Täglich rollt, kriecht oder steht der Verkehr auf dem noch zweispurigen Abschnitt der B 33 zwischen Allensbach-Mitte und der Bahnbrücke bei der Waldsiedlung. Dabei könnte die Straße längst vierspurig sein – und über den Bodanrück nördlich des Allensbacher Gewerbegebiets und von Hegne nach Wollmatingen führen.
Denn noch Anfang der 1980er Jahre habe so im Bundesverkehrswegeplan die Linienbestimmung der so genannten Nord- oder Ulmisriedtrasse ausgesehen, weiß der frühere Allensbacher Bürgermeister Helmut Kennerknecht (1983 bis 2015 im Amt).

Der Gemeinderat sei mit großer Mehrheit – außer der SPD – ebenso hierfür gewesen wie die Gemeinde Reichenau und zunächst eine Mehrheit im Konstanzer Gemeinderat. Wobei Kennerknecht anmerkt, man habe eine hochwertige, ökologische Straßenplanung gewollt mit vier Gründbrücken an der neuen Trasse sowie mit Rückbau und Renaturierung der alten B 33. In Seenähe sollte Erholungsgebiet sein.
Doch damals im Gespräch waren auch schon Pläne für eine Südtrasse, den Ausbau der bestehenden B 33. Es sei eine Zeit gewesen, in der der Naturschutz eine größere Rolle in den Überlegungen einzunehmen begann, so Kennerknecht. Und da erschien vor allem immer mehr Leuten in Konstanz eine vierspurige Straße über den Bodanrück als nicht tragbar.
Ein Blick ins SÜDKURIER-Archiv zeigt, wie kontrovers und teils hitzig diskutiert wurde. So gab es zum Beispiel die Bürgergemeinschaft Fürstenberg/Wollmatingen, die sich klar für die Nordtrasse positionierte. Im August 1983 formierte sich dann aber die Wollmatinger Bürgerinitiative (BI) gegen die Ulmisriedtrasse, rund 20, dem Umwelt- und Naturschutz nahestehende, junge Leute. Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) war gegen die Nordtrasse.
Und so bröckelte allmählich die Mehrheit in Konstanz für die Nordtrasse. Die noch junge Freie Grüne Liste (FGL), mit zwei Mitgliedern im Gemeinderat, beantragte im August 1984 einen Bürgerentscheid, was der Gemeinderat zunächst im Oktober noch klar ablehnte. Doch dann schlug sich die SPD auf die Seite der FGL.
Ergebnis des Bürgerbegehrens frustriert viele Allensbacher
Gemeinsam brachten sie ein Bürgerbegehren in Gang. 6000 Unterschriften mussten hierfür gesammelt werden, in kurzer Zeit waren es sogar rund 8500. Und so kam es am 10. März 1985 zum ersten Bürgerentscheid überhaupt in Konstanz – mit einem klaren Nein zur Nordtrasse!
Kennerknecht erklärt: „Durch diesen Bürgerentscheid ist alles in Frage gestellt worden.“ Dadurch habe sich in Allensbach Unmut angesammelt. „Der Gemeinderat war tief enttäuscht und ein Stück frustriert. Das mehrheitliche Votum fand in Bonn kein Gehör mehr. Keiner hat so richtig gewusst, wie es weitergeht.“
Bekanntlich ging es viele Jahre gar nicht weiter, die Fronten waren verhärtet. Zumindest der B33-Abschnitt von Singen bis Radolfzell wurde in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre gebaut, der zweite von dort bis kurz vor Allensbach in den Jahren danach. Doch dann war dort rund 25 Jahre lang das Ausbauende.
Nach dem Entscheid in Konstanz gingen aber nun auch Allensbacher Bürger auf die Barrikaden und bildeten die BI für die seeferne Hochspannungstrasse, berichtet Reinhold Bäder, damals einer der Initiatoren und Hauptakteure. Den neuen Namen für die Nordtrasse habe man gewählt, weil die Straße entlang der Hochspannungsleitung führen sollte. Da habe es ohnehin eine Schneise durch die Natur gegeben, so der heute 84-Jährige. Zu Versammlungen und Podiumsdiskussionen seien sehr viele Bürger gekommen.

Und besonders spektakulär waren drei Demonstrationen auf verschiedenen Abschnitten der B33 zwischen Allensbach-West und der Waldsiedlung Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre. Jeweils mehrere hundert Teilnehmer – teils mit Traktoren – erregten Aufsehen und sorgten für eine massive Verkehrsbehinderung.
„Das waren tolle Erlebnisse. Wir sind da sicher zwei Kilometer gelaufen“, berichtet Bäder heute noch mit strahlenden Augen. Die Teilnehmer trugen Slogans wie „Rettet den Gnadensee“ oder „Für sauberes Wasser“. „Da hat jeder mitgemacht.“ Auch Hegner Schwestern auf Fahrrädern. Viele Allensbacher Bürger hätten damals erstmals überhaupt an einer Demo teilgenommen, schätzt Bäder.
Das Kloster und die Kliniken Schmieder seien dabei immer an der Seite der BI und der Gemeinde gewesen. Aktivitäten der BI für die Nordtrasse habe es bis in die späten 1990er Jahre gegeben.
Bäder fragt sich heute: „Mich würde interessieren, ob unsere Arbeit zur Optimierung der Südtrasse beigetragen hat.“ Das meint Kennerknecht mit ziemlicher Sicherheit: „Provokant und zugespitzt formuliert: Nachträglich hat die Forderung nach der Hochspannungstrasse als erfolgreichster Beitrag zur Optimierung der Südtrasse beigetragen.“
Die ursprünglichen Pläne waren deutlich schlichter
Denn deren ursprüngliche Planung sei ein schlichter Ausbau um zwei Fahrspuren mit wenig Lärmschutz gewesen – und ein schwerwiegender Eingriff ins Allensbacher Grundwasservorkommen. Von der heutigen Ausführung sei das Lichtjahre entfernt. „Das ist wie Grönland und Äquator“, meint Kennerknecht.
Noch 1990 hätte er sich nicht vorstellen können, dass Allensbach zwei Tunnels, eine tiefer gelegte Straße, drei Vollanschlüsse und eine neue Wasserversorgung bekomme. „Ich habe nicht geglaubt, dass das durchsetzbar sein würde.“