimamanager Nicolai Müller erarbeitet haben. Im Dezember 2023 wurde die Arbeit abgeschlossen.
Untersucht wurden laut der Projektleiterin E-Mobilität bei Badenova, Caroline Pollmann, zwei Aspekte: der städtische Fuhrpark und die Ladeinfrastruktur. Ausgehend von den Erkenntnissen sei ein Maßnahmenportfolio abgeleitet worden, wobei Pollmann betont: „Es ging darum, Potenziale zu ermitteln, nachdem bereits eine Reihe von Projekten und Initiativen gestartet wurden.“ Die nun vorgelegten Projektvorschläge seien in erster Linie als „Handlungsleitfaden“ für die nächsten Jahre zu verstehen.
Wie sieht die aktuelle Lage aus?

Als „sehr gut“ schätzt Pollmann den Bestand an öffentlichen Ladepunkten im Stadtgebiet ein. Ermittelt worden seien 32 öffentliche Ladesäulen, davon sechs Schnellladestationen. „Damit kann der Bedarf bis etwa 2027 gedeckt werden“, so Pollmann.
Allerdings räumte sie ein, dass es sich hier nur um den rechnerischen Bedarf handle. Weder seien aktuelle Bestandszahlen für zugelassene Elektrofahrzeuge zugrunde gelegt werden, noch seien die Schweizer Einkaufstouristen in der Bedarfsanalyse berücksichtigt, schildert Pollmann auf Nachfrage von Claudia Hecht (SPD).
Was den Fuhrpark der Stadt anbelangt, habe der Gemeinderat ohnehin schon 2021 einen Auftrag an die Verwaltung erteilt, bei Ersatzbeschaffungen möglichst auf Elektrofahrzeuge zu setzen, so Norbert Bodmer. Es zeige sich aber, dass dies gerade im Nutzfahrzeuge-Segment nur begrenzt möglich sei.
Welche Maßnahmen leiten die Experten aus den Erkenntnissen ab?
Caroline Pollmann stellte ein Maßnahmenbündel vor, das sechs Schritte umfasst. Im Bereich des städtischen Fuhrparks seien inzwischen drei Elektrofahrzeuge im Einsatz. Insgesamt umfasst der Bestand 72. Bis 2028 böte sich an, 25 Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge zu ersetzen, weil ohnehin Neubeschaffungen zu tätigen seien: „Dadurch ließe sich der CO2-Ausstoß um 43 Tonnen pro Jahr senken – also ein Drittel der jetzigen Emissionen“, so Pollmann.
Weitere Maßnahmen im Bereich Fuhrpark seien der Aufbau einer geeigneten Ladeinfrastruktur am jeweiligen Standort der Fahrzeuge. Beim Besuch einer aus Landesmitteln geförderten Roadshow sollen Mitarbeiter direkte Information über Möglichkeiten zum Einsatz von Lastenfahrrädern erhalten.
Was die Ladeinfrastruktur betrifft, sei in den nächsten Jahren mit einem drastisch steigenden Bedarf ann Ladesäulen zu rechnen. Hier bringen die Experten drei Szenarien für den Ausbau des Ladenetzes ins Spiel, mit unterschiedlicher Gewichtung von Normalen- und Schnelllade-Anlagen. Abhängig vom Szenario soll die Zahl der Ladestationen auf 60 bis 93 Anlagen erhöht werden.
„Es ist zu erwarten, dass 15 Prozent der Ladungen an öffentlichen Stationen erfolgen. Zu 85 Prozent werden Autos zu Hause aufgeladen“, so Pollmann weiter. Daraus resultiere ein besonders hoher Bedarf im Bereich der Innenstädte. Deshalb wurden hier auch bereits 16 potenzielle Standorte für solche Anlagen ermittelt, erklärt Pollmann. Ein wesentlicher Faktor soll aber auch die Öffentlichkeitsarbeit sein.
Wie steht es mit der Stromversorgung?
Ob die vorhandenen Leitungskapazitäten für den geplanten Ausbau der Ladeinfrastruktur ausreiche, lautete die drängende Frage von Stadtrat Harald Ebi (FDP). Und tatsächlich tue sich hier perspektivisch ein großes Handlungsfeld auf, wie Pollmann darstellte.
Laut OB Gruner werde deutschlandweit in den nächsten gut 20 Jahren massiv in den Netzausbau investiert werden müssen, um die steigenden Anforderungen durch zunehmende Elektrifizierungen erfüllen zu können: „Über den Daumen gepeilt kalkulieren Experten mit 5000 Euro pro Bürger.“ Auf die Stadtwerke kämen damit Investitionen von 125 Millionen Euro zur Ertüchtigung des städtischen Stromnetzes zu – freilich verteilt auf mehrere Jahre.
Wie steht der Gemeinderat zum Mobilitätskonzept?

Die Ratsmitglieder reagierten fraktionsübergreifend aufgeschlossen auf die dargestellte Planung. Harald Würtenberger (FW) lobte vor allem den „analytischen Ansatz“, der auch berücksichtigte, dass noch längst nicht alle Fahrzeuge durch Elektroantrieb ersetzt werden könnten.
Petra Thyen (Grüne) plädierte in diesem Zusammenhang zugleich auch für einen Ausbau des Car-Sharing-Angebots, indem mehr Fahrzeuge im Stadtgebiet platziert werden. Dass laut Norbert Bodmer bereits im aktuellen Haushalt erste Vorhaben eingeplant seien, wertete sie als positiv.
Nathalie Rindt (CDU) zeigte sich überzeugt, dass die Sanierungsplanungen der Innenstädte von Waldshut und Tiengen enorme Potenziale bieten, wenn es um den Ausbau des Ladenetzes geht.
Claudia Linke (Grüne) gab derweil zu bedenken, dass zum einen eine Parallelplanung zum Ausbau von regenerativen Energien in der Stadt erstellt werden müsse: „Sonst macht das alles keinen Sinn.“ Außerdem gelte es auch zu überlegen, „ob wir in den Innenstädten ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Stromtank-Touristen wollen.“
Martin Gruner warnte indes davor, schon jetzt das Mobilitätsverhalten und die Trends von in zehn Jahren antizipieren zu wollen. Gleichzeitig stellte er auch klar: „Wir können es uns nicht erlauben, jetzt nichts zu tun, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.“