Schwester Josefa mag es grau. Dazu eine weiße Haube, festes Schuhwerk, ein schlichtes Kreuz ist ihr Schmuck. Schwarz-weiß war früher üblich, aber so kleiden sie und ihre Mitschwestern sich allenfalls noch bei besonders feierlichen Anlässen.

Warum das so ist, weiß sie nicht zu sagen. Aber es passt zum Gespräch über Gott und die Welt. „Was Bedürfnis der Zeit ist“, zitiert Schwester Josefa den Klostergründer Theodosius, „ist Wille Gottes.“ Und die Zeit – sie ist grau.

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„Es geht nicht, dass man sich ein Leben lang alle Türen offen hält“

Für Schwester Josefa ist nichts Schlechtes daran – wohl wissend, dass der Mensch um Klarheit nicht herum kommt. „Es geht nicht, dass man sich ein Leben lang alle Türen offen hält“, begründet sie ihre Entscheidung fürs Klosterleben.

Da ist sie gerade mal 20 Jahre alt, und die junge Frau folgt, wie sie sagt, einer inneren Spur. Es sei wichtig, den richtigen Moment für solche Entscheidungen nicht zu verpassen. Sonst bestehe die Gefahr, dass man das Leben an sich vorbei lebt.

Schwester Josefa empfängt im Kloster Hegne den SÜDKURIER zum Gespräch.
Schwester Josefa empfängt im Kloster Hegne den SÜDKURIER zum Gespräch. | Bild: Hanser, Oliver

Für sie öffnet sich hinter dieser einen Tür eine Welt, in der vieles dunkler ist als weiß und manches heller als schwarz. Es sind diese Grautöne, die Deutungen ermöglichen und damit die Chance zu ständiger Erneuerung. Für Schwester Josefa ist das Leben selbst, wovon allein die Entwicklung des Klosters zeugt: Als sie der Ordensgemeinschaft beiträgt, ist sie eine von rund 1100 Schwestern, heute gehört die 78-Jährige zu den jüngeren der 173 verbliebenen Nonnen, von denen die meisten in Hegne leben.

Was denken die Schwestern über Gräueltaten von Kirchenmännern?

Gleichwohl herrscht auf dem Areal heute eine größere Vielfalt. Rund 300 Mitarbeitende sind im Kloster beschäftigt, 600 bis 700 Schüler werden unterrichtet, zirka 100 Menschen werden gepflegt und dann sind da noch die Hotelbesucher und Pilger. Das Wort des Theodosius also hat Bestand, das Kloster geht mit der Zeit.

Andernorts tut sich die Kirche schwerer mit Veränderung, zumal bei den Kirchenmännern. Die Missbrauchsfälle, die Veruntreuung oder Verschwendung von Geldern – was soll das Leugnen, die Vertuschung? Die Schwestern sprechen darüber und Josefa Harter sagt, dass sie nichts schön reden will, was nicht gut ist.

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Erträglich wird‘s ihnen nur, weil Glaube und Kirche eben weit mehr umfasse, und den ersten Stein werfen Christ und Christin sowieso nicht. Der Mensch, so gibt sie zu verstehen, bleibt eben immer Mensch, im Guten wie im Schlechten.

Immerhin: Den Gedanken, dass die Männlichkeit sich eine Scheibe vom Kollektiv der Schwestern abschneiden könnte, hält Josefa für keine schlechte Idee. Sie wundert sich in diesem Zusammenhang über die Verwendung des Begriffs der Emanzipation. Tatsächlich aber sei daran etwas Wahres. „Wir haben‘s gelebt, ohne das Wort zu kennen“, sagt sie rückblickend auf ihr Leben im Kloster. Und ergänzt: „Wir sind starke Frauen.“

Berichte aus der Ukraine gehen auch den Schwestern nah

Aber keine Schwäche niemals? Und ohne Zweifel stets im Glauben? Eine Etage der Klosterwohnungen ist belegt mit Frauen, die – teils mit Kindern – aus der Ukraine geflohen sind. Das Leid hat Quartier bezogen im Kloster und in Kombination mit den alltäglichen Nachrichten muss es für die Schwestern eine Prüfung sein wie für alle Welt. Ob da kein Zorn aufkommt oder Wut, vielleicht sogar der Gedanke an Gegengewalt? „Das geht ans Mark“, räumt Schwester Josefa ein, denn auch die Nonnen seien nur Menschen.

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Sie sagt es im Bewusstsein des privilegierten Daseins im Kloster, in dem die Schwestern unter einem Dach mit Leid, Not und Schmerz der Flüchtlinge aus der Ukraine leben, und dennoch nicht wissen können, was das Erleben bedeutet. „Was ist Folter, wie halten Menschen das aus?“, fragt sie und weiß darauf nur die Antwort, die es gibt, wenn man wie sie eben durch jene Tür des klösterlichen Glaubens gegangen ist. „Jesus“, sagt sie, „hat es durchgehalten.“

„Was ist ihnen zugefügt worden, dass sie so handeln?“

Und was ist mit denen, die das Leid verursachen? Die töten und foltern? Zumal die Täter sich ihrerseits berufen fühlen, im Namen einer höheren Macht zu agieren? Schwester Josefa stellt eine Gegenfrage: „Was ist ihnen zugefügt worden, dass sie so handeln?“

Es ist eine unbestimmte, eine graue Antwort, dahinter aber herrschen für Josefa die Klarheit, der Mut und die Konsequenz als Folge der einmal für immer befolgten inneren Spur: Den Kreislauf des Leids, der Leid hervorbringt, durchbricht sie im Gebet. Ob darin auch Wladimir Putin vorkommt? „Ja“, sagt Schwester Josefa, und ein leichtes Heben der Schultern mag andeuten, dass es ihr nicht leicht fällt.

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Allein ist sie mit ihrer Zuversicht nicht. Nach dem Gespräch folgt ein Besuch in der Krypta der seligen Ulrika – es ist später Vormittag, im Zwielicht des Kellergewölbes brennen neben dem Schrein zu dieser Stunde schon rund zwei Dutzend Kerzen. Schwester Josefa ordnet das sichtbare Zeichen des Hoffens mit einem Zitat aus einem Brief der Korinther ein.

„Wir tragen den Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“, heißt es darin sinngemäß, und in der biblischen Sprache wird damit die Chance zum Neubeginn beschworen – selbst dann, wenn der Mensch schon niedergestreckt, verlassen und vernichtet scheint. Ein schwacher Trost, doch für sie immerhin ist‘s etwas heller als schwarz.