Ausgerechnet vor der Fasnacht. Sicher sei es kein Zufall, dass der SÜDKURIER nun erneut über Willi Hermann berichtet.
Die Zeitung vergreife sich mit einem Artikel über die Recherchen zu Hermanns Rolle im Nationalsozialismus bewusst an kulturellem Liedgut. Das schreibt eine Nutzerin bei Facebook. Andrea Warhola nennt sie sich. Diese Frau gibt es nicht, ihr Profil im sozialen Netzwerk ist gefälscht. Beim Namen bediente sie sich bei Andy Warhol, bei ihrem Profilbild bei einer deutsch-britischen Historikerin. Wer auch immer sich hinter Frau Warhola verbirgt: Seine oder ihre Meinung ist unwichtig, denn sie hat keinen wahrhaftigen Urheber.
Diskussion um Trennung von Person und Liedgut
Wichtig ist dagegen die Meinung vieler Konstanzer, die mit Vorfreude auf die anstehende Fasnacht blicken. Weil sie differenzierter sind als jene des anonymen Facebook-Provokateurs. Doch auch sie treibt die Sorge um den Verlust eines Stücks traditioneller Fasnacht um.
Sie erkennen mehrheitlich an, dass Willi Hermann aktenkundig Antisemit war und mit seinen Schriften einen Völkermord mit vorbereitete; dass er mit höchster Wahrscheinlichkeit an kriegsverbrecherischen Erschießungen beteiligt war. Person und Lieder müssten aber getrennt werden. Sie nicht mehr zu singen, wäre ein großer Verlust, neue Lieder zu etablieren sei fast schon ein Ding der Unmöglichkeit.
Ex-Niederburg-Präsident startet eine Petition im Internet – als Privatperson, wie er betont
Marc Ellegast ist dieser Meinung und hat dazu im Internet eine Petition ins Leben gerufen. Zwei Dinge betont er gegenüber dem SÜDKURIER mit Nachdruck: Erstens seien Hermanns Taten abzulehnen und zu verurteilen. Zweitens verfasste er die Petition als reine Privatperson und Konstanzer Fasnachter.
Letzteres dürfte er auch herausstellen, im Wissen, von 2005 bis 2015 Präsident der Narrengesellschaft Niederburg gewesen zu sein. Der Zunft, die sich laut seinem Nachfolger Mario Böhler einstimmig gegen das öffentliche Weitersingen der Hermann-Lieder aussprach. Schnell hatten sich am Freitag über 100 Unterstützer der Petition gefunden, unter ihnen klangvolle Namen der Fasnacht aus Konstanz und Umgebung: Marcus Nabholz (Präsident der Narrengesellschaft Kamelia Paradies) oder Ludwig Egenhofer (Präsident des Narrenvereins Alet) zum Beispiel.
Es zeigt sich: In Sachen Willi Hermann herrscht keine Einigkeit
Es zeigt sich: Auch unter den hohen Fasnachtern ist man uneins, selbst innerhalb der Narrengesellschaft Niederburg gibt es keinen Konsens. Mit der Petition des heutigen Ehrenrats Marc Ellegast ist dieser öffentlich aufgekündigt.
Es ist richtig, lange durften Hermanns Liedtexte über Wonne, Wein und Weib als wenig verwerflich gelten. Seit vergangenen Sommer, spätestens aber seit den jetzt veröffentlichten Rechercheergebnissen von Stadtarchivar Jürgen Klöckler sind es jedoch die Texte eines Wegbereiters der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.
Dies gehört zur Gesamtbetrachtung seiner Biografie. Werk und Autor sind eben gerade nicht zu trennen. Im konkreten Fall nicht zuletzt, weil sich Hermann bis zu seinem Tod 1977 öffentlich nie erklärt, geschweige denn seine Taten bereut hat.
Ein Aufsatz zeigt auf 32 Seiten die Rolle Willi Hermanns auf
Deshalb muss man die Lieder nicht verbieten – und hierzu ruft auch niemand auf. Nicht Jürgen Klöckler, nicht der SÜDKURIER, auch nicht die Narrengesellschaft Niederburg, die sie aus dem Programm genommen hat. Jedoch war Willi Hermann, das belegt Jürgen Klöcklers Aufsatz auf 32 Seiten und mit 152 Fußnoten, kein Mitläufer, der sich lediglich im nötigen Maß an den im Nationalsozialismus herrschenden Zeitgeist anpasste.
Er war kein einfaches NSDAP-Mitglied, wie es sie zuhauf auch in Konstanz gab. Und auch nicht nur ein „aktives Rädchen in der Nazi-Maschinerie“, zu dem ihn Marc Ellegast bei aller Distanzierung in seiner Petition verniedlicht: Hermann war ein mittelgroßes Wagenrad.
Die letztgültige Wahrheit nahm Hermann mit ins Grab
Er engagierte sich freiwillig in einer Abteilung der Gauleitung, die für die Indoktrinierung der Bevölkerung zuständig war. Schriften, in denen er als klarer Antisemit auftritt und krude Rassentheorie äußert, sind von ihm persönlich unterzeichnet und sprechen verabscheuungswürdige Bände. Ob er in Griechenland auf Kriegsgefangene geschossen oder als Unteroffizier den Befehl dazu gegeben hat?
Letztgeltend geklärt werden kann das nicht mehr. Auch hier nahm Hermann die Antworten mit ins Grab. Er will nur beiläufig davon erfahren haben, dass um ihn herum rund 100 italienische Soldaten erschossen wurden, Aussagen seiner Kameraden lassen auf anderes schließen.
Niemandem wird das Singen der bekannten Schlager verboten
Das lange trübe Bild über Willi Hermanns Wirken im Nationalsozialismus ist nun klar genug, um darauf einen Täter erkennen zu lassen. In dieser Kenntnis ist jedem freigestellt, seine Lieder zu singen, oder eben nicht. Niemand wird zusammenzucken, wenn in den Besenwirtschaften am Schmotzigen Dunschtig das Mädle vu Konschtanz besungen wird oder Guggemusiken den Bodensee zum Weinfass werden lassen.
Die Lieder jedoch auf Bällen, Zunftabenden oder anderen öffentlichen Veranstaltungen anstimmen zu lassen, wäre ein Schlag in das Gesicht der Opfer des Nationalsozialismus und ihrer Nachkommen. In die Köpfe der Menschen – das wird an Willi Hermann beispielhaft sichtbar – rückt aktuell offenbar ein Gedanke zurück: Es muss ein Recht auf Vergessen der Vergangenheit geben. Jedenfalls dann, wenn sie dem allgemeinen Frohsinn schaden könnte. Das muss es nicht.
Die Konstanzer Fasnacht ist auch ohne seine Lieder lustig
Die Konstanzer Fasnacht ist beileibe stark genug, um auch ohne Hermann-Schlager auszukommen, lustig und fröhlich zu sein. Die neuen Niederburg-Lieder zum Beispiel sind nicht weniger schunkeltauglich. So liegt auch Gutes an den von Jürgen Klöckler zutage geförderten Ergebnissen: Sie sind eine große Chance für die Fasnacht in der Stadt, sich von alten Zöpfen lösen zu können – musikalisch wie weltanschaulich.