„Die letzten 1,5 Jahre waren für uns die anstrengendsten seit Übernahme der Praxis vor über 20 Jahren.“ So drastisch beschreibt Stefan Wilms die Situation in der Gemeinschaftspraxis, die er mit seiner Frau in Gottmadingen betreibt. Die Corona-Pandemie mache inzwischen 70 Prozent ihres Arbeitsalltags aus, ob in Form von Beratungen, Impfungen oder Tests.

Das Telefon stehe nicht mehr still, es entstehen Warteschlangen im Treppenhaus und die Stimmung ist angespannt. Doch da sind ja auch noch andere Patienten, die versorgt werden wollen. Hausärzte nähern sich in großen Schritten der Belastungsgrenze, sagt der erfahrene Arzt.

Dennoch ist er in Teilen zuversichtlich: Mit Impfungen könne man die vierte Infektions-Welle brechen. „Wir müssen Impfunwillige erreichen und überzeugen“, sagt Wilms. Deshalb beteiligt er sich an dem Impftag, den der Hausärzteverband für Samstag, 27. November, angeregt hat. Auch wenn das weitere Belastung für ihn und sein Team bedeutet.

Machen sich Impf-Ärzte die Taschen voll?

Impfen, impfen, impfen. Das ist für Stefan Wilms der einzige Weg aus der Pandemie. Jede Erstimpfung sei ein Erfolg. „Wir glauben ganz persönlich, dass der nächste Lockdown sonst nicht mehr aufzuhalten ist“, sagt Wilms. Dass Kritiker impfenden Ärzten wirtschaftliche Interessen vorwerfen, nimmt er gelassen: „Jeder kann gerne einmal vorbeikommen und sich ein Bild machen. Die Bezahlung sehen wir lediglich als Aufwandsentschädigung.“ Denn es brauche viel Zeit, um so einen Impfnachmittag möglichst reibungslos zu organisieren.

Mit einem Piks sei es nicht getan

Das Impfen selbst sei zwar schnell gemacht, doch dazu gehöre mehr. Wilms zählt auf: Terminvergabe, Aufklärung, stundenlanges Telefonieren wegen Terminwünschen, Eintragungen ins Impfbuch und QR-Codes für den digitalen Impfnachweis erstellen.

Trotz des Aufwands hält er den Impftag für eine gute Idee: „Es ist notwendig alles zu tun, um jetzt schnellstmöglich die Drittimpfungen durchzuführen und hoffentlich noch möglichst viele für Erstimpfungen zu erreichen. So können wir die mobilen Impfteams unterstützen und nur gemeinsam schaffen wir das Ganze.“ Deshalb plane er auch im Dezember zusätzliche Impftage in seiner Praxis.

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Ein Impfzentrum würde helfen. Weniger Bürokratie auch

Bis vor wenigen Wochen konnten sich viele Menschen im Impfzentrum einen Piks geben lassen. Eine erneute Einrichtung würde Wilms befürworten: „Impfzentren wären sicherlich eine sehr gute und hilfreiche Option.“ Aber das allein sei nicht die Lösung: „Der bürokratische Aufwand muss deutlich reduziert werden, auch in den Praxen.“

Weniger Biontech-Impfstoff sorgt für Unmut

Und dann sorgt der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auch noch für zusätzlichen Aufwand, indem er die Bestellungen von Biontech-Impfstoff begrenzte. Das habe für viel Unmut bei den Hausärzten gesorgt, sagt Wilms. Bislang wurde in der Gottmadinger Praxis besonders Impfstoff der Firma Biontech/Pfizer genutzt. Anfang des Jahres habe er vereinzelt Impfstoff von AstraZeneca oder Johnson&Johnson verwendet.

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Die Aktion von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe viel Zeit gekostet: „Wir hatten für die nächsten Wochen schon im Voraus geplant, Termine vergeben, Aufklärungen durchgeführt und mussten innerhalb weniger Tage die Patienten informieren, dass sie nicht den zugesagten Impfstoff erhalten werden“, erklärt Stefan Wilms.

Als Gemeinschaftspraxis hätten sie für die vergangene Woche die maximal möglichen acht sogenannte Vials mit Biontech/Pfizier pro Arzt und Woche erhalten, das entspricht bei zwei Ärzten insgesamt 96 Impfdosen. Dazu kamen vier Vials Moderna, was 40 Impfungen entspricht.

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Dabei fehlt die Zeit schon jetzt an vielen Ecken. Denn Corona ist aktuell zwar dominierend, aber bei weitem nicht einzige Krankheit. Auch Impfungen gegen die saisonale Grippe beschäftigen die Praxis.

Und was ist mit Vorsorge?

„Wir versuchen, Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen so gut es eben zeitlich geht. Wir müssen aber unsere Präsenzzeiten deutlich verlängern, damit dies überhaupt möglich ist“, erklärt Stefan Wilms.

Kranke Patienten würden sich schon beschweren, weil sie die Praxis telefonisch schwer erreichen. Zu viele Anrufe wegen Impfterminen fordern das Praxisteam. Andere Patienten ärgern sich über lange Schlangen im Treppenhaus. Das liege an den nötigen Abständen, erklärt Wilms.

Manche Menschen seien rücksichtslos

Der Hausarzt betont auch seine Dankbarkeit: „Glücklicherweise haben wir sehr verständnisvolle Patienten und tolle Helferinnen, die diese ganze Last und Arbeit mit uns tragen.“ Doch es gebe auch immer wieder rücksichtslose und uneinsichtige Menschen. „Wir glauben, sie erkennen den Ernst der Lage nicht. Das berichten auch unsere Kollegen.“

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Am Wochenende soll verstärkt geimpft werden

  • Samstag: Der Hausärzteverband Baden-Württemberg hat seine rund 4000 Mitglieder zur Beteiligung an einem Impfaktionstag aufgerufen, wie er in einer Pressemitteilung schreibt. Damit soll der tägliche Praxisalltag entlastet werden und das Impftempo vorangetrieben werden. „Die Hausärztinnen und Hausärzte stehen mit ihren Teams seit Monaten an vorderster Front in der Bekämpfung der Pandemie“, sagt Dr. Berthold Fritsche laut Mitteilung als Vorsitzender des Landesverbands. Ihnen sie bewusst, dass die Praxen momentan sehr belastet sind und zahlreiche Praxen trotzdem zusätzliche Impfangebote organisieren würden. „Die vielfältigen Impfangebote machen erneut deutlich, dass das Rückgrat unserer Versorgung die Hausarztpraxisteams sind“, betont Dietsche. Am Impfaktionstag würden sich zahlreiche Praxen beteiligen.
  • Sonntag: Der Bürgerverein Überlingen am Ried hat einen Impftag für die Bürger aus Überlingen und Bohlingen organisiert. Am Sonntag, 28. November, stehen in der Riedblickhalle, Bodanstraße 28, von 11 bis 15.30 Uhr zwei Impfteams des Landes Baden-Württemberg zu Verfügung, wie der Verein mitteilt. Es sollen Impfungen mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson&Johnson sowie Erst-, Zweit- und Drittimpfungen mit einem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer und Moderna angeboten werden. Eine Anmeldung sei nicht nötig. Zweitimpfungen seien nur möglich, wenn die Erstimpfung mindestens drei Wochen vorher erfolgt ist. Drittimpfungen werden verabreicht, wenn die zweite Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt. Impfberechtigt sind alle Personen ab zwölf Jahren. Jugendliche zwischen zwölf und einschließlich 15 Jahren werden nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten geimpft. Mitzubringen sind ein Ausweis sowie der Impfpass. Bei vollständiger Impfung werde ein QR-Code für den digitalen Impfpass ausgehändigt.