Roland Kunze scheint seinen Auftritt vor dem Amtsgericht Singen zu genießen. Sicheren Schrittes nimmt er auf dem Stuhl Platz und blickt die Richterin an. Er soll als Zeuge aussagen, als Geschädigter. Denn er hat im April Anzeige erstattet, nachdem einer seine Nachbarn in der Kleingartenanlage Kabisland ihn mit einer Kette geschlagen haben soll. Hinterrücks, ohne Vorwarnung, wie Kunze im Zeugenstand erklärt. Eindringlich schildert er seine Verletzungen, Bilder zeigen zwei rote Striemen am Rücken. Genau schildert er die örtlichen Gegebenheiten und erklärt, wo welche Gartenhütte steht und warum es zum Streit mit dem Angeklagten kam: Dieser habe zwei Hütten auf einer Parzelle, das sei so nicht erlaubt.

„Dass in der Kleingartenanlage nicht alles so friedlich läuft, ist mir klar“, sagt die Richterin im Verlauf der Verhandlung. Doch gab es nun eine gefährliche Körperverletzung oder nicht? Spätestens nach einem zweiten Verhandlungstag ist klar: Der Vorfall kann so nicht geschehen sein.

Unter Schock nach Schlägen mit einer Fahrradkette: Wie Roland Kunze den Zwischenfall schildert

Der Angeklagte sagt nicht viel während des Verfahrens: Der 66-jährige Rentner lässt seinen Verteidiger Gianpiero Fruci für ihn erklären, dass es keine Schlägerei und auch keine körperliche Misshandlung gegeben habe. Roland Kunze hingegen schildert ausführlich, was am 6. April geschehen sein soll: Auf dem Rückweg zu seiner Parzelle in der Kleingartenanlage Kabisland sei er von hinten mit einer Kette geschlagen worden. „Ich habe gesehen, wie er mich geschlagen hat“, behauptet er als Zeuge vor Gericht. Wenig später relativiert er: „Gesehen habe ich die Kette nicht, nur gespürt.“ Er habe unter Schock gestanden, als er gegenüber Polizisten von einer Fahrradkette sprach.

Die Kleingartenanlage Kabisland.
Die Kleingartenanlage Kabisland. | Bild: Tesche, Sabine

Ein Arztbesuch am Tag nach der angeklagten Tat bestätigt Blessuren. Und zwei Wochen später sei sein Rücken noch grün und blau gewesen. Polizisten fanden später auch eine Kette in der Gartenhütte des Angeklagten, allerdings über zwei Meter lang und rostig. Dass sein knapp 1,50 Meter großer Mandant diese erst auffällig parallel auf Kunzes Rücken knallen ließ und dann damit wegrannte, hielt der Verteidiger für sehr fragwürdig. Ein eigens anberaumter zweiter Verhandlungstag zeigt: Mit dieser Kette kann Kunze nicht geschlagen worden sein.

Wie der einstige Bürgermeisterkandidat sich selbst darstellt: Beliebt

Zuvor lässt Kunze kein gutes Haar am Angeklagten: Er spricht von Stalking, seit dieser vor wenigen Jahren in die Kleingartenanlage kam. „Ich wollte schon eine einstweilige Verfügung erwirken, weil der ständig guckt, was ich mache.“ Außerdem hetze der Angeklagte andere gegen ihn auf. „Der spielt sich auf wie der Chef.“ Er hingegen sei seit Jahrzehnten im Kabisland aktiv und beliebt: 67 Pächter hätten ihn zum Sprecher der Kleingartenanlage gewählt. Der verantwortliche Kämmerer Gottmadingens erklärt auf SÜDKURIER-Nachfrage, dass es offiziell keinen Sprecher gibt und braucht. Außerdem gebe es rund 200 Pächter für die 300 Parzellen.

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Kunze erklärt vor Gericht weiter, dass er bei der Bürgermeisterwahl über zehn Prozent der Stimmen erhalten habe [Anmerkung der Redaktion: Es waren 9,3 Prozent]. Auf Nachfrage des Verteidigers, ob es Beschwerden über ihn gebe, räumt er ein: „Dass man nicht überall beliebt ist, ist klar.“ Er stehe für das Recht und melde deshalb auch mal bei der Gemeinde, wenn jemand gegen die Satzung verstoße.

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Zeuge war dabei – und hat was ganz Anderes beobachtet

Der Zeuge, zu dem Kunze nach der vermeintlichen Attacke floh, sagt offen: „50 Prozent der Kleingärtner dulden ihn und 50 Prozent hassen ihn.“ Ein weiterer Zeuge wird deutlicher: Nicht der Angeklagte, sondern Kunze sei ein Unruhestifter. „Es gibt ständig Vorfälle und Herr Kunze ist immer darin verwickelt“, sagt er. Seine Familie habe seit Jahrzehnten einen Garten, er kenne es nicht anders. Den angeklagten Vorfall habe der Zeuge nur wenige Parzellen entfernt beobachten können – und ganz anders erlebt.

„Da war keine Kette im Spiel.“ Stattdessen habe es Beschimpfungen zwischen dem Angeklagten und dem vermeintlich Geschädigten gegeben. Der Angeklagte sei dabei gestolpert und Kunze habe versucht, ihn zu schlagen. Doch verletzt habe keiner den jeweils anderen. Der Angeklagte sei dann zurück in seinen Garten gegangen, auch Kunze ging seines Weges. Und kurz später seien zwei Streifenwagen eingetroffen, Kunze habe sich theatralisch auf den Boden gesetzt und den Rücken gehalten. „Obwohl er davor ganz normal gelaufen ist“, so der Augenzeuge.

Eine Verschwörung gegen den Zeugen?

Und Roland Kunze? Der wird nach den Zeugenaussagen noch einmal gehört, widerspricht aber der Schilderung des Zeugen: „Das stimmt alles nicht.“ Er mutmaßt sogar, dass der Angeklagte einen Landsmann bestochen habe, falsch auszusagen. Das Gericht kommt aber zu einem anderen Ergebnis.

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