Demenz ist mehr als nur das große Vergessen. Die Krankheit äußert sich auch auf andere Arten. Beispielsweise durch eine Zeitrasterstörung. Das bedeutet: Jemand springt in Gedanken und Erzählungen von einer Epoche in die andere. Der 92-Jährige fühlt sich, wie wenn er wieder zur Arbeit muss. Oder Oma ist in Gedanken wieder ein Kind. Hier setzt Ulrike Blatters neues Kinderbuch an.
Sie erzählt die Geschichte einer betagten, hilflosen Frau. Diese kann sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Daher der Titel des Buches: „Kannst du mir sagen, wie ich heiße?“ Im Buch findet der Leser auch einen Teil mit Informationen – damit Eltern und Kinder ins Gespräch kommen können.
Nicht nur Menschen mit einer Demenz springen in den Zeiten umher. Auch im Gespräch mit der Autorin dreht es sich mal um die Jetzt-Zeit, dann wieder um die Vergangenheit: die Büllerbü-Kindheit ihrer Kinder in Gottmadingen. Der Vater, der an Demenz erkrankt ist. Und ihr eigener Berufswunsch: Hebamme wollte sie einmal werden. Doch zuhause war das Geld knapp.
Zur Autorin und zum Buch
Da sie ein gutes Abitur hatte, entschied sie sich eben für ein Medizinstudium. Dafür gab es Bafög. Aus der Ärztin wurde schließlich eine Autorin. Sie schreibt auch Bücher, die von Verlagen nicht angenommen werden. Weil das Thema zu schwer ist – oder nicht so viele Leser interessiert. Blatter stört das nicht. Sie bringt die Bücher dann eben auf eigene Faust heraus. „Mit 63 Jahren kann ich es mir leisten, über meine Herzensthemen zu schreiben“, sagt sie und schmunzelt dabei.
Erfahrungen vieler Menschen fließen in die Erzählung mit ein
Erfahrungen mit Kinderbüchern bringt die Autorin viele mit. In ihrem ersten Kinderbuch ging es um Kinderzeichnungen. Diese waren nicht schön genug – und sollten weggeworfen werden. Ein anderes Buch handelt von Schulproblemen in der ersten und zweiten Klasse. Auch über Obdachlosigkeit und Schule schwänzen hat sie geschrieben. „Alle Probleme der Welt lassen sich mit einem blauen Fahrrad lösen“, fasst sie das Fazit dieses Buches zusammen. Mit dieser Leichtigkeit geht sie auch an das Thema Demenz heran.
Während sie sich um ihren demenzkranken Vater kümmerte, besuchte sie eine Demenz-Angehörigengruppe, die sich regelmäßig zum Frühstück trifft. Noch heute, nachdem ihr Vater gestorben ist, trifft sie sich dort mit anderen Angehörigen zum Frühstück. „Der Schmerz endet ja nicht, wenn jemand verstorben ist“, sagt die Autorin.
In der Angehörigengruppe hat sie auch das Manuskript des aktuellen Kinderbuches präsentiert. Die anderen Teilnehmer haben ihre eigenen Erfahrungen zurück gemeldet. Diese sind in das Buch eingeflossen. Auch die Anmerkungen von Kindern haben das Buch geprägt, so Blatter. Überhaupt gehört das zum Konzept ihrer Bücher: Blatter geht zu Lesungen in Schulklassen – und kommt mit den Kindern über das Thema ins Gespräch.
Die fröhlichen Bilder des Buches fangen den leichten Charakter auf, den sie ihrer Geschichte gegeben hat. Die Illustratorin habe das Manuskript gelesen und dann das Bild der Oma gemalt. Ulrike Blatter sagte dann über das Bild: „Das ist sie.“ Es sei ein Glücksfall gewesen, dass es zwischen Autorin und Illustratorin gleich so klappt.
Die Zeitrasterstörung kommt übrigens nicht nur in den geschriebenen Worten der Geschichte vor. Auch die Zeichnerin hat sie aufgefangen. So trägt eine Person auf zwei Bildern eine rote Baskenmütze. Einmal die alte Dame. Und einmal die gleiche Frau, als sie noch ein Kind war.