Sobald Henri den Raum betritt, ist ihm die Aufmerksamkeit der Schüler sicher. Weil er so süß ist, sagen sie. Weil er so flauschig ist. Und weil er so lieb ist, sind sie sich einig. Henri ist nämlich ein ganz besonderer Besucher der Peter-Thumb-Schule, er ist ein Golden Retriever. Der Schulhund ist seit knapp drei Jahren im Einsatz, um Kindern ihre Ängste zu nehmen und für ein angenehmes Schulklima zu sorgen. Und das klappt bestens, sagen Schulleiter Martin Trinkner und Schulsozialarbeiterin Johanna Heinz.
Mit in eine Schulklasse tapsen, in der großen Pause viele Streicheleinheiten abholen oder doch Vorlese-Paten zuhören? Henri hat einen abwechslungsreichen Schultag. Gassi gehen steht auch noch auf dem Stundenplan! Und die Zahl der Bewerber, die dabei seine Leine halten möchten, ist lang. Nur wenige Kinder seien anfangs zurückhaltend. „Es haben sich auch schon Eltern bei mir bedankt, dass wir die Hürden abgebaut haben und ihr Kind nun keine Angst mehr vor Hunden hat“, erzählt Heinz. Die meisten würden Henri aber von Anfang an freudenstrahlend entgegen laufen.
Hundeführerschein für bewussten Umgang
Auch an diesem Morgen dauert es nicht lange, bis der Hund seine ersten Fans findet. Jule und ihre Freundin knien sich rasch hin, um ihn von Kopf bis Fuß streicheln zu können. Nebenan drücken sich bereits erste Schüler an die Glasscheibe, um einen Blick auf Henri zu erhaschen. Sie kennen den Golden Retriever bestens und haben im vergangenen Jahr den Hundeführerschein gemacht. Drittklässler erfahren dabei spielerisch, was im Umgang mit einem Hund zu beachten ist. „Ein Hund braucht Liebe und viel Zeit“, erinnert sich Katharina. Und was noch? Die Hand von Lukas schnellt in die Höhe: „Man muss erstmal den Besitzer fragen, ob man den Hund streicheln darf.“
Seine Stärke: Er hört einfach zu
Die Schüler verstehen den Hund und der Hund versteht die Schüler. Henri habe ein feines Gespür dafür, wenn ein Kind traurig sei, sagt sein Frauchen Johanna Heinz. Dann lege er sich einfach dazu. Henri sei ein Türöffner und Kinder würden ihm gerne erzählen, was sie belastet. „Der Hund wertet nicht, unterbricht nicht oder verbessert. Er hört einfach zu“, erklärt Johanna Heinz. Das helfe Schülern, Selbstvertrauen zu fassen.
Raphael gehört zu denjenigen, die dem Golden Retriever beim Lesehund-Projekt vorgelesen haben und bestätigt das. „Manchmal ist Henri auch eingeschlafen“, sagt er mit einem Lächeln. In einem anderen Fall unterstützt der Golden Retriever eine Erstklässlerin dabei, den langen Schultag ohne Eltern zu meistern. „Sie freut sich morgens schon darauf, dass sie mittags mit Henri spazieren gehen darf“, schildert die Schulsozialarbeiterin – so vergesse die Sechsjährige fast, dass sie eigentlich zu ihrer Mama möchte.
Traumjob: Henri liebt den Kontakt mit Menschen
Den Schulalltag kennt Henri seit klein auf. Und so liege er selbst dann entspannt auf dem Rücken, wenn 400 Schüler an ihm vorbei in die Pause stürmen. „So entspannt sind dann auch die Kinder“, nennt Schulleiter Trinkner einen positiven Effekt des Schulhundes. „Das ist quasi sein Traumjob“, sagt Johanna Heinz und lacht.
Mit 1,5 Jahren wurde Henri in Böblingen zum Therapiehund ausgebildet, seit August 2018 trägt er ein entsprechendes rotes Halsband. Er habe ein sehr ausgeglichenes Wesen, weshalb er die Ausbildung sechs Monate früher als andere beginnen durfte. In der Ausbildung habe Henri auch stressige Situationen mit vielen Menschen in lauter Umgebung geübt. Dennoch: „Ich bin immer dabei, um den Hund und die Kinder zu schützen“, versichert Heinz. Nicht weil sie befürchtet, dass er schnappen würde – sie würde für Henri ihre Hand ins Feuer legen. Sondern um Hund wie Kinder nicht zu überfordern. Wobei Henri einfach weglaufe, wenn es ihm zu viel werde.
Ein Ruhetag pro Woche muss sein – und einige Pausen
Denn so ein Trubel sei auch anstrengend für das Tier. Deshalb brauche Henri regelmäßig eine Pause. Johanna Heinz' Büro gegenüber der Schule an der Hauptstraße 59 ist sein Rückzugsort, außerdem hat er einen Ruhetag pro Woche. Und sobald das rote Halsband mit der Aufschrift Therapiehund gelöst ist, wird Henri zum normalen Haustier. Denn auch wenn sich der ein oder andere Schüler schon besorgt erkundigt habe, wer Henri denn in den Ferien Gassi führt: Der Schulhund wohnt natürlich nicht in der Schule, sondern bei Johanna Heinz.
Das ist auch der Grund, weshalb seine Gefährtin Emma nicht mehr an der Schule ist – bis vor wenigen Monaten hatte die Peter-Thumb-Schule nämlich zwei Schulhunde, doch der bisherige Konrektor Dirk Marschall nahm seinen Hund beim Jobwechsel mit. „Zum Glück ist der Henri noch da“, laute die einhellige Meinung der Schüler, sagt Schulleiter Martin Trinkner. Die Begeisterung, wenn er durch die Gänge tapst, ist jedenfalls groß.
Die Ausbildung
Der Verein IG Therapiehunde Böblingen bildet nach eigenen Angaben jährlich neue Therapiehundeteams aus. Im Gegensatz zu Servicehunden, wozu etwa Blindenhunde zählen, durchlaufen Therapiehunde gemeinsam mit ihrem Frauchen oder Herrchen die etwa 60-stündige Ausbildung. „Mensch und Hund treten immer als Team auf“, schreibt der Verein. Einsatzort kann neben Schulen und Kitas etwa auch ein Seniorenheim sein. Tiere würden dabei wegen mehrerer Eigenschaften positiv wirken: Sie sind unter anderem ohne Vorurteile, schenken unverfängliche Nähe, sind Eisbrecher und bauen Brücken zu Menschen, die sich zurückziehen.
Therapiehunde müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, dazu zählen ein ausgeglichenes Wesen, eine hohe Reizschwelle und ein jährlicher Gesundheitscheck. Auch der Halter eines Therapiehundes sollte den Umgang mit Menschen mögen – stellt der Verein fest – und Lust haben, seinen Hund in der Ausbildung noch einmal neu kennen zu lernen.
Weitere Informationen unter: www.ig-therapiehunde.de