Zwei Straßennamen in Wehr sind mit dem ehemaligen Armen- und Krankenhaus verbunden. Die Merianstraße erinnert an den großen Mäzen und Eisenfabrikanten Philipp Merian. Nachdem er sein Eisenwerk 1817 an das Großherzogtum verkauft hatte, ermöglichte er 1833/34 durch eine Stiftung den Bau des Armenhauses.

Georg Kerner wiederum war Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Arzt. Mit Philipp Merian zählte er zu den ersten Ehrenbürgern Wehrs und wirkte auch im Armen- und Krankenhaus. Ihm wurde ebenfalls eine Straße gewidmet. An der Ecke Merianstraße und Kernerstraße begegnen sich also heute noch zwei Persönlichkeiten der Wehrer Geschichte. Darüber gibt es keinen Zweifel.

Über das Gebäude selbst scheint jedoch Unklarheit zu herrschen. Dass durch eine kluge Entscheidung das „Krankenhaus zum Wohnhaus wird“, ist mehr als begrüßenswert. Viele Bewohner der Stadt Wehr waren in Sorge, dass die Abrissbirne eines Tages dieses einzigartige Gebäude „Alt-Wehrs“ dem Erdboden gleichmachen würde.

Diese Aufnahme zeigt das Krankenhaus Wehr in den 1920er Jahren.
Diese Aufnahme zeigt das Krankenhaus Wehr in den 1920er Jahren. | Bild: Archiv Reinhard Valenta

Ein Blick in die alten Akten belegt jedoch Folgendes. Das Haus Merian, das angeblich „den Charme einer Gründerzeit-Villa aus dem Jahr von etwa 1890“ ausströmt, hat mit Gründerzeit nichts zu tun. Ihr Beginn wird etwa mit 1870/71 angesetzt. Nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges und dem Sieg über Frankreich brach eine Investitions-Euphorie aus. Sie speiste sich unter anderem aus französischen Reparationen.

Versicherungswert der Häuser

Lassen wir die Akten sprechen. 1841 zogen drei Männer einer Schätzungskommission durch die damals noch namenlosen Straßen von Wehr. Sie schätzten die Versicherungswerte aller Häuser für die verpflichtende (!) Feuerversicherung. Es waren der Maurermeister Anton Leber und die Bürger Anton Wunderle und Joseph Lütty. Sie begannen ihren Rundgang mit dem Haus Nr. 1. Dabei handelte es sich um die 1648 nach dem Ende des 30-jährigen Krieges eingeweihte Ackerrainkapelle. Bis zum Haus Nr. 2 hatten sie keinen weiten Weg. Das Armenhaus trug diese Nummer und „lag an der Straße zum Enkendorf“ – heute die Merianstraße. Die Kernerstraße bestand 1841 noch aus Wiese und Acker.

Neben dem Schloss der Herren von Schönau (heute Bürgermeisteramt) war es damals das einzige dreistöckige Gebäude am Ort. Der Maurermeister Leber bewertete die Substanz folgendermaßen: „Ist noch ziemlich gut erhalten und steht erst seit 8 Jahren.“ Das Armenhaus war komplett aus Stein erbaut und das Dach mit Ziegeln gedeckt. Das minimierte den Ausbruch eines Brandes, damals eine große Gefahr besonders für strohgedeckte Holzhäuser. Versichert wurde das Armenhaus mit 13.277 Mark.

Krankenschwestern in Zivil und in Berufskleidung auf dem Weg zum Krankenhaus (1920er Jahre).
Krankenschwestern in Zivil und in Berufskleidung auf dem Weg zum Krankenhaus (1920er Jahre). | Bild: Archiv Reinhard Valenta

Zum Vergleich: Das ebenfalls dreistöckige Schloss der Herren von Schönau wurde als das teuerste Gebäude Wehrs mit 29.154 Mark versichert. Es trug nur die Nr. 73. Die Kommission richtete sich streng nach der Reihenfolge der Gebäude. Diese begann nun einmal mit der Ackerrainkapelle im Enkendorf.

Das zweite stattliche Gebäude Wehrs war – sieht man von der Kirche ab – das zweistöckige Herrenhaus im Hammer, heute Brennet-Textilmuseum. Es trug die Nummer 162 und wurde mit 12.176 Mark versichert. Das Armenhaus belegte von den Wohngebäuden somit Platz 2 im Feuerversicherungsbuch. Am 22. Juli 1874 schloss die Gemeinde für ihr Armenhaus eine Fahrnisversicherung (= Hausratsversicherung) ab.

Sie betrug 2580 Mark und umfasste folgende Positionen: Möbel, Haus- und Küchengeräte zu 800 M; Betten, Weißzeug, Leinenzeug, Kleider zu 1000 Mark; Uhren zu 50 Mark; Spiegel, Porzellan, Glas zu 25 Mark; gedruckte Bücher, Gemälde, Bilder zu 15 Mark; Viktualien zum Haushalt zu 350 Mark; Brennmaterial zu 250 Mark sowie Fass- und Bandgeschirre zu 100 Mark. Das Armenhaus war damals für die Wehrer mit Bürgerrecht gedacht, wobei von Bürgerinnen noch nicht die Rede war. Frauen wurden einfach bei den Männern mitgezählt. Wer kein Geld hatte, wurde im Notfall aus den Armenkassen der Gemeinde versorgt.

Das könnte Sie auch interessieren

Wer jedoch Geld oder Grund besaß, konnte sich als „Pfründner“ einen Platz im Armenhaus sichern. Dazu musste das für die Pflege benötigte Vermögen an die Gemeinde abgetreten werden. Die unter dem Stichwort „Krankenhaus“ im Stadtarchiv Wehr gesammelten Akten besagen, dass im Laufe der Zeit zum Armenhaus eine Krankenstation kam. Die Gemeinde stellte Ordens- und Krankenschwestern ein. Schließlich wurde Dr. Georg Kerner, um einen heutigen Begriff zu verwenden, Belegarzt. Am Ende war aus dem Armenhaus ein reines Krankenhaus geworden.