Es ist noch vor zwei Uhr morgens, als Manfred Hensler die Treppe zu seiner Dachterrasse hochsteigt. In seiner Wohnung in der Zollernstraße 23 ist er aufgewacht, weil unten Radau ist. Er sieht eine Menschentraube, aus der schräg gegenüberliegenden Wohnung einen Feuerschein. Auf dem Dach bemerkt er Funkenflug und benetzt das Holz der Terrasse mit dem Gartenschlauch. Im Stadler-Haus, gerade einmal gute zehn Meter entfernt, brennt es.

Markus Neidhart hat in diesem Moment schon viele Entscheidungen getroffen. Er ist der Feuerwehrmann, der mit seinem Team als erster an der Brandstelle ist an diesem Donnerstag vor einer Woche um 1.22 Uhr. Er sieht vor allem Rauch, der unter den schweren hölzernen Rollläden herausquillt. Erfährt, dass in dem Haus Wohnungen sind und nicht sicher ist, ob sich in diesen noch jemand befindet.

Neidhart, seit 14 Jahren Berufsfeuerwehrmann und in diesem Moment der Einsatzleiter, beschließt: Da muss ein Trupp rein und zunächst möglicherweise eingeschlossene Menschen retten. Das hat immer Priorität vor der Brandbekämpfung. Wenig später wird er die Abteilungen Altstadt und Petershausen der Freiwilligen Feuerwehr dazualarmieren. Nach 40 Minuten löst er Vollalarm aus, es ist inzwischen etwa 2 Uhr. Was heißt: Hier werden alle gebraucht.
Rettern schlägt ein „Flammenmeer“ entgegen
In diesem Moment ist es noch nicht klar, dass es der längste Feuerwehreinsatz in der jüngeren Geschichte der Stadt Konstanz werden wird. Eine Woche später bilanziert der Pressesprecher der Konstanzer Wehr, Fabian Daltoe: Beim Schwaketenbad waren die Kameraden drei Tage im Einsatz. In der Zollernstraße konnten sie, wie es so heißt, die Einsatzstelle erst am 27. Juli um 14.40 Uhr übergeben. Nach vier Tagen, 13 Stunden und 18 Minuten.
Schon die erste Nacht verheißt nichts Gutes. Ein „Flammenmeer“ habe den Feuerwehrleuten entgegengeschlagen, sagt Markus Neidhart. In einem alten Haus weiß niemand, wie lange Treppen und Decken den Flammen standhalten. Natürlich wäre es gut, wenn die Feuerwehrleute das Feuer dort bekämpfen können, wo es lodert. Doch Hitze und Einsturzgefahr machen das zunehmend unmöglich. So ergeht noch vor dem Morgengrauen die Entscheidung, die Trupps aus dem Haus zu nehmen. Sicherheit geht vor.

In die Abwägungen, die später Feuerwehrkommandant Bernd Roth als Einsatzleiter übernehmen wird, fließen auch die Erfahrungen aus früheren Bränden in der Altstadt ein, sagte Presssprecher Daltoe. Dazu gehört auch: Eine Brandruine kann jederzeit und unerwartet einstürzen.
Doch das Feuer von außen und in der Höhe zu bekämpfen, ist schwierig. Drei Drehleiterfahrzeuge hat die Konstanzer Feuerwehr selbst, eine vierte kommt aus der Nachbarschaft und aus Tägerwilen noch ein Teleskop-Mast. Und von der Rückseite können die Feuerwehrleute die Balkone der Nachbarhäuser löschen.

Schweizer Kameraden eilen ebenfalls nach Konstanz
Zur Chronologie des Einsatzes gehört auch, dass sich über Stunden Feuerwehrleute direkt an der Mauer befinden, die die beiden Hälften des Stadler-Hauses intern trennen. Dort kühlen sie die Barriere über lange Zeiträume mit Wasser. Denn groß ist die Sorge, dass sich die Flammen über den Dachstuhl ausbreiten. Kaum vorstellbar, was dann passiert wäre. Doch die Riegelstellung funktioniert. Das Rückgebäude dagegen ist nicht zu retten.
Inzwischen ist am Fischmarkt eine Einsatzzentrale aufgebaut. Von dort steigt noch in der Nacht die Drohne in die Luft, die der Landkreis beschafft hat. Weil es zentral liegt, wird das Gerät von der Feuerwehr in Espasingen betreut. Auch von dort kommen die Einsatzkräfte mitten in der Nacht. Die Wache in der Steinstraße holt später auch noch Unterstützung aus Singen, Radolfzell, Kreuzlingen und sogar Amriswil.

Es wird Freitag, bis die Feuerwehr eine vorsichtige Entwarnung geben kann. Zwar lodern auch fast 48 Stunden nach dem Ausbruch noch einzelne Flammen auf, aber irgendwann gelten sie immerhin als beherrschbar. Einen besonders bangen Moment haben die Einsatzkräfte da schon hinter sich: Was passiert, wenn das Dach geöffnet wird und plötzlich Sauerstoff an die Brandherde kommt? Mit einem millimeterfeinen Wasserstrahl hatten sie die Bausubstanz aufgeschnitten. Cobra heißt dieses Hightech-System, die Feuerwehr aus Amriswil hatte es mitgebracht.

Die gefürchtete große Durchzündung bleibt aus, aber die Glutnester sind hartnäckig. Das ganze Wochenende über bleibt die Feuerwehr im Einsatz. Noch tagelang sind die Reste von Löschschaum zu sehen. Irgendwann künden nur noch leere, verrußte Fensterhöhlen und verkohlte Balken von einem der größten Brände seit langer Zeit.

Doch vorbei ist das alles noch nicht – nicht für die Bewohner, die ihr Obdach und ihr Hab und Gut verloren haben. Nicht für die Hausbesitzer-Familie Stadler, die nun vor schwierigen Entscheidungen steht. Und auch nicht für die Feuerwehr.
Eine Woche nach dem ersten Alarm rund 130 Sätze Brandschutzkleidung wieder gewaschen und von Schadstoffen befreit, nochmals so viele müssen noch gereinigt werden. Die Ermittlungen zur Brandursache dauern an, bis Gutachter und Polizei dazu etwas sagen können, wird es noch Wochen bis Monate dauern.

Für Manfred Hensler bleibt neben der Erinnerung an sorgenvolle Tage ein leichter Brandgeruch. Als Stadtrat wird er in den nächsten fünf Jahren auch bei Feuerwehr-Themen mitentscheiden. Seit dem 25. Juli hat er nochmals ein anderes Bild bekommen.
Die Professionalität der Einsatzkräfte habe ihn beeindruckt, sagt er. Und er weiß auch: Glück war ebenfalls im Spiel. Wäre Wind aufgekommen, hätte ein Gartenschlauch kaum gereicht, um die Folgen des Funkenflugs zu bekämpfen.