Das ist ein Waldshuter Erzähler über einen Waldshuter Erzähler. Zwischen den beiden Veröffentlichungen im Alb-Bote liegen 137 Jahre. Dass sich diese besondere Konstellation ergeben hat, liegt an dem in Rüßwihl, Gemeinde Görwihl, beheimateten Kommunalpolitiker und stellvertretenden Schulleiter der Kaufmännischen Schule in Waldshut Norbert Lüttin (54). Beziehungsweise an einem Zufall, der ihm in die Hand gespielt hatte. Ernst und Marlene Rüd, die Seniorenwirte des Gasthofs „Lamm“ in Rüßwihl, übergaben ihm 2018 einen Jahresband des Alb-Bote vom 2. Januar 1883, damals als Gratis-Beilage veröffentlicht – ein Erbstück, das in Lüttin einen interessierten Abnehmer fand.
In dem Band enthalten war „Eine Volksgeschichte aus dem vorigen Jahrhundert“ von Alexander Würtenberger (geboren 1854 in Dettighofen, dort 1933 gestorben). Dessen Beitrag begann mit einem Vorbericht, in dem er die politische Gestaltung der alten Grafschaft Hauenstein mit ihren acht Einungen beschrieb. Erst danach setzte seine Geschichte ein. Die eigentlich eine Liebesgeschichte ist. Deren Verfasser hat sie in die Handlungen des ersten Salpeteraufstandes (1725 bis 1730) gebettet. Sie trägt auch zum Verständnis der damaligen Aufstände bei. „Diese Kombination von Geschichte und Roman hat mich fasziniert“, erzählt Norbert Lüttin. Alles, was Würtenberger geschrieben hat, sei wissenschaftlich belegt, sagt er. „Die Geschichte stimmt“, fügt er hinzu, „nur im romantischen Teil hat er getrickst“. Getrickst insofern, als es für die Romanze keinen Beleg gibt.

Nun hat Norbert Lüttin daraus den Hotzenwaldroman „Salpeterer“ in einer Auflage von 800 Exemplaren im Salpeterer-Verlag, einem Eigenverlag, drucken lassen. Dabei handelt es sich um ein über 280 Seiten starkes Buch mit festem Einband, das der Herausgeber als „spannenden Roman, der sich in der damaligen Grafschaft Hauenstein, dem heutigen Hotzenwald, abspielte“, bezeichnet. Den Vertrieb hat seine Frau Annette übernommen. Dass Norbert Lüttin die Geschichte von Alexander Würtenberger neu auflegen konnte, hat mit dem Urheberrechtsschutz zu tun. Dieser besteht für maximal 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers.
Norbert Lüttin gibt somit der 1883 über einen Zeitraum von vier Monaten im Alb-Bote in der Beilage „Waldshuter Erzähler“ veröffentlichten, in 24 Kapitel gegliederten Geschichte von Alexander Würtenberger eine neue Plattform. Lüttins Hauptaufgabe lag in der Recherche auf Authentizität – er verwendete fast 50 Quellen – der Illustration mit 25 Abbildungen, der Begriffserklärungen mit 87 Fußnoten und schließlich im Erfassen des Textes mit der Überführung in die aktuelle Rechtschreibung. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste und dritte Teil (Einführung sowie Anhang mit einer Tabelle der beteiligten Personen) stammen von Lüttin selbst. Der zweite Teil – die eigentliche Geschichte – stammt von Alexander Würtenberger. Das Problem war: Die zuvor nie in Buchform erschienene Geschichte war schwierig zu lesen und musste Wort für Wort von Hand neu getippt werden.
Außerdem stammte der Originaltext aus einer Zeit, bevor es verbindliche Regeln der deutschen Rechtsschreibung gab. „Viele Begriffe und Redewendungen aus der damaligen Zeit sind heute nicht mehr gebräuchlich“, berichtet Lüttin, „aber alle zu ersetzen, würde den Charakter der Geschichte zu sehr verändern“. Deshalb nahm er eine „moderate“ Anpassung vor. Lüttin nahm sich rund drei Jahre Zeit für Recherchen. Die intensive Arbeit setzte im Frühling 2020 ein. Den folgenden Sommer nutzte er für das Fotografieren von Motiven, die in der Geschichte vorkommen. Alexander Würtenberger, eigentlich ein Gärtner und Rosenzüchter, erlangte Bekanntheit durch sein dichterisches Schaffen. Mit 17 veröffentlichte er Gedichte im Alb-Bote, zwischen 1872 und 1874 absolvierte er den Militärdienst im 6. Badischen Infanterieregiment. Laut Lüttin war er später als Redakteur der in München erschienenen Illustrierten Gartenzeitung und des Gartenbaukalenders tätig.
Außerdem war er unter anderem Sachverständiger für Altertumsfragen und ehrenamtlicher Bezirkspfleger für Baudenkmäler im Amtsbezirk Waldshut. Der von Norbert Lüttin herausgegebene Roman „Salpeterer“ spielt in einer Zeit, als das Kloster St. Blasien versuchte, dem Volk mehr und mehr abzuringen, worauf es zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum ersten massiven Widerstand kam. Der Salpetersieder Johann Fridolin Albiez aus Buch, der „Salpetererhans“, begann 1719 gegen die vom Kloster verlangte Huldigung aufzubegehren und überzeugte viele Anhänger von seinem Protest. Der erste Salpetereraufstand wurde 1728 militärisch zerschlagen, er wird als „Huldigungsstreit“ bezeichnet. Die Vorgänge dieses Streits schilderte der Klettgauer Autor Alexander Würtenberger in seiner spannenden Volksgeschichte, die 1725 mit den Treffen der Salpeter-Anhänger in der Haselbacher Mühle beginnt und 1730 mit der Verbannung und dem Tode des Müllers Martin Thoma endet.