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(Archivbild) „Ich kenne keine Institution, die mehr Seelen gerettet hat als das Jugendgericht in Konstanz“: Gerhard Zahner, Strafverteidiger, erklärt, wie die Justiz mit jugendlichen Drogenkonsumenten umgeht. | Bild: Fricker, Ulrich | SK-Archiv

Herr Zahner, ist es sinnvoll, jugendliche Kiffer zu bestrafen?

Nein. Ich habe Jugendliche vertreten, die am Tag drei, vier Gramm rauchen. Das ist eine Sucht. Wer so viel kifft, wird in seiner Entwicklung gehemmt. Der stumpft ab. Die müssen da raus. Und Strafen sind nicht das Mittel, sie aus der Sucht zu bekommen.

Trotzdem gibt es das Jugendstrafrecht.

Das Ziel des Jugendstrafrechts ist die Erziehung, nicht die Strafe. Das Erwachsenenstrafrecht und das Jugendstrafrecht sind vollkommen unterschiedlich, sowohl was das Strafmaß als auch was die Möglichkeiten anbelangt, auf den Angeklagten einzuwirken.

Die Staatsanwälte und Richter gehen sehr fürsorglich mit den Jugendlichen um. Das Gericht erteilt Auflagen und Weisungen, spricht mit dem Jugendlichen, betrachtet das soziale Umfeld. Das Gefängnis ist oft kein guter Ort für die Entwicklung von Jugendlichen. Da muss viel passieren, bis es soweit kommt.

Ist das nicht zu lasch?

Ich kenne keine Institution, die mehr Seelen gerettet hat als das Jugendgericht in Konstanz. Das wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weil die jungen Menschen ja nicht mehr auffällig werden. Ich treffe sie dann in der Innenstadt, im Monteuranzug oder bei der Bank und denke: Wow, die führen ein ganz normales Leben, die haben sich gefangen. Weil vernünftig mit ihnen umgegangen worden ist.

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Wann kommt es denn zu einer Verurteilung?

Das kommt auch auf die Menge an, mit der der Jugendliche erwischt wurde. Je nach Substanz handelt es sich ab einer bestimmten Menge um einen Verbrechenstatbestand. Und für Verbrechen sieht das Gesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr vor – auch wenn das Jugendstrafrecht da Spielraum hat.

Bei Cannabis liegt die Grenze bei 7,5 Gramm reinem THC. Cannabis hat durchschnittlich einen THC-Anteil von 15 Prozent, das heißt, eine Menge von 70 bis 80 Gramm kann ausreichen, um für ein Verbrechen verurteilt zu werden. Bei Kokain liegt die Grenze bei fünf Gramm reinem Stoff. Bei Heroin niedriger.

Also macht es einen Unterschied, ob ein Jugendlicher mit Gras oder Kokain erwischt wird.

Ja. Gras ist eine leichte Droge, Kokain, aber auch Heroin und Amphetamine, sind harte Drogen. Wenn ein Jugendlicher mit Kokain aufgegriffen wird, dann werden Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter hellhörig. Weil es ein massiver Eingriff in die Psyche des Jugendlichen ist, wenn er mit solchen Drogen in Berührung kommt. Bei Gras ist man toleranter, aber man schaut natürlich auch genau hin.

70 Gramm Gras – ist das noch für den Eigenkonsum oder wird dann damit auch gedealt?

Da liegt die Grenze. Und das Überschreiten läuft immer gleich ab. Ich fange an zu kiffen. Mein Freundeskreis kifft auch. Entweder kaufen wir dann zusammen größere Mengen ein, oder ich kaufe ein und gebe was ab. Und wenn ich es für ein bisschen mehr abgebe, als ich ausgegeben habe, dann kann ich meinen Eigenkonsum finanzieren.

Dann sehe ich Sneaker für 300 Euro und mache noch einen Deal. Ich verdiene Geld und bekomme Anerkennung. Es kommt der Punkt, wo die Stellung und Macht ein Teil meiner Persönlichkeit werden. Und das wieder aufzugeben und einzusehen, ich bin eigentlich eine kleine Nummer, wie alle anderen auch, das ist schwierig.

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Der Jugendliche, der anfängt zu dealen, um den Eigenkonsum zu finanzieren. Das klingt naiv.

Extrem naiv. Das geht so rasend schnell, dass es einem manchmal Leid tut für die Jugendlichen. Wer zu dritt handelt, bildet eine Bande. Wer aus Gehabe ein Messer oder eine Schreckschusswaffe dabei hat, treibt Handel mit Waffen. Eine Vollkatastrophe! Weg damit! Bei Erwachsenen können diese Fälle zu mehrjährigen Haftstrafen führen. Bei Jugendlichen auch, auch wenn die Haftstrafe – ohne Bewährung – das letzte Mittel im Jugendstrafrecht ist.

Wie kommen Jugendliche an Drogen zum Ticken?

Es ist wahnsinnig leicht, an große Mengen zu kommen. Das Internet ist der größte Dealer. Man kann online bestellen und sich beliefern lassen. Über Telegram oder das Darknet. Da kommt dann ein halbes Kilo Cannabis per Post zu Leuten, die eigentlich gar keine Kontakte in die Szene haben. So schnell begeht man ein Verbrechen, und Jugendliche ruinieren sich mit einem Mausklick ihr ganzes Leben. Dabei werden sie nur benutzt.

Benutzt?

Die Großhändler und Mittelsmänner interessieren sich überhaupt nicht, was mit den Kleindealern passiert. Es kommt vor, dass Mittelsmänner hochgenommen werden und die Polizei dann Listen findet, wohin die Drogen geliefert wurden. Wie ein Telefonbuch. Die Polizei muss dann nur die Adressen abklappern.

Wenn Jugendliche dealen, dann werden sie benutzt. Sie sind die kleinen Rädchen. Das Ende der Lieferkette. Die Kleindealerei führt in eine Welt, die nicht zu kontrollieren ist. Wir müssen ihnen sagen: Für andere Dinge würdest du dich nicht so benutzen lassen. Und sie aus dieser Abhängigkeit und Erziehung zum Benutzt-werden lösen.

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Abseits vom Strafrecht – was droht Jugendlichen denn noch, wenn sie mit Drogen erwischt werden?

Wenn es zu einer Jugendstrafe, also einer Verurteilung kommt, kann das im Führungszeugnis landen und ist bei Bewerbungen sichtbar. Und der Führerschein kann schnell weg sein. Schon der einmalige Besitz von Kokain führt zum Entzug der Fahrerlaubnis.

Wenn ich abhängig vom Auto bin, weil ich auf dem Dorf wohne, kann ich so meinen Job oder Ausbildungsplatz verlieren. Und auch wenn Cannabis jetzt legalisiert wird: Wer mit 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum erwischt wird, verliert den Führerschein. Und das kann noch über Tage im Blut nachweisbar sein.

Chillen, Party, Sucht – die Serie

Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie auf SÜDKURIER Online: Gemeinsam mit einem Arzt und einem früheren Drogenkonsumenten beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um Cannabis und seine bevorstehende Legalisierung.