„Das haben wir uns nicht vorgestellt unter einem Klimanotstand„, sagt Cyra Mehrer. Die junge Frau ist mit einigen Mitstreitern von Fridays for Future an diesem Tag Richtung Rathaus gezogen, um dort eine Mahnwache abzuhalten. Wenig später verabschiedet der Gemeinderat im Ratssaal mit großer Mehrheit einen Klimahaushalt für das Jahr 2020.
Etwa 70 Maßnahmen zum Klimaschutz lässt die Stadtverwaltung laut einer Liste derzeit durchführen. Darunter der Austausch von Heizungsanlagen in städtischen Gebäuden, die Umstellung von Papier- auf elektronische Akten und den Personalaufbau beim Klimamanagement um eineinhalb Stellen.
Die Stadt investiert dafür insgesamt fünf Millionen Euro, wovon der Gemeinderat zusätzliche 3,3 Millionen Euro am Tag der Mahnwache freigibt.
Was kritisiert Fridays for Future Konstanz daran?
Cyra Mehrer sagt, das reiche nicht aus. Sie und ihre Mitstreiter bezeichnen das Klimapaket der Stadt Konstanz als „zu wenig ambitioniert“. Zudem kritisiert Fridays for Future Konstanz den Oberbürgermeister. In der im Mai verabschiedeten Resolution zum Klimanotstand wurde er aufgefordert, den Gemeinderat und die Öffentlichkeit im halbjährlichen Rhythmus über Fortschritte und Probleme im Bereich Klimaschutz zu berichten. Geschehen ist das bislang nicht.
Warum nicht?
Ursprünglich wollte Uli Burchardt den Bericht in der letzten Gemeinderatssitzung 2019 vorlegen, erklärt er. Aus mehreren Gründen – etwa eine volle Tagesordnung in der Novembersitzung, zeitintensive Vorberatungen für den Nachtragshaushalt und zuletzt ein Krankheitsfall – ist der Bericht auf Ende Januar 2020 verschoben worden.
Für die Verspätung bittet er um Verständnis und erntet dennoch Kritik der jungen Klimaschützer. Er setze sich damit über den Beschluss des Gemeinderats hinweg. „Statt Klimaschutz zur Chefsache zu machen und offen und ehrlich über die Schwierigkeiten und Fortschritte zu sprechen, schweigt er einfach“, teilt Sebastian Vollmer stellvertretend mit.
Gerät die „Aufgabe von höchster Priorität“ in Vergessenheit?
Viele Leute kommen an diesem grauen Dezembertag nicht zur Mahnwache in die Kanzleistraße. Neben einigen Fridays-for-Future-Aktivisten sind auch Vertreter von Extinction Rebellion dabei.

Der Protest ist nicht annähernd zu vergleichen mit der großen Demo aus dem vergangenen Sommer. Damals zogen rund 10.000 Menschen durch die Innenstadt. Gerät die im Mai per Resolution erklärte „Aufgabe von höchster Priorität“ etwa in Vergessenheit? Wie Cyra Mehrer will auch Maja Werner das verhindern.
Schon den Klimanotstand hätte es ohne Fridays for Future nicht gegeben, sagt sie. „Ohne unseren Druck würde die Politik auch weiterhin zu wenig tun.“ Deshalb die Mahnwache, deshalb auch eine geplante Vernetzung mit anderen Gruppierungen, sagt Werner. Die Bewegung wolle mit ihren Aktivitäten „definitiv auch den anstehenden OB-Wahlkampf beeinflussen“. Es gehe darum, dass ein Kandidat gewählt werde, „der Dinge wirklich umsetzen will und nicht nur Phrasen raushaut“, fasst Maja Werner zusammen.
Was sagen Stadtverwaltung und OB Burchardt zur Kritik?
Die Stadtverwaltung entgegnet der Kritik. Während die Umweltschützer mit ihrer Mahnwache auf die aus ihrer Sicht unzulängliche Klimapolitik hinweisen, spricht Burchardt im Ratssaal von einem „Klimapaket mit weitreichenden Ideen. Mit rund 70 Ideen sind wir auf einem guten Weg.“

Im Zuge der Reden zum Nachtragshaushalt, für den sich die Stadt erstmals seit acht Jahren verschuldet, sagt er: „Durch die Dringlichkeit beim Thema Klimaschutz wird die Kreditaufnahme notwendig, das ist auch ein Beitrag für eine nachhaltige Stadtentwicklung.“ Nachholbedarf beim Tempo der Umsetzung räumt Burchardt ein und erklärt dies mit fehlendem Personal und Ressourcen. „Dennoch kommen wir, denke ich, gut voran.“
Warum sehen das die Leute von Fridays for Future anders?
Die jungen Klimaschützer halten dagegen. Auch zusätzliche 3,3 Millionen Euro seien „viel zu wenig“ angesichts eines jährlichen Gesamthaushalts von rund 300 Millionen Euro. Die Stadt gebe „trotz Klimanotstands auch 2020 wieder mehr Geld für klimaschädliche Maßnahmen aus, als für den Erhalt unserer Zukunft. Höchste Priorität sieht anders aus“, beschwert sich Japhet Breiholz von Fridays for Future. Die von der Stadt aufgelisteten Maßnahme sind ihm nicht konkret genug.
Im ersten Jahr nach Ausrufen des Klimanotstands stellt Fridays for Future der Stadt „eine durchwachsene Bilanz“ aus. Die Bemühungen um den Klimaschutz seien erkennbar, etwa durch das Aufstocken der Mittel und zusätzliche Personalstellen für diesen Bereich. Dennoch seien die Maßnahmen angesichts der „sich zuspitzenden Klimakrise nicht angemessen“. Das Ziel, bis 2030 zu einer positive Klimabilanz zu gelangen, „ist mit diesem Engagement wohl nicht zu erreichen“, lautet das bittere Fazit.