Das kennt jeder: Man räumt auf oder sucht was und schaut dabei mal genauer in bestimmte Ecken und Schränke und findet etwas längst Vergessenes – so war es kürzlich auch im Pfarramt der evangelischen Christusgemeinde Tiengen: Dort lagerten über Jahrzehnte 20 kleine Kartons mit dem Firmenaufdruck E.F. Walcker Ludwigsburg und darüber kaum mehr lesbar, die Angabe verschiedener Musiktitel.

„Es war klar, dass die Streifen mit Musik zu tun hatten, aber niemand wusste etwas konkretes“, so Pfarrerin Susanne Illgner. In den Kartons sind jeweils rund 30 Zentimeter lange Lochstreifenrollen, die nicht nur geistliche Musik, sondern auch Opernarien, beispielsweise aus Mozarts Zauberflöte und Wagners Tannhäuser, gespeichert haben.
Mittlerweile sind die Lochstreifen in Großgartach bei Heilbronn, denn in der dortigen evangelischen Lorenzkirche steht mit einer Organola das passende Instrument zum Einlegen der Lochstreifen. Bis es soweit war, musste einige Recherchearbeit geleistet werden. Das engagierte Gemeindemitglied Klaus Ebel nahm die Sache in die Hand. Nach Auskünften der Firma Walcker und dank Verbindungen einer Tiengener Familie konnte schließlich in Großgartach eine der selten gewordenen Walcker-Organola-Orgeln gefunden werden.
Es handelt sich dabei um Orgeln, in die mit Lochstreifen funktionierende, halbautomatische Orgelspielapparate eingebaut wurden. Die evangelische Christuskirche hatte bei ihrer Einweihung 1906 eine solche Orgel. Mitte der 1960er Jahre wurde sie durch eine neue ersetzt. Übrig geblieben sind die Lochstreifen. Da man mit ihnen ohne das passende Instrument nichts anfangen kann, wurde beschlossen, sie als Dauerleihgabe der evangelischen Gemeinde in Großgartach zu überlassen.

Mit den 20 kleinen Kartons im Gepäck, fuhren Pfarrerin Susanne Illgner, Klaus Ebel und der Organist der Christusgemeinde, Klaus Bürger, Anfang Juni nach Großgartach. Dort trafen sie in der Lorenzkirche den Organisten Andreas Benz, einen Kenner der Organola. Die drei Tiengener konnten zu ihrer großen Freude endlich hören, was für schöne Musik in ihren Lochstreifen steckt. Andreas Benz musste nur die Registrierung und das Tempo vorgeben, den großen Rest „erledigte“ die Organola mittels Drucklufttechnik. „Man merkte keinen Unterschied, es klang echt im Ohr wie wenn ein Organist spielt“ so Klaus Ebel.
Im Herbst ist eine erneute Fahrt nach Großgartach geplant, um die Übergabe der 20 Lochstreifenrollen in einem offiziellen Rahmen zu feiern. Zusammen mit zwölf eigenen, kann die Organola in der Lorenzkirche jetzt mit insgesamt 32 Lochstreifen „gefüttert“ werden, nur vier davon sind identisch. Nach Aussage von Klaus Ebel führt der Notenrollenkatalog der Firma Walcker von 1914 insgesamt nur 302 verschiedene Stücke.