Wenn die Südwestdeutsche Philharmonie auf 20 Prozent ihres Budgets verzichten müsste, könnte sie wesentliche Teile ihres Auftrags nicht mehr erfüllen. Das sagte Chefdirigent und Interims-Co-Intendant Gabriel Venzago bei einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Orchesters. Als die über weite Teile eher allgemein geführte Debatte schon fast zu Ende war, platzierte er seine Botschaft dann doch noch. „20 Prozent, das ist nicht ein Sterben auf Raten, das ist der Nahtod“. Denn für dieses Sparziel müsse er massiv Personal entlassen, so Venzago.
Damit widersprach er einem Beschuss des Gemeinderats im vergangenen Herbst. Dort war festgelegt worden, dass unter anderem die Kultureinrichtungen einen Vorschlag machen müssen, wie sie 20 Prozent ihres Budgets einsparen können. Dieser sogenannte Prüfauftrag gründete auf der schlechten finanziellen Situation der Stadt, die bereits alle von ihr erhobenen Steuern erhöht hat, aber Einnahmen und Ausgaben dennoch nicht ausgleichen kann.
Venzago forderte für das Orchester eine „Karenzzeit“, in der das Ensemble beweisen könnte, dass es den drastischen Rückgang der Abonnenten nachhaltig umkehren kann – und auch sonst beweist, dass es für die ganze Stadtgesellschaft auch jenseits der schwindenden Kern-Zielgruppe unverzichtbar ist. Für eine Überraschung sorgte ein Beitrag von Sozial- und Kulturbürgermeister Andreas Osner, der von seinem Platz im Publikum heraus forderte, man solle in das Orchester „investieren und nicht nur eine Karenzzeit geben“.
Dass sich Bürgermeister Osner öffentlich und vor den eigentlichen politischen Beratungen so klar gegen das vom Rat beschlossene 20-Prozent-Ziel stellte, überraschte auch Stadtrat Peter Müller-Neff (Freie Grüne Liste). Er fragte nochmals öffentlich nach, und Osner bekräftigte seine Aussage. Damit dürfte sich der interne Streit in Verwaltung und Rat um die Verbindlichkeit des Sparkurses weiter zuspitzen – und die Ungewissheit für die Musiker und ihr Publikum auch erst einmal nicht kleiner werden.
„Jetzt erst recht“-Stimmung
Das Orchester jedenfalls ist auf eine „jetzt erst recht“-Strategie vorbereitet, das wurde aus den Aussagen des Chefdirigenten und einer Wortmeldung des seit Jahrzehnten in Konstanz spielenden Musikers Peter Achtzehnter deutlich. „Wir sitzen schon am richtigen Tisch, um die Hausaufgaben zu machen“, erklärte der Bratscher auch mit Blick auf vergangene Krisen: „Wir haben uns immer wieder neu erfunden.“

Was die Hausaufgaben sind, das versuchte die Diskussion zuvor herauszuarbeiten. Der frühere Intendant Beat Fehlmann, der von den gut 350 Besuchern beim Betreten der Bühne wie ein Popstar gefeiert wurde, verwies darauf, dass Kultur nicht nur einen Eigenwert, sondern auch einen gesellschaftlichen Nutzen haben müsse – und wurde darin vom aus Wien zugeschalteten Musikberater Marc Grandmontagne bestärkt.
Ohne Bezug zum Leben wird es für Kulturinstitutionen eng
Kulturinstitutionen müssten in die Breite der Gesellschaft Teilhabe, Lebensbezüge, Zugehörigkeit und Nachhaltigkeit einbringen und sollten dafür von der Kulturpolitik Bewusstsein, Strategie, Werte und Handlungswillen erwarten dürfen.
Ähnlich argumentierte auch Birgit Schneider-Bönninger. Sie ist in Bonn Dezernentin für Kultur und Sport und damit so etwas wie das Pendant von Andreas Osner. Vor Begeisterung sprühend, zeigte sie Ideen auf, wie sich das Konstanzer Orchester viel tiefer in das Leben und die Köpfe der Menschen vor Ort einpflanzen könnte. „Künstlerische Grenzerfahrungen“, „gesellschaftliche Einmischung“ und eine „radikale Öffnung in die Stadtgesellschaft“ machten Kultureinrichtungen zu „Trainingsplätzen für die Demokratie“.
Wer sich auf Musik einlässt, lernt zuzuhören
Beat Fehlmann formulierte es so: Wer sich mit Musik beschäftigt, lernt erst einmal etwas, das von unschätzbarer Wichtigkeit sei – aufeinander zu hören. Gerade junge Menschen für Musik zu begeistern, sei wichtig, sagte dazu die Musikerin und Pädagogin Kristin Thielemann, die ebenfalls zum Podium geladen war.

Viel Konsens war zu diesen Punkten im Oberen Konzilsaal. Es waren ja erklärtermaßen auch die Freunde der Philharmonie versammelt, die im Orchester tatsächlich einen, wie Fehlmann es nannte, „Ort der Aushandlung einer funktionierenden Gesellschaft“ sehen. Wie viele neue Wege in ihren Augen das Orchester gehen soll, ist freilich noch nicht verhandelt. Der Wunsch, das Orchester möge viel mehr raus zu den Menschen gehen, um sie mit ungewöhnlichen Formaten zu interessieren, stand ebenso im Raum wie die Sorge, dass die Abo-Konzerte im Konzil eingeschränkt werden könnten.
Woher soll das Geld kommen?
Löst die Spardiskussion nun also sogar eine Gegenbewegung aus, wie viele nach dem Abend gehofft haben mögen? Heike Rawitzer, CDU-Stadträtin und stellvertretende Vorsitzende des Freundeskreises Philharmonie, ging in ihrer Begrüßung und Verabschiedung nicht darauf ein.
Und was auch sie nicht beantworten konnte (und was Moderatorin Susanne Benda nicht gefragt hatte): Woher soll das Geld für die ersehnten Investitionen überhaupt kommen? Und welche Prioritäten muss eine Stadt als ganze setzen, in der nicht nur die Zahl der Konzertbesucher zurückgegangen ist, sondern zugleich auch die der Analphabeten, Nichtschwimmer, Nichtwähler und Klimaskeptiker steigt?