Zwangsversteigerung: Das Wort klingt technisch und juristisch, doch gleichzeitig auch nach einem Vorgang, der nur selten etwas Gutes zu bedeuten hat. Der Eindruck bestätigt sich beim Besuch im Amtsgericht Singen. Dort kam kürzlich ein Einfamilienhaus samt Grundstück in einer Hegau-Gemeinde zur Zwangsversteigerung. Und die sachliche, mitunter sterile Atmosphäre im Gerichtssaal stand in starkem Kontrast zum Schicksal der Bewohner.

Denn der juristische Akt ist die Folge einer Trennungsgeschichte. Der Ehemann und Vater der Familie betrieb das Verfahren als Antragsteller. Dem Gerichtstermin blieb er fern und ließ sich durch seine Anwältin vertreten. In dem Gebäude wohnt eine Frau mit mehreren erwachsenen Kindern, wie vor Gericht deutlich wurde. Eigentlich hätten sie den Mann auszahlen wollen, um ihm seine Hälfte der Immobilie, die beiden Elternteilen gehört, abzukaufen, sagt eine der Töchter am Rande des Termins. Doch später habe der Mann immer höhere Geldforderungen erhoben, welche die Frauen nicht mehr hätten erfüllen können.

Auf dem Schreibtisch nur ein Stapel Akten, in der Wirklichkeit ein menschliches Schicksal: die Zwangsversteigerung eines Wohnhauses. ...
Auf dem Schreibtisch nur ein Stapel Akten, in der Wirklichkeit ein menschliches Schicksal: die Zwangsversteigerung eines Wohnhauses. Elke Grießmayer, Rechtspflegerin am Amtsgericht Singen, hat den Termin geleitet. | Bild: Freißmann, Stephan

Daraufhin kam es zur Zwangsversteigerung, um die Eigentumsgemeinschaft der Eheleute aufzuheben, wie Elke Grießmayer erläutert. Sie ist Rechtspflegerin am Singener Amtsgericht und an diesem Morgen Chefin im Gerichtssaal. Wie Amtsgerichtsleiter Johannes Daun im Vorfeld des Termins erklärte, nimmt die Rechtspflegerin bei einer Zwangsversteigerung richterliche Aufgaben wahr. Was bei dem Termin festgesetzt wird, muss auch so umgesetzt werden.

Familie würde das Haus gerne selbst kaufen

Das halbe Haus im Rahmen dieses Verfahrens selbst zu kaufen, hätten sich die Frauen auch vorstellen können. Doch auch hier sei das Geld ein Hindernis, sagt eine Tochter. Denn wer eine Immobilie ersteigern will, muss eine Sicherheitsleistung von zehn Prozent des von einem Gutachter ermittelten Verkehrswerts erbringen. Dieser Verkehrswert liegt in diesem Fall immerhin bei 600.000 Euro. Bei der Zwangsversteigerung hätte die Hälfte dieses Betrages erzielt werden müssen. Das Mindestgebot lag aufgrund von weiteren Forderungen, die bedient werden müssen, aber bei mehr als 400.000 Euro.

Zu dem Anwesen in einem Ortsteil einer Hegau-Gemeinde gehören mehr als 600 Quadratmeter Grundstück, laut der Terminankündigung hat es fast 280 Quadratmeter Wohnfläche und eine Doppelgarage. Doch die Zwangsversteigerung nahm ein für die Bewohnerinnen positives Ende.

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Denn auch beim Amtsgericht Singen spürt man, dass die Nachfrage nach Immobilien zurückgeht. Die Minuten der Bietzeit verrinnen und kein Interessent meldet sich. Bis zum Ende der Frist bleibt das so, kein Käufer kommt aus der Deckung – ähnlich wie bei einem Fall in Konstanz im Herbst 2022. Für die Bewohner des Hauses im Hegau ist das erstmal positiv. Nun können die Frauen in dem Gebäude bleiben, ohne befürchten zu müssen, möglicherweise bald auf der Straße zu stehen.

Weitreichende Folgen für die Bewohner

Wäre das Haus verkauft worden, hätte das für die Bewohnerinnen nämlich weitreichende Folgen haben können – bis zur Zwangsräumung, wenn der neue Besitzer das so gewollt hätte. Denn der Beleg für den Erwerb per Zwangsversteigerung sei auch ein Räumungstitel, erklärt Grießmayer. Die Zwangsräumung hätte sich auch auf die volljährigen Mitbewohnerinnen bezogen.

Zwangsversteigerungen – wie es dazu kommt und wie viele es gibt

Das Amtsgericht in Singen: Dort fand die Zwangsversteigerung des Hauses im Hegau statt.
Das Amtsgericht in Singen: Dort fand die Zwangsversteigerung des Hauses im Hegau statt. | Bild: Tesche, Sabine

Wie hoch ist der von einem Gutachter festgesetzte Verkehrswert, welches Mindestgebot muss ein Käufer machen, welche Kosten kommen auf den neuen Besitzer zu, welche Rechte und Grundschulden gibt es noch, die beachtet und abgesichert werden müssen? All diese Fragen erläutert Grießmayer routiniert und setzt ihre Erklärungen zum Kleingedruckten auch während der Bietzeit fort. Die dauert immer mindestens eine halbe Stunde, Gebote müssen persönlich bei der Rechtspflegerin abgegeben werden.

Wer die fragliche Immobilie ersteht, übernimmt auch alle Rechte und Pflichten, die damit verbunden sind. Und selbst wenn in der folgenden Nacht der Blitz ins Haus einschlagen und das Gebäude abbrennen sollte: Dann habe man für das viele Geld eine Ruine gekauft.

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Liegt das mangelnde Interesse von Käufern nun daran, dass noch Forderungen abgelöst werden mussten, die die Interessenten vor dem Gerichtstermin nicht kannten? Rechtspflegerin Grießmayer kennt die Gründe nicht. Doch sie sagt: „Es hat schon jemand eine Sicherheitsleistung hinterlegt.“ Das Interesse muss also ernsthaft gewesen sein. Auch das Verkehrswertgutachten sei bereits auf Interesse gestoßen, sagte sie bereits im Vorfeld. Daher hätte sie mit mindestens einem Gebot gerechnet.

Nachfrage nach Immobilien geht zurück

„Vor einem halben Jahr wäre das Haus weggegangen“, sagt Grießmayer nach dem Versteigerungstermin. Damals war die Nachfrage nach Immobilien noch stärker, inzwischen trübt sich diese Konjunktur ein – der Krieg in der Ukraine hat Kosten und Inflation in die Höhe getrieben. Und in einem unsicheren Umfeld macht man weniger leicht langfristige und teure Investitionen.

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Wie geht es nun weiter? Die Rechtspflegerin hat das Verfahren einstweilen eingestellt, die Rechtsanwältin des Antragstellers hat dem im Gerichtssaal zugestimmt. Falls die Anwältin des Antragstellers nun innerhalb von sechs Monaten die Fortsetzung beantrage, werde das Verfahren wieder aufgenommen. Falls nicht, werde es aufgehoben, so Grießmayer. „Dann gibt es auf diesem Weg keine Einigung“, sagt die Rechtspflegerin. Die beiden Parteien könnten dann versuchen, sich abseits des Gerichts zu einigen – oder eine von ihnen können eine neue Zwangsversteigerung wagen.