„Die könnte ich direkt im Internet versteigern“, sagt Wilhelm Böhler euphorisch, als er eine ganz besondere Delikatesse in seinem Netz entdeckt. Bis zu sechsmal wöchentlich fährt der 58 Jahre alte Berufsfischer aus Hemmenhofen auf den Bodensee, dennoch ist es an diesem Tag erst das dritte Mal in diesem Jahr, dass ihm der kostbare Fisch ins Netz geht: eine Bodenseeforelle. „Ein wunderschöner Fisch“, schwärmt er und zeigt auf den mit dunklen Punkten gemusterten Körper.
Es ist 8 Uhr morgens vor dem Steckborner Ufer. Die Sonne wirft einen Lichtkegel auf die Stadt. Den blauen See halbiert sie mit einem glitzernden Strahl. Alle zwölf Netze sind nun eingeholt. Mitunter 80 Felchen waren darin. Einer der drei besten Tage des Jahres. Zufrieden steuert Böhler sein Boot zurück an Land. Dass der Morgen so idyllisch und ertragreich enden wird, war vor gut zwei Stunden noch nicht absehbar. Die Ausbeute der vergangenen Tage war mager, das Wetter schlecht. „Als Fischer in diesen Zeiten muss man genügsam sein“, sagt er.
„Ein täglicher Kampf“
Trotzdem befinden sich vier große, für einen üppigen Fang geeignete Kisten in der Schubkarre, die Wilhelm Böhler um 5.30 Uhr zu seinem Boot schiebt. Dumpf hallen die Schritte durchs schlafende Dorf. Seine Stirnlampe scheint in die dichte Nacht. Der Arbeitsbeginn ist ruhig. Ein paar geschwätzige Grillen und das plätschernde Uferwasser ergeben den frühen Klang dieses Tages. Man könnte meinen, als Fischer müsse man der geborene Frühaufsteher sein. Bei Böhler ist das anders.
„Ein täglicher Kampf“, sagt er lachend. Aber er liebt die Arbeit an der frischen Luft, weit weg von Büros. Und er liebt den Untersee. Als gelernter Kfz-Mechaniker hätte er seine Heimat irgendwann verlassen müssen. Dazu war er nicht bereit, besann sich stattdessen auf seine große Leidenschaft: das Fischen.
Vor gut 30 Jahren übernimmt er die Fischerei, die damals seine Mutter als einzige Berufsfischerin am Untersee führt. Noch heute hilft die über 90-Jährige im Familienbetrieb. Für Böhler war es auch eine ökologische Motivation, er wollte am natürlichen Kreislauf des Sees beteiligt sein. Den Slogan „Von der Region für die Region“ muss er nicht ausstellen, er ist in seinem täglichen Wirken verankert.
Gesunkene Fischbestände machen Sorgen
Einen verklärten Blick auf seinen Beruf hat er aber keinesfalls, er weiß um die Strapazen, die 15-stündigen Arbeitstage, die gesunkenen Fischbestände, auch um die schwierige soziale Absicherung. Sorgenvoll blickt er in die Zukunft: „Ich glaube, in zehn Jahren gibt es hier keinen Berufsfischer mehr. Auch ich rechne damit, mich beruflich nochmal umsehen zu müssen“. Als er 1990 anfängt, gibt es 56 Berufsfischer am Untersee. Heute sind es 21. Zehn davon sind über 70 Jahre alt.
Was ihm zu schaffen macht, ist die Ungewissheit. Fische und Fangstellen gab es früher reichlich. Heute weiß man kaum mehr, wo man seine Netze auswerfen soll, berichtet er. In den goldenen Zeiten brachte man an schlechten Tagen zweieinhalb statt drei Kisten zurück, aktuell heißt ein schlechter Tag zehn Fische statt einer Kiste. Die Not verlangt neue Wege. Am Vorabend wirft Böhler an vier Standorten Netze aus. Den ersten davon, nahe Steckborn, hat er schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt.
Felchen als Lebensversicherung
Es ist jetzt nun knapp 6 Uhr. Zielsicher überquert er den See. Niemand ist zu sehen, nichts als Dunkelheit. Der Fahrtwind streift die Restmüdigkeit ab. Obwohl es mild ist, kündigt der Himmel Regen an. Einzelne goldene Lichter spiegeln sich in langen Linien über den See. Ein roter Kanister an der Wasseroberfläche markiert die Netze. Rhythmisch zieht Böhler diese ein. Zug um Zug, insgesamt 1,2 Kilometer. Seine Stirnlampe beleuchtet einen dürftigen Inhalt: zwei Rotaugen, ein Hecht, kaum Felchen. Es beginnt zu nieseln, Wind zieht auf. Die Fahrt geht weiter.
Am dritten Standort dann, um 7 Uhr, hellt es deutlich auf. Möwen zanken sich um Netz-Inhalte, grüne Schattierungen der Wälder treten hervor. Auch Böhlers Gesicht hellt sich auf. Gut 30 Felchen zieht er heraus. Im dunklen Wasser schimmern sie silbern. Sie sind die Lieblingsfische der Kunden und auch der Fischer. Im Vergleich zu anderen Fischen wie der Schleie oder dem Wels sei das Felchen fast das ganze Jahr zu fangen. Außerdem enthalte es wenige Gräten.
Kritik an Kommunikation zu Fangverbot
Doch trotz des üppigen Fangs ist die Felchenlage besorgniserregend. Seit knapp zehn Jahren fallen die Bestände im Untersee. Allein 2022 um 40 Prozent. Bedroht wird es von mehreren Seiten: hungrige Kormorane und Stichlinge, Klimawandel, die Fischerei. Hinzu kommt die Nährstoffarmut, in der laut Böhler die Hauptursache liegt. Die Fischer seien da nur ein kleiner Faktor. Kläranlagen entziehen Nährstoffe, zurück bleibt ein für die Fische zu sauberer See.
Im Obersee wurde nun eine dreijährige Schonung für Felchen beschlossen. „Dies gilt aber nicht für den Untersee“, betont Stefan Eglauf, Fischereiaufseher vom Untersee, auf Nachfrage. Da es dieses Jahr genügend Laichfische gibt, schließt er eine solche Schonung am Untersee derzeit aus.
Was die Kommunikation anging, zeigt sich Wilhelm Böhler bezüglich des Felchenfangverbots verärgert: „Kunden waren verunsichert, dachten die Schonzeit betreffe den ganzen Bodensee.“ In der ohnehin schon angespannten Lage sei das eine Katastrophe. Eine Schonzeit würden die Fischer wohl kaum verkraften. Es könnte das Ende einer langen Historie sein. Die älteste Fischereiordnung am Untersee datiert aus dem Jahr 1455.
Der See verändert sich stetig
Am vierten Standort, Höhe Wangen, zieht Böhler die letzten Netze ein. Es ist der Standort der Bodenseeforelle. Und auch eines Kamberkrebses, den Böhler ins Boot zieht. Ursprünglich aus Amerika stammend ist das Tier nun auch im Untersee heimisch und steht sinnbildlich für den Wandel.
Man mag meinen: Der See war schon immer der ewige See mit blauem Wasser, Fischen darin, umrahmt von Ufer. Doch die stetige Veränderung macht auch vor ihm keinen Halt, so Böhler. Schwankende Nährstoffe, invasive Arten, Bootsverkehr und der Klimawandel wirken auf das Ökosystem ein.
Helfende Hand statt Ellenbogen
Auf die neuen Bedingungen und die rückläufigen Fischbestände müssen sich auch die Fischer einstellen. „Dennoch gibt es weniger Konkurrenzkampf als früher“, sagt Böhler, „man hilft sich eher, es ist ja für alle schwierig“. Auf dem Rückweg dann aber doch noch ein kleiner Vergleich mit einem Fischerkollegen. „Lagebesprechung“ nennt er es schelmisch. Als der Kollege von der Ausbeute hört, stößt er ein lautes „Donnerwetter“ aus. Beide grinsen.
Um 8.30 legt Böhler wieder am Ufer an. Der Arbeitstag ist noch längst nicht vorbei. Filetieren, verkaufen, abends wieder Netze auswerfen. „Der Beruf des Fischers ist fordernd“, sagt Böhler, „aber es gibt wohl nur wenige Berufe, wo man von Kunden eine solche Wertschätzung für ein frisches Produkt erfährt“. Er möchte weitermachen – wie lange das noch möglich sein wird, ist aber ungewiss.