Eine extrem emotionale Debatte um eine 18 Hektar große, abgelegene Fläche Habsnest in Eigeltingen-Reute lief im Gemeinderat auf die Frage hinaus: Was wiegt schwerer – das Wohl der Gemeinde oder das von zwei landwirtschaftlichen Betrieben? Die Ratsmitglieder machten sich die Entscheidung nicht leicht und übten gemeinsam mit Bürgermeister Alois Fritschi massiv Kritik an der gesetzlichen Vorgabe, dass 0,2 Prozent der Flächen einer Gemeinde für erneuerbare Energien verwendet werden müssen. Die von der Gemeinde verpachteten Ackerflächen bei Reute würden genau dies locker erfüllen, aber dennoch fühlten sich alle in einem Gewissenskonflikt gefangen.
Die vollen Zuschauerreihen zeigten, wie brisant dieses Thema war. Neben Landwirt Bernd Kamenzin, einem der beiden betroffenen Pächter, verfolgten weitere Einwohner die Debatte, schüttelten immer wieder den Kopf und murmelten vor sich hin. Sie konnten nicht verstehen, warum ausgerechnet dieses Gebiet zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht genutzt werden soll.
Hier soll die Freiflächen-Solaranlage entstehen:
Landwirt schildert deutlich seine Existenzangst
Bernd Kamenzin durfte seine Sicht schildern, nachdem EnBW und Sunovis ihre Vorschläge für die Freiflächen-Photovoltaikanlagen (Freiflächen-PV) präsentiert haben. „Ich habe Angst um meine Landwirtschaft“, sagte er ganz offen. Im Habsnest befänden sich seit rund 50 Jahren der Großteil seiner Betriebsflächen und ihm seien schon einmal acht Hektar an anderer Stelle weggenommen worden. Er frage sich, warum nur in Reute Freiflächen-PV geschaffen werden solle.

Der Landwirt kritisierte direkt Bürgermeister Fritschi und warf ihm vor, sich zwar generell mit Landwirten zu solidarisieren, aber ihn mit dieser Solaranlage zu vernichten. Kamenzin betonte, es gehe hier um eine Fläche, die 20 Fußballfeldern entspreche. Das sei ein riesiger Eingriff in die Natur, wenn dort Anlagen aufgestellt werden. „Das ist nicht nachvollziehbar“, sagte er enttäuscht. Bis heute bereue er, dass er der Gemeinde vor zwei Jahren eine Fläche für den Nachweis von Ökopunkten verkauft habe.
Fritschi erwiderte, er habe Verständnis für Kamenzin, müsse aber auch darauf hinweisen, dass dieses Feld der Gemeinde gehöre und er es über Jahrzehnte zu einem fairen Preis erhalten habe. Man könne nicht davon ausgehen, dass das immer so sein werde. Die Gemeinde müsse PV-Flächen ausweisen und diese würde sich am besten eignen. Er räumte ein, dass es ein Fehler gewesen sei, die Pläne erst spät öffentlich zu diskutieren.

Räte machen sich Entscheidung nicht einfach
Ratsmitglied Manfred Schwanz (Freie Wählervereinigung, FWV) sagte, er sehe an der Anwesenheit so vieler Zuhörer, wie emotional und schwierig das Thema sei. Die Gemeinde befinde sich im „brutalen Zugzwang“ durch die Forderungen der Landesregierung. „Die Gemeinde hat sonst nirgends eine so große geschlossene Fläche“, so Schwanz.
CDU-Rat Reiner Müller sah es ähnlich. Er fand gut, dass Fritschi ein privates PV-Vorhaben auf vier Hektar Fläche beim Sienenhof in Reute ablehnen wollte, damit Reute nicht doppelt betroffen sei.
Katja Hertell (FWV), die selbst Landwirtin ist, sprach sich ebenfalls für den Standort aus: „Wenn wir schon sowas machen müssen, dann dort, wo es nicht stört“, sagte sie im Bezug auf die abgelegene Lage, durch die diese Anlage kaum sichtbar wäre.
CDU-Rat Ewald Halder hob die Aufwertung des Bodens hervor, wenn dort über 30 Jahre keine Spritzmittel und kein Dünger mehr verwendet werden. Zudem seien sogar Einnahmen möglich, wenn die Fläche parallel zu den PV-Anlagen auch durch Schafe beweidet wird.
Obwohl Andrea Oexle (FWV) sich schwer tat, nannte sie die Fläche wegen der Sonneneinstrahlung „prädestiniert“. Diese 13 Hektar seien genau die 0,2 Prozent Fläche, die Eigeltingen vorweisen müsse. „Es tut mir ungemein Leid, aber es wird immer jemanden treffen.“ Und Siegbert Bach (CDU) warf sogar ein: „Bei so einem Thema wünscht man sich, nicht im Rat zu sein.“

Ortsteil Reute soll dieses Opfer bringen
Alois Fritschi fand klare Worte zu den Ortsteilen. Der Kernort Eigeltingen bringe ein Opfer, indem dort alle Flüchtlinge untergebracht wurden und keine in den Teilorten seien. Beim Thema Solaranlagen müsse nun mit Reute ein anderer Ortsteil das Opfer bringen. „Ich sehe das Habsnest als Chance – dann haben wir unseren Teil geleistet und ein paar Jahre Ruhe. Auch mir fällt es nicht leicht“, so Fritschi. Mit der Kritik dafür könne er umgehen.
Er stellte für Reute als Ausgleich dieser Belastung eine zeitnahe Sanierung des Dorfgemeinschaftshauses in Aussicht. Ortsvorsteher Reinhard Schwanz wünschte sich dazu die Einbindung des Ortschaftsrats, die Fritschi zusagte.
Entscheidung fällt fast einstimmig
Letztendlich stimmten alle Räte bis auf einen für die Verwirklichung einer Solarfreiflächenanlage auf dem angedachten Grundstück. Ob die Gemeinde mit EnBW oder Sunovis zusammenarbeitet, soll in einer anderen Sitzung entschieden werden. Wer den Zuschlag erhält, muss dann die beiden betroffenen Landwirte entschädigen.

In einem zweiten Beschluss lehnte das Gremium ein privates Bauvorhaben auf vier Hektar Fläche im Bereich Sienenhof in Reute ab, da es eine Lage „auf dem Präsentierteller“ gehabt hätte. Die Räte zeigten jedoch Widerstand, als Fritschi vorschlug, pauschal für die Zukunft alle Freiflächen-PV-Anlagen in Reute abzulehnen.