Gottmadingen – Die Narrenbändel in der Fahr-Kantine hingen schon. Und sie passten auch nicht schlecht zum Anlass der Veranstaltung des BUND Gottmadingen. Wegen der letzten Ereignisse – nicht nur in der Bundes-Politik – könne man schon mal denken, man sei in einem Narrenhaus, bemerkte Eberhard Koch vom Vorstand des BUND am Rande. Rund 120 Zuhörer waren gekommen, um den Vortrag von Professor Wolfgang Ertel von „Scientists for Future“ Ravensburg zum Thema „Klimakrise und Energiewende – Wandel für eine stabile Zukunft“ zu hören.
Am 23. Februar haben die Bürger bekanntlich die Wahl. Mit einer neuen Regierung müssen dann auch konsequente Weichen für den Schutz des Klimas gestellt werden. Warum das so wichtig ist und warum es schon „fünf nach zwölf“ ist, erläuterte Wolfgang Ertel, emeritierter Professor am Institut für Künstliche Intelligenz der Hochschule Ravensburg-Weingarten und als Vertreter der Regionalgruppe der „Scientists for Future“ Ravensburg. Ohne Werbung für irgendeine Partei zu machen, appellierte er, die Programme der einzelnen Parteien genau hinsichtlich der Maßnahmen für einen effizienten Klimaschutz unter die Lupe zu nehmen.
Doch zunächst zeigte er ein Foto von einer medienwirksamen Aktion gemeinsam mit dem Klimaaktivisten Samuel Bosch. Im Mai 2021 hatte er, kopfüber hängend an einem Seil, mit Transparenten auf die permanente Beheizung von Hörsälen der Hochschule aufmerksam gemacht. Es sei ein jahrelanger, schier endloser Kampf gegen die Bürokratie gewesen. Heute habe die Hochschule zwei Klimaschutzmanager. Immerhin. Weil er diese Aktion nicht angemeldet hatte, sei er zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt worden. „Seit drei Jahren warte ich auf die Berufungsverhandlung“, so Ertel.
Schließlich kam Ertel auf den Klimawandel zu sprechen. Die Menschheit habe bis zum Jahr 2024 rund 1800 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre gelassen. „Für ein 1,5-Grad-Ziel, wie im Pariser Klimaabkommen von 2015 beschlossen, haben wir noch ein Restbudget von etwa 300 Gigatonnen“, sagte er. Wenn man davon ausgehe, dass jährlich 40 Gigatonnen in die Atmosphäre gehen, habe man noch gut sieben Jahre Zeit. „Die Ursachen für den Klimawandel sind menschengemacht, darin sind sich alle Wissenschaftler einig“, so Ertel. Man kenne die Auswirkungen wie Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren, die immer häufiger vorkommen.
„Faktisch gesehen ist das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu schaffen“, ist Ertel überzeugt. In Deutschland habe man sich im Klimaschutzgesetz vorgenommen, bis 2045 klimaneutral zu sein. „Manche Parteien streben an, dieses Gesetz wieder aufzuweichen“, so Ertel. Das Umweltbundesamt schlage in puncto CO2-Emissionen einen Preis von 800 Euro pro Tonne CO2 vor. „Das wäre ein ethisch korrekter Wert, auch mit Blick auf die kommenden Generationen“, sagte Ertel. Aktuell steht der Preis bei 55 Euro pro Tonne. Für die Zukunft brauche man noch mehr Strom aus Windkraft und Sonne. Außerdem müssten Netze und Speicher ausgebaut werden. „Die Wärmewende mit regenerativer Fernwärme oder Wärmepumpe geht auch bei Altbauten und Mehrfamilienhäusern“, sagte er. Im Übrigen würden sich die Heizkosten für mit Öl oder Gas betriebene Heizanlagen bis 2045 etwa verdoppeln, während die Stromkosten bei Wärmepumpen gleich bleiben oder verglichen mit 2025 sogar etwas sinken werden, so der Professor.
Ein weiteres Feld sei die Verkehrswende – weg von der Mobilität mit fossilen Brennstoffen hin zu Elektrofahrzeugen, auch im öffentlichen Nahverkehr. Doch in Deutschland setzten die Autokonzerne immer noch zu sehr auf Modelle mit fossilen Brennstoffen.
Immer wieder sprächen manche Parteien im Wahlkampf aktuell von einer Wiedernutzung der Atomenergie. „Strom aus Kernkraft ist extrem teuer und riskant. Wir haben weltweit aktuell nur ein Endlager in Finnland“, sagte Ertel. Strom, der aus Windkraft oder Sonne gewonnen wird, sei nicht nur viel billiger als Atomstrom, sondern auch niederschwellig und skalierbar, zum Beispiel bei kleinen Balkonkraftwerken. Zu den von Ertel genannten Zahlen zur Effizienz von Windkraft und Sonne konnte Bene Müller, Geschäftsführer von Solarcomplex, am Ende noch positivere Zahlen nennen. Eine Photovoltaik-Anlage erwirtschafte 1,1 bis 1,2 Millionen Kilowattstunden Strom pro Hektar im Jahr und bei Windkraft liege die Effizienz heutzutage bei 10 Millionen Kilowattstunden je Hektar und Jahr, so Müller. Ertel hatte in seinem Vortrag mit 700.000 beziehungsweise 1,3 Millionen Kilowattstunden pro Hektar und Jahr deutlich niedrigere Zahlen genannt.
Um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, müsse man auch auf Geothermie, saisonale Wärmespeicher und Wasserstoff setzen. „Nur eine schnelle Energiewende wird die Wirtschaft wieder voranbringen“, bekräftigte Ertel. Doch leider sei die Politik geprägt von Machtmenschen, die wiedergewählt werden wollen. Dem Bürger bleibe da nur die Option, von außen Druck auf Demos auszuüben, wie beim Klimastreik. Überdenken sollte jeder auch seinen Fleischkonsum und diesen reduzieren. Besonders Rindfleisch schlage wegen sehr hoher CO2-Emissionen zu Buche. Immerhin sei der Fleischkonsum in Deutschland von 60,8 Kilo pro Kopf und Jahr im Jahr 1997 auf 52 Kilo im Jahr 2022 gesunken.