Wird in den Ortschaften von Gaienhofen zu schnell gefahren? Dieser Frage ging die Verwaltung mit einer Geschwindigkeitsmessung an acht verschiedenen Standorten nach. Die Daten, die sie dem Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung nun vorgelegte, sprechen für diese Annahme. Das Ergebnis: Fast die Hälfte aller Fahrzeuge überschritt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit.
An fünf von acht Messstellen wurde zudem eine wichtige Kenngröße kritisch überschritten. Dazu gehören die Ortseinfahrt von Hemmenhofen nach Gaienhofen, die Tempo-30-Zone an der Schlossschule wie auch die Ortseinfahrt Gaienhofen von Richtung Weiler kommend sowie zwei verkehrsberuhigte Straßen an der Kita Seestern im Ortsteil Horn. Rund 90 Prozent überschritten an der Kita die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Doch Folgen hat das alles erst einmal nicht. Warum? Und welche Werte sind überhaupt kritisch?
Über 100.000 Messungen
Insgesamt wurde nahezu 111.000 Mal die Geschwindigkeiten gemessen. Aus dieser riesigen Anzahl von Messdaten musste eine praktische Zahl ermittelt werden, um das Geschwindigkeitsniveau, also das tatsächliche Fahrverhalten, an der jeweiligen Messstation beurteilen zu können. Hier kommt ein Indikator von Verkehrsingenieuren zum Tragen: der V85-Wert. Er gibt die Geschwindigkeit an, die von 85 Prozent der Fahrer nicht überschritten wird, und ist Grundlage der Entscheidung, ob Maßnahmen getroffen werden.
Und obwohl an fünf von acht Standorten dieser Indikator in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit kritisch überschritten wurde, folgten aus dem Rat keine Konsequenzen. Denn letztlich lehnten die Gemeinderäte einstimmig die Stationierung von zwei Blitzern aus einem Angebot des Landkreises ab. Dabei haben die Messdaten es durchaus in sich.
Ortseingang aus Richtung Hemmenhofen besonders betroffen
82 Prozent aller Fahrzeuge fahren aus der Richtung Hemmenhofen kommend mit einer zu hohen Geschwindigkeit in den Ortseingang von Gaienhofen. An dieser Messstation wurden innerhalb von zwei Wochen in Richtung Dorfkern 17.502 Fahrzeuge mit ihren Geschwindigkeiten erfasst. Jedes siebte Fahrzeug, das sind 15 Prozent, fuhr dort innerorts schneller als 67 Stundenkilometer.
Gefährlich ist das Verhalten von Verkehrsteilnehmern dann, wenn dieser V85-Wert das Limit um fünf Stundenkilometer übersteigt, sind sich Verkehrsingenieure einig. An dieser Messstation liegt dieser V85-Wert bei 67 Stundenkilometern – und damit um 17 Stundenkilometer über dem erlaubten Tempolimit. Der Negativ-Rekord lag sogar bei 151 Stundenkilometer innerorts.
Nebenan liegen der Bodenseeradweg und Campingplatz
Ganz in der Nähe dieser Messstation liegt der Bodenseeradweg. Er wird laut Landesregierung jährlich von 200.000 Radfahrern genutzt. Sie fädeln sich dort in die Hauptstraße senkrecht ein. Hinzu kommt ein Zugang zu einem privat geführten Campingplatz mit über 90 Stellplätzen. 100 Meter entfernt beginnt in Richtung Dorfkern wegen der Schlossschule eine Tempo-30-Zone. Auch dort überschritten laut Messungen noch sechs von zehn Fahrzeugführern die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Trotz enger Fahrbahn fuhr jeder siebte Fahrer über 39 Stundenkilometer schnell.
Das waren 8481 Fahrzeuge innerhalb von zwei Wochen, die den V85-Wert in beide Fahrtrichtungen um mindestens neun Stundenkilometer in Bezug zum Tempolimit überschritten hatten. Der Gefahrenwert liegt auch hier bei einer Überschreitung von fünf Kilometer pro Stunde. Der Rekord am Messort lag bei 75 Stundenkilometern. Ein Gemeinderat bemängelte hier jedoch die fehlende Kenntnis, ob die Messung dort auch an Zeiten geführt wurde, an denen das Tempo-30-Limit nicht gelten würde.
85 Prozent aller Fahrzeugführer hielten sich an den Messstellen auf der Höhe des Horner Zebrastreifens und an der Seegertenstraße in Horn sowie an der Ortseinfahrt Gundholzen aus Richtung Iznang kommend an das Tempo-Limit. Dies wird von Verkehrsingenieuren für gewöhnlich als ein moderates Verhalten eingestuft.
Doch sie würden nach den vorgelegten Daten das Fahrverhalten an den Ortsausgängen von Gaienhofen in Richtung Hemmenhofen und Weiler sowie vor der Schlossschule oberhalb der Toleranzschwelle ausmachen, was Maßnahmen sinnvoll machen würde.
Gemeinderäte lehnen Blitzer-Anlagen ab
Bürgermeister Jürgen Maas zeigte sich bewusst, dass es sich bei den Daten um keine geeichte Messung handelt. Er begriff die Werte vielmehr „als einen ersten Anhaltspunkt zur Ist-Situation“ in den Ortschaften. Für ihn sei die V85-Geschwindigkeit ein guter Richtwert – trotz der möglichen Abweichungen.
Maas regte dennoch an, dass aus einer vom Landratsamt zugewiesenen Charge zwei Messgeräte mit Blitzer gegenüber der Schlossschule sowie an der Hauptstraße 132 in Horn stationiert werden könnten. Für deren Errichtung würden Kosten in Höhe von 5000 Euro je Blitzer auf die Gemeinde zukommen.
Doch der Gemeinderat stimmte einstimmig gegen Maas Vorschlag. Was diese Entscheidung schwierig macht? Er stimmte auch mehrheitlich für eine Reduktion der Geschwindigkeit in seinen Ortschaften. Mit seinem Beschluss wendete er sich aber nun einstimmig gegen eine auf Dauer angelegte Abschreckung von Verkehrssündern an zwei möglichen Gefahrenzonen. Denn noch am 25. April hatte der Rat potenzielle Standorte für einen Blitzer an der Ortsausfahrt von Gaienhofen in Richtung Hemmenhofen sowie an der Ampel und Bushaltestelle in Horn beschlossen.