Ein Zeppelin zieht über das Haus von Else Lasker-Schüler. In einem Briefwechsel beschreibt die avantgardistische Dichterin ihren Eindruck als ein modernes Gewitter. Die Welt gehe unter. Sie habe keine Zeit mehr, die Koffer zu packen. Es herrsche eine wahnsinnige Stimmung in der Luft: „Meer rauscht über unsern Dächern und Häusern“. Das Objekt am Himmel nennt sie Walfisch in einer Wolkenflut.
Rund zehn Jahre zuvor erhob sich am 2. Juli 1900 das erste lenkbare Luftschiff vom Bodensee. Mehr als hundert weitere Zeppeline sollten folgen und den Luftraum mit kommerziellen Flügen erobern – aber auch die Militärstrategie verändern. Franz Hoben legte zur Finissage der Ausstellung „Lotte Eckener – Tochter, Fotografin und Verlegerin“ seine Anthologie „Spazierfahrt in der Luft“ in einer Lesung mit dem Kurator der Ausstellung, Siegmund Kopitzki, vor. Die elektrisierende Matinee im Hermann Hesse Museum Gaienhofen beschrieb in Erzählungen, Gedichten und Liedern das faszinierendste Abenteuer zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die Eroberung des Luftraums mit einem Zeppelin.
Nonstop-Flug über den Atlantik
Der Bogen von der Fotografin Lotte Eckener zur „Zeppelinade“ ist schnell gespannt. Sie war die Tochter von Hugo Eckener, dem Nachfolger von Ferdinand Graf von Zeppelin. Unter dessen Leitung entstanden die Luftschiffe Los Angeles als Reparationszahlung nach dem Ersten Weltkrieg sowie die Luftschiffe Graf Zeppelin und Hindenburg. Am 15. Oktober 1924 gelang Eckener von Friedrichshafen einer der ersten Nonstop-Flüge über den Atlantik. Die Weltfahrt mit dem Luftschiff „Graf Zeppelin“ brachte ihm im Jahr 1929 den Beinamen „Magellan der Lüfte“ ein.
Als Fotografin lichtete seine Tochter Lotte Eckener im Stil der neuen Sachlichkeit den Bau, die Montage und Fertigstellung der Zeppeline ab. Vier herausragende Fotografien der Künstlerin waren auf der Ausstellung zu bewundern. Ebenso bewundernswert die vielleicht größte Sammlung ausgewählter Texte über den Zeppelin – zusammengetragen von Franz Hoben in der Anthologie „Spazierfahrt in der Luft“, vorgestellt in der gemeinsamen Lesung mit dem Vorsitzenden des Forums Allmende, herzhaft gewürzt mit Mythen über den meist scheiternden Versuch der Menschen, fliegen zu wollen.
Literalisierung des Zeppelins begann mit dessen Namensgebung
Unter dem Aspekt der Technik hätten die Luftschiffe von jeher eine große Faszination auf die Menschen ausgeübt, berichtete Franz Hoben: Dass Luftschiffe auch im Kontext der Literatur eine Rolle spielen würden, sei lange Zeit unbeachtet geblieben. Man könne Zeppeline messen, beschreiben und fotografisch festhalten – doch sei dies nur die technische Seite eines Luftschiffs. Das Wesen seiner Wirkung komme jedoch über die Literatur zum Vorschein, so Hoben. Schriftsteller und Autoren brächten hier das Subjektive zur Sprache: die Leidenschaft, die Sehnsucht, sogar eine Heilserwartung – aber auch Spott und Trauer.
Allein die Übertragung des Eigennamens auf das Objekt sei ein literarisches Stilmittel der Metronymie. Die Literalisierung des Zeppelins habe somit mit dessen Namensgebung begonnen. Autoren waren von den Luftschiffen beeindruckt und erfanden Metaphern und bildhafte Worte: fliegender Wal, silbrig glänzendes Ungeheuer, König der Lüfte oder Götterschiff. Kritischer habe sich Karl von Ossietzky geäußert: Er nannte den Zeppelin ein fliegendes potemkinsches Dorf.
Das Abenteuer Zeppelin wurde schon immer durch das geschriebene Wort begleitet
Der Preis einer Fahrt mit dem Zeppelin war extrem teuer. Rundflüge vor dem ersten Weltkrieg kosteten 200 Mark. Die Transatlantikfahrten zu Zeiten der Weimarer Republik waren anfangs für 1900 Mark zu haben. Die Fahrtkosten entsprechen heute einem Wert von 2000 bis 19.000 Euro. Durch die hohen Preise habe die Zeppelin-Gesellschaft gerne Schriftsteller oder Journalisten zu einer Fahrt eingeladen, so Hoben: Mit ihnen kamen die Fahrerlebnisse in die Öffentlichkeit. Das Abenteuer Zeppelin sei schon immer durch das geschriebene Wort begleitet worden. So war beispielsweise Hermann Hesse zu einem Rundflug mit dem Luftschiff Schwaben eingeladen.
Es wurde viel Volkspoesie gedichtet, aber es wurden auch Theaterstücke verfasst, in denen der Zeppelin als eine Metapher zur Zeitbeschreibung auftauchte, so Hoben: Beispielsweise stellte Ödön von Horvath in seinem Theaterstück „Kasimir und Karoline“ das monströse Luxusobjekt den arbeitslosen Menschen in München gegenüber. Auch Karl Kraus, Berthold Brecht, Stefan Zweig und Lion Feuchtwanger machten das Luftschiff zu ihrem Sujet. Der Zeppelin wurde zu einem Narrativ und erlangte eine kulturelle Bedeutung als Symbol der Moderne – doch ebenso auch als Symbol des Schreckens, als im Ersten Weltkrieg mit Zeppelinen London bombardiert wurde. Bereits 1910 sah der Publizist uns Schriftsteller Erich Mühsam in einem Tagebucheintrag den möglichen Einsatz der Zeppeline in einem Krieg voraus.
Bombardierung Londons im Ersten Weltkrieg
EIn Rolf Hochhuts „Effis Nacht“ zieht die Protagonistin in ihrem Bühnenmonolog von der Zerstörung Friedrichshafens 1943 eine Parallele zu der Bombardierung Londons im Ersten Weltkrieg. Und in ihrem Buch mit dem Titel „ABC meines Lebens“ erscheint bei Schauspielerin Marlene Dietrich unter dem Buchstaben Z wie Zeppelin der Abbruch der Bombardierung Manchesters durch den Deutschen Kaiser, weil sich dort zeitgleich sein Vetter, der König von England, aufgehalten hatte. Der Zeppelin sei über dem Ozean von den Engländern abgeschossen worden.
Der Kapitän des Zeppelins war der Onkel der Dietrich. Ihre Tante habe noch lange auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet – lange, nachdem der Krieg beendet war.
Buch und Autor
Die literarischen Zeppelinaden und Anthologie „Spazierfahrt in der Luft“ wurden von Franz Hoben im Verlag Klöpfer und Meyer herausgegeben. Die zweite, erweiterte Ausgabe ist nur noch im Modernen Antiquariat erhältlich. In dem über 300 Seiten großen Werk äußern sich 41 Autoren, Schriftsteller und Journalisten mit 47 Texten über den Mythos Zeppelin. Sie geben einen faszinierenden Einblick in die Luftschifffahrt und die Wirkung der Zeppeline auf die Menschen.
Franz Hoben wurde 1956 in Ailingen am Bodensee geboren. Er studierte Literaturwissenschaften, Mediävistik und Sprachwissenshaften und verfasste zahlreiche Essays und Literatur-Kritiken.
Anlässlich der Ausstellung über Lotte Eckener veröffentlichten Siegmund Kopitzki und Dorothea Cremer-Schacht eine im Hesse Museum Gaienhofen erhältliche Druckschrift über die Person und das Werk der Fotografin und Verlegerin.