Ein altes Rätsel in Ludwigshafen kommt seiner Lösung immer näher. Bereits seit den 1990er-Jahren gab es in den Obstplantagen beim künftigen Neubaugebiet Haiden immer wieder Mauer- und Kleinfunde aus römischer Zeit. Aus vagen Vermutungen formte sich nun eine Theorie: Hier dürfte ein großer römischer Gutshof liegen, erklärte Kreisarchäologe Jürgen Hald bei einer öffentlichen Führung und Präsentation erster Funde der archäologischen Ausgrabungen im Zuge der Erschließungen des Baugebiets.
Und mehr noch: Neben der Römerzeit (1. bis 3. Jahrhundert nach Christus) gibt der Boden nun auch Stück für Stück Funde aus der Bronzezeit (1600 bis 1000 vor Christus) und dem frühen Mittelalter Preis, genauergesagt von den Alamannen aus der späten Merowingerzeit (7. und 8. Jahrhundert).
Letzteres ist eine unerwartete Überraschung für die Archäologen und alles zusammen lässt jetzt schon den Schluss zu: Hier dürfte eine der Keimzellen von Sernatingen, heute Ludwigshafen, liegen, erklärte Hald. "Wir sind nicht die ersten, die die Idee hatten, hier zu wohnen", sagte Bürgermeister Matthias Weckbach, der den Einsatz der Archäologen und ihre zügige Arbeit parallel zu den Erschießlungsarbeiten lobte.
Zahlreiche Bürger, Gemeinderäte und Vertreter des Museum-Fördervereins ließen sich am Mittwochabend auf eine kleine Zeitreise durch die Epochen mitnehmen. Hald erzählte von den ersten Funden bei landwirtschaftlichen Arbeiten und topografischen Eigenheiten des Gebiets Haiden. Durch die Hanglage gebe es viel Erosion, die Erde über die Funde getragen hat. Andreas Gutekunst, der wissenschaftliche Grabungsleiter von Archaeo Task in Gebiet Haiden, gab an einer der Grabungsstellen Einblicke in die Bronzezeit. Original im Boden gab es noch eine Stelle mit einem Pfahlrest, der nur noch als dunkle Verfärbung erkennbar ist. Außerdem stellte Gutekunst ein zerbrochenes Gefäß mit Hitzesteinen, das noch geborgen werden muss, sowie eine nur zwei Meter entfernte Feuergrube vor. "Solche Gefäße haben wir schon mehrfach in der Nähe einer Feuergrube wie hier gefunden", erzählte er. Hitzesteine fungierten in der Bronzezeit als Tauchsieder. Das alles sei eigentlich Siedlungsabfall. "Aber was damals weggeworfen wurde, ist für uns heute wertvoll", erläuterte er zur Bedeutung solcher Stellen.
Die Experten hatten diese beiden Funde extra für die kurzfristige angesetzte Führung noch im Boden gelassen. Sie hatten auch eine Reihe verschiedener Entdeckungen vorbereitet, die die Teilnehmer sogar teilweise in die Hand nehmen und ganz nahe betrachten durften. Neben Tonscherben und ähnlichem zeigte Jürgen Hald auch eine lange schmale Bronzenadel und präsentiert an einer weiteren Stelle ein Grubenhaus der Alamannen, das im Kreuzschnitt (zwei von vier Vierteln) freigelegt war. Dort war, so vermutet Hald, eine Webhütte.
Sie war in die Erde eingegraben und hatte ein Zeltdach auf Pfosten. Die Stelle, wo der Webstuhl stand, lasse sich anhand einer Verfärbung des Bodens erahnen. "Mit etwas Glück finden wir hier noch Webgewichte", sagte Hald. Diese Reste gehören zu einem Dorf, das vermutlich bis ins beginnende Mittelalter bestand, und bis zur heutigen Eggerstraße in der Nähe des Gebiets Haiden reichte, wo im Jahr 2012 Mittelalterliches gefunden wurde.
Die Funde im Haiden geben Aufschlüsse über die Besiedlung und Wirtschaftsweise in früheren Zeiten. Tierknochen und Gebisse zeigen zum Beispiel, wie gut genährt die Tiere waren. Unter den besonderen Stücken, die Hald zeigen konnte, waren ein Teil einer aufwendig gearbeiteten römischen Gewandnadel (Fibel) aus Bronze und ein Messer aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, das nach der langen Zeit in der Erde kaum als solches zu erkennen ist und restauriert werden muss. "So ein Messer hatte jede Frau an ihrem Gürtel", erklärte er. Aus derselben Epoche zeigte er zum Beispiel auch eine große, ebenmäßige Tonscherbe mit Rillenmuster, die auf einer Töpferscheibe entstanden war. Dies zeigt den technischen Fortschritt gegenüber früheren Epochen.
In der jetzigen Ausgrabungstrasse geht es noch etwa eine Woche weiter, dann beginnen dort die Kanalarbeiten der Baufirma. Insgesamt dauern die Ausgrabungen im Haiden parallel zu den Erschließungsarbeiten noch vier bis fünf Wochen. "Es kommt bestimmt noch einiges", blickt Hald auf künftige Funde voraus. Bisher sind etwa 4000 Quadratmeter untersucht, Haiden umfasst 65 000 Quadratmeter (6,5 Hektar). Hald, Weckbach, die Mitarbeiter von Archaeo Task und Richard Vogt vom Landesamt für Denkmalpflege freuten sich über das Interesse der Bürger an der Führung und Präsentation. Wilderich Graf von und zu Bodman, der als Vorsitzender des Fördervereins Museum Bodman-Ludwigshafen, anwesend war, sagte: "Es ist interessant, wie sich die Geschichte weiter erschließt."
Die Funde und ihre Auswirkungen
- Voruntersuchungen: Seit mehr als 20 Jahren stößt Landwirt Specht in seinen Obstplantagen beim Gebiet Haiden auf Funde aus der römischen Kaiserzeit. Er habe immer wieder Scherben und Mauerreste gefunden. So gab es schon lange Hinweise darauf, dass es dort möglicherweise größere Siedlungsreste gibt. 2016 gab es geophysikalische Messungen der Kreisarchäologie in Zusammenarbeit mit der Gemeinde sowie Baggerschürfe für stichprobenartige Untersuchungen.
- Funde und was mit ihnen passiert: Alle Fundstellen im Gebiet Haiden (derzeit mehr als 200) werden mithilfe von Drohnenfotos auf einer Karte verzeichnet und fotografiert.
- Weitere Fundstellen: In Ludwigshafen gab es bereits an mehreren Stellen Funde aus der Römerzeit oder dem frühen Mittelalter. Letzteres zum Beispiel, so Jürgen Hald, 2012 zufällig in der Eggerstraße, die nahe des Gebiets Haiden liegt. Auch an Immengarten gab es archäologische Funde. All dies seien Hinweise frühe Keimzellen von Sernatingen.
- Die Nähe von Römer und Alamannen: Funde aus der römischen und germanisch-alamannischen Zeit seien oft nah beieinander zu finden, erzählt Jürgen Hald. Dies zeige sich an anhand von Funden in Eigeltingen, Büßlingen und Watterdingen. Die verlassenen römischen Gutshöfe seien ab dem 3. Jahrhundert nach Christus von den Germanen übernommen worden. "Die Felder konnten mit wenig Aufwand wieder nutzbar gemacht werden", erklärt Hald. In Bodman-Ludwigshafen gebe es viele römische Fundstellen.
- Archäologie und künftiger Hausbau: Die derzeitigen Ausgrabungen reichen nicht so tief, wie es zum Beispiel bei Aushüben für Keller nötig wäre. Wenn später einzelne Häuser im Haiden entstehen, und Keller geplant sind, begleiten die Archäologen die Baggerarbeiten, dokumentieren und sichern eventuelle Funde. Das könne in etwa zwei Tage in Anspruch nehmen, erklärt Kreisarchäologe Jürgen Hald. Privatpersonen tragen (bis auf den Baggeraufwand) keine zusätzlichen Kosten. Es werde aber nur gegraben, wo Zerstörungen durch Bauarbeiten zu befürchten wären.