Beim Christbaum hört der Spaß auf. Oder der Ernst. Je nachdem, wie man es mit der Debatte um Nachhaltigkeit und Klimaschutz hält. Konstanz erhält auch in der ersten Adventszeit nach Ausrufen des Klimanotstands knapp zwei Handvoll städtische Weihnachtsbäume.
Wildes Baumplatzieren, zum Beispiel durch Händler in der Innenstadt, werde weiter „ohne Erlaubnis geduldet“, teilt das Bürgeramt mit. Solange es „umfeldverträglich“ stattfinde – nicht zu verwechseln mit: umweltverträglich.

Konstanz nimmt sich kein Beispiel an Landau: Weihnachtsbäume dürfen bleiben
Manch Konstanzer wird bereits anderes befürchtet haben, als die Stadt Landau kürzlich meldete: Keine Christbäume mehr! Sie sind – je nach Zucht – ein echter Schandfleck fürs Ökosystem. Als Zeichen wollten ein Händlerverein und das Stadtmarketing dieses Jahr auf eine bei Bürgern der Stadt beliebte Weihnachtsbaum-Aktion verzichten.
Wenige Tage später und viel bundesweiten Aufhebens ruderten sie zurück. Und wie sieht das in der Stadt Konstanz aus, hatte doch deren Gemeinderat Monate vor den Landauer Kollegen den klimatischen Notstand ausgerufen?
Uli Burchardt: „Verzicht fände ich persönlich unangemessen“
Oberbürgermeister Uli Burchardt macht die Weihnachtsbaumfrage zur Chefsache und erklärt: „Weihnachten und damit verbunden Weihnachtsbäume sind für unsere Gesellschaft sehr wichtig, und einen Verzicht fände ich persönlich unangemessen.“ Es gehe auch nicht darum, „dass wir hier in Konstanz beziehungsweise in Deutschland alle nur Verzicht üben, sondern darum, voranzugehen und zu zeigen, wie der Wandel funktionieren kann“, teilt er schriftlich mit.
Etliche werden spottend in Richtung Oberbürgermeister sagen: Ein Glück, er hat seine Lehren aus der Seenachtfest-Debatte gezogen und verbietet uns wenigstens kein besinnliches Weihnachten.
Woher kommen sie denn, die städtischen Christbäume?
Um ganz sicher zu gehen, legt die Stadtverwaltung dennoch detailliert dar, warum städtische Christbäume in Konstanz gar kein Problem seien: Erstens würden im gesamten Stadtgebiet nur neun aufgestellt (und nicht um die 100 wie in Landau). Zweitens wachsen sie „unter einer Hochspannungsleitung“ im städtischen Forst und müssten ab einer gewissen Grenze eh gefällt werden.
Drittens erfolge der Anbau gänzlich „ohne Pflanzenschutzmittel, Pestizide oder Düngung“. Viertens komme kein Plastikschmuck zum Einsatz. An dieser Stelle soll es in Sachen Christbäume genügen.
Die Sorge um den Raub von Weihnachten hat einen ernsten Hintergrund
Denn die Sorge vor der Klima-Katastrophe ist ein zu ernstes Thema, um ins Polemische abzugleiten. Worum es doch eigentlich geht – und so können die Worte Burchardts interpretiert werden: In Konstanz geht die Sorge um, wohin der zugehörige Notstand führen soll. Überschritten wurde die Grenze für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Bürger beim Seenachtfest.
Dieser Ur-Konstanzer, vom Feuerwerk begleiteten Riesen-Sause sehen sich auch viele beraubt, die nicht den zweiten August-Samstagen jedes Jahres aus dem Stuttgarter Speckgürtel anreisen.
Wohin muss, wohin darf der persönliche Verzicht führen, um nicht die Frage immer lauter werden zu lassen: „Ihr könnt mich mit eurem ganzen Klima-Gequatsche mal gerne haben.“? Sie sind es, die eine Verbotsmentalität beklagen und bitter fragen, was als Nächstes komme: Photovoltaik- und Windkraftanlagen auf der Imperia und dem Münsterturm?
Und was ist mit der Fasnacht: Tuckern nicht Diesel-Traktoren jenseits jeglicher Plaketten bei den Umzügen mit? Und erzeugen Tausende Besucher am Schmotzigen Dunschtig nicht unfassbar viel Müll?
Bisher reagierte Konstanz auf den Klimanotstand vor allem mit Symbolpolitik
Dieser Zynismus ist der GAU. Und zwar für die Erhaltung unseres Lebensraums wie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gleichermaßen. Die Stadt Konstanz sieht sich auf der Rasiermesserklinge reiten. Das Ausrufen eines vage formulierten Notstands oder die gerade beschlossene Klimapartnerschaft mit dem Stamm der Borari für den Schutz des brasilianischen Regenwalds reichen nicht aus, um echter Klima-Pionier zu sein.
Beides hat seine Berechtigung. Doch es sind wohlgemeinte symbolische Akte ohne bislang spürbare Folgen für die Bürger. Die Konstanzer Fridays-For-Future-Aktivisten – sie hatten den hiesigen Klimanotstand überhaupt erst ausgelöst – sehen sich bereits enttäuscht, dass seit Mai kaum Substanzielles bewegt wurde.
Verbotskultur – ob gefühlt oder real – ist vielen Menschen zuwider
Jeder Eingriff ins private Leben – und da wäre ein städtischer Weihnachtsbaum-Verzicht noch eine Kleinigkeit – droht für mehr Verdruss zu sorgen. Bei jenen, die zwar zum Wohle des Klimas Handlungsbedarf sehen, denen aber eine Verbotskultur zuwider ist. Mit dieser – und sei sie auch nur empfunden – entfernen sich die kleine wie große Politik von den Menschen.
Der einzig gangbare Mittelweg, wenn er auch komplizierter und teurer als wächserne Symbolpolitik ist, ist das Schaffen von Anreizen zum Umdenken: vom Einrichten eines kundenfreundlichen Busverkehrs über kostenlose Car-Sharing-Parkplätze bis zu einer spürbaren Förderung von Solaranlagen auf den Eigenheimen – da braucht es gar keine Innenstadt ohne Weihnachtsbaum.