Jahr für Jahr gehen hunderte Kinder leer aus, wenn die Kitaplätze in Konstanz vergeben werden. Und Jahr für Jahr fragen sich die Eltern, warum es nicht möglich ist, dass Familien sich die Betreuungszeit teilen. Denn nicht jeder, der einen Ganztagsplatz erhält, benötigt ihn an allen Tagen oder immer von 7 bis 17 Uhr.
Einer von denen, die fürs kommende Kitajahr nicht berücksichtigt wurden, ist der Vater Tobias Thiel. Er bräuchte für seinen Sohn einen Hortplatz. Als selbstständiger Architekt mit vier Angestellten und als alleinerziehender Vater ist er auf Betreuung angewiesen.
Doch da es erst ab 2026 einen Rechtsanspruch auf Schulkindbetreuung gibt und auch die Kernzeitbetreuung der Grundschule eine Absage erteilte, hatte Tobias Thiel eine Idee. Er fand eine andere Familie, die einen Hortplatz erhielt und ihn nicht an allen Tagen braucht.

„Die anderen Tage könnte die Familie an uns abgeben. Wir haben uns auch die Betreuung für die Ferienzeiten genau aufgeteilt“, sagt der Vater. Doch die Stadt Konstanz sagt Nein zum sogenannten Platzsharing. Zwar biete dieses Modell auf den ersten Blick eine unkomplizierte Möglichkeit, mehr Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, so die städtische Pressestelle. Doch der Teufel liege im Detail. Zum einen argumentiert die Stadt mit schwierigen Rahmenbedingungen, zum anderen mit dem Kindeswohl.
Für die Fachkräfte bedeute das Teilen von Kitaplätzen „eine deutliche Mehrbelastung im Bildungs- und Betreuungsalltag“. Aktivitäten müssten rotierend geplant werden, sodass auch Kinder, die nicht täglich da sind, teilnehmen können. Das Personal könne zudem Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf nicht mehr gerecht werden.
Es fallen auch mehr Elterngespräche und Dokumentationen an. Und für viele Kinder, „die ohnehin zunehmend unter Bindungsverlusten oder emotionalen Besonderheiten leiden“, stelle das tageweise Platzsharing eine erhöhte Herausforderung dar. Sie haben mehr mit wechselnden Erzieherinnen und Erziehern zu tun und ihre Freunde sind nicht täglich da.
Dagegen stößt das Plätzeteilen im Nachmittagsbereich auf geringere Hürden und wird bereits von einigen Konstanzer Kitas praktiziert. Doch auch hier gebe es Grenzen, so die Stadt. Denn bei diesem Modell sind die Plätze dauerhaft von frühmorgens bis zum Ende der Kita-Öffnungszeit voll belegt. Bislang aber arbeiten viele Einrichtungen mit Randzeiten.
Das bedeutet: Frühmorgens oder am späten Nachmittag sind oft nur noch die Hälfte der Kinder anwesend, sodass ein reduzierter Personalschlüssel ausreicht. Bei ständiger Vollbelegung bräuchte es mehr Personal – das bekanntlich nicht vorhanden ist.
Rheinfelden drängt selbst aufs Teilen
Andere Städte sehen das anders. In Rheinfelden am Hochrhein etwa drängte die Verwaltung selbst darauf, geteilte Kitaplätze einrichten zu dürfen. So wies Bürgermeisterin Kristin Schippmann im Rheinfelder Sozialausschuss auf die Dringlichkeit hin, jede Chance zu nutzen, um Betreuungsplätze zu schaffen.
Allein mit dem klassischen Ausbau sei die Lücke – im April 2024 standen 240 Kinder auf der Warteliste der knapp 34.000 Einwohner zählenden Stadt – nicht zu schließen. Die Bürgermeisterin und die zuständige Abteilungsleiterin Katja Teuchert bestätigen auf SÜDKURIER-Nachfrage: „Der Gemeinderat hat in der Sitzung am 16. Mai 2024 einstimmig der Einführung des Platzsharings zugestimmt.“
Einrichtungen in Rheinfelden können das Modell ab dem Kitajahr 2024/25 sowohl für unter als auch für über Dreijährige anbieten, müssen aber nicht. „Grundsätzlich können 20 Prozent mehr Plätze angeboten werden“, sagen Schippmann und Teuchert. Das heißt, bei einer Krippengruppe mit zehn Plätzen können zwei Plätze geteilt werden. Somit wären zwölf Kinder versorgt.
Tübingen findet eine andere Lösung
In Tübingen gibt es wie in Konstanz kein Platzsharing – das ist laut Manfred Niewöhner, Leiter des Fachbereichs Bildung, Betreuung, Jugend und Sport, aber weder nötig noch möglich. „Wir hatten früher für viele Kinder Betreuungszeiten bis 17.30 Uhr, doch das war gar nicht nachgefragt.“
Dies führte in Tübingen zum Umdenken. Auch dort werden Plätze über ein Punktesystem vergeben, aber anders als am Bodensee. Wer in Konstanz eine bestimmte Punktzahl erreicht (über Arbeitszeiten, Fahrtwege, Schichtdienst, Geschwisterkinder), hat Anspruch auf einen Ganztagsplatz und muss ihn an fünf Tagen pro Woche bezahlen. Selbst wenn ein Kind nur dreimal nachmittags kommt, ist der Platz belegt und steht keiner anderen Familie zur Verfügung.

In Tübingen läuft es anders: „Je mehr Punkte eine Familie hat, desto mehr Betreuungszeit bekommt sie“, erläutert Niewöhner. Nur, wer tatsächlich Bedarf für fünf Nachmittage hat, erhält diese Zeiten angeboten. Andere Familien erhalten entsprechend ihrer Punkte eine Betreuung an zwei bis vier Nachmittagen.
Eltern fordern mehr Flexibilität
Dass die Platzvergabe in Konstanz nicht nach tatsächlichem Bedarf erfolgt, findet Friederike Eisner, die den Hortplatz ihrer Tochter gern teilen würde, nicht gut: „Ich wundere mich über das geringe öffentliche Interesse daran, Eltern möglichst viel Arbeitszeit zu ermöglichen. Wir alle spüren den Fachkräftemangel in unserem Alltag!“

Die Großfamilie, in der die nicht mehr berufstätigen Großeltern die Kinderbetreuung übernehmen, entspreche nicht mehr der Lebensrealität. Über Sharingmodelle müssten die knappen Ressourcen maximal ausgeschöpft werden, findet Eisner. „Flexibilität darf nicht nur den Familien abverlangt werden, sondern sollte auch in der Verwaltung eine Selbstverständlichkeit werden.“
So sieht es auch Tobias Thiel: „Wie wir am Beispiel anderer Kommunen sehen, ist eine Versorgung von mehr Kindern möglich. Dazu bedarf es Druck von der politischen Führung und der Verwaltung. Nach meiner Betrachtung wird das Thema wie eine heiße Kartoffel hin und her geworfen. Für viele Arbeitgeber, wie auch mich, führt die Unterversorgung zum Verlust von Arbeitsplätzen.“
In Konstanz verschließen sich die Zuständigen aber nicht vor Veränderungen. Im Anschluss an einen Zukunftstag, bei dem Eltern, Träger und Fachkräfte über Herausforderungen im Kitabereich diskutierten, entstanden Arbeitsgruppen. Deren Ergebnisse werden voraussichtlich im Juli 2025 im Jugendhilfeausschuss beraten. Unter anderem geht es dabei um das Platzsharing.