Wenn Nina* [*Name geändert] mit ihrem Dealer schreibt, dann klingt das mehr nach Ebay-Kleinanzeigen als nach Straftatbestand: „Guten Morgen, wie besprochen bitte 50 Gramm vom Orange und 50 vom Gorilla mit Expressversand“ – Orange Bud und Gorilla Glue sind Cannabissorten. Ihr Dealer antwortet: „Servus mein Bester, ja ist safe machbar.“ Keine 24 Stunden später klingelt ein DHL-Bote bei Nina mit einem kleinen Paket.

100 Gramm Gras sind drin, in Plastik eingeschweißt und vakuumiert, damit der süße, erdige Geruch keinen Verdacht erregt. Nina dealt mit Cannabis, ab und an auch mit Ecstasy. Ihre Kunden kommen in ihre Wohnung, um Gras und Pillen zu kaufen, sie selbst bestellt auf Messenger-Diensten wie Telegram bei Händlern, die sie nie gesehen hat. Per Post kommen die verbotenen Substanzen zu ihr – “schneller als Amazon“, sagt Nina.

100 Gramm Cannabis bestellt die Dealerin im Monat.
100 Gramm Cannabis bestellt die Dealerin im Monat. | Bild: Oskar Paul

Ist es wirklich so einfach, Drogen zu kaufen? Es ist einfach, sagt Nina. Auf dem Küchentisch in ihrer Wohnung liegen Zigaretten, die Kaffeemaschine rattert, leere Pflanzentöpfe stehen auf dem Boden, Nina hat umgetopft. “Stört es dich, wenn ich eine Kippe rauche?“, fragt sie. “Ich mache das Fenster weiter auf.“

Von den 100 Gramm Gras, die sie im Juni bestellt hat, vertickt sie nicht alles, einen Teil raucht sie selbst. So 40 bis 50 Gramm im Monat. Das ist teuer, bei ihrem Händler zahlt Nina 5,50 Euro pro Gramm, mit Gebühren – wie Versand – 6,10 Euro. Sie bezieht Bürgergeld, ohne das Dealen sei ihr eigener Konsum kaum zu finanzieren. Das würde bedeuten: Sie dealt, um zu kiffen.

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Bis das Paket mit Expressversand bei Nina ankommt, passiert viel. Einmal im Monat kauft Nina Gras. Dann schwingt sie sich auf ihr Fahrrad und strampelt in einen grenznahen Ort in der Schweiz, erzählt sie. Dort steht ein weiß getünchtes Haus. Durch einen Seiteneingang gelangt man in einen Raum mit Tischen und Stühlen. Dahinter steht tatsächlich ein Krypto-Automat. Ein Bankomat für die Kryptowährungen Ether und Bitcoin.

Das sind digitale Währungen, die online gehandelt werden. Der Vorteil: Bitcoin und Co. entziehen sich der Kontrolle von Staat und Banken und machen das Bezahlen unter einem Pseudonym im Netz möglich. Der Nachteil: Bitcoin und Co. entziehen sich der Kontrolle von Staat und Banken und machen das Bezahlen unter einem Pseudonym im Netz möglich. Und sind deshalb auch für Dealer wie Nina so attraktiv.

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Aber in Deutschland gilt: Know your customer – Kenne deinen Kunden. Wer Bargeld in Kryptowährungen umtauschen will, muss meistens einen Identitätsnachweis erbringen. In der Schweiz muss man das nicht – solange man weniger als 1000 Franken umtauscht.

Wenn Nina ihr Bargeld in den Automaten packt, spuckt der einen QR-Code aus, und Nina kann jetzt, ohne viele Spuren zu hinterlassen, Drogen im Netz kaufen. Es existiert lediglich ein verschlüsselter Code ihres digitalen Tresors. Aber der ist nicht mit ihrem Namen verknüpft.

Nina ist vorsichtig.

Ihr Handy ist im Energiesparmodus und sperrt den Bildschirm alle 30 Sekunden. Ihre Telegram-App lässt sich nur mit Fingerabdruck öffnen. Alle fünf Minuten schließt es sich selbst. Wenn ihr Handy drei Monate nicht aktiv war, wird ihr Telegram-Konto automatisch gelöscht. Nina möchte nicht erwischt werden – auch wenn sie wenig Sorge vor der Polizei hat. Bei 100 Gramm könne sie sich auf Eigenbedarf rausreden, sagt sie. Und so ganz unwahr ist das ja auch nicht.

Die Dealerin baut einen Joint – sie mischt Cannabis mit Tabak.
Die Dealerin baut einen Joint – sie mischt Cannabis mit Tabak. | Bild: Oskar Paul

Nina kifft seit über zehn Jahren. Ist sie süchtig? “Nein“, sagt sie. Sie rauche bewusst nicht mehr, wenn es ihr schlecht geht. Das habe sie früher gemacht. Heute redet sie, sucht sich Hilfe, lenkt sich ab, macht Musik. Sie weiß auch, dass Gras gefährlich sein kann: Ein Kumpel von ihr bekomme eine Psychose, nur wenn er Gras rieche.

Sie sagt, sie verkaufe deshalb nicht an psychisch Kranke oder Minderjährige. Sie habe drei, vier Kunden, an die vertickt sie Gras – wie sie sagt, für zehn Euro das Gramm. Das wäre ein Gewinn von 3,90 Euro pro Gramm, das sie verkauft. Ist das fair? “Ja, das Risiko liegt bei mir“, sagt sie.

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Sie sagt, ums große Geldverdienen gehe es ihr nicht, und die Rechnung zeigt, dass die wegen des beträchtlichen Anteils, den sie selbst konsumiert, nicht viel Plus machen kann. Das erste Mal getickt habe sie, um sich eine Reise mit der Schule nach Barcelona zu finanzieren. Später tickt sie, um ihren Konsum zu finanzieren. Gras, zwischenzeitlich Amphetamine, auch mal Ecstasy.

Sie weiß nicht, ob sie je mit dem Kiffen aufhören wird. Sie weiß aber, dass sie mit dem Dealen aufhören will, sobald sie Geld verdient. “Ich will das gar nicht. Bald verdiene ich legal genug Geld, um mir mit gutem Gewissen 50 Gramm für jeden Preis der Welt zu kaufen.“

Noch kauft sie Orange Bud und Gorilla Glue auf Telegram. Telegram ist eine Messenger-App – dort kann man chatten wie auf WhatsApp, aber auch Kanälen folgen, ein bisschen wie auf Facebook oder Instagram. In diesen Kanälen können die Betreiber Nachrichten posten, die Abonnenten aber nicht. Und gibt man die richtigen Begriffe ein, stößt man schnell auf Kanäle, in denen Drogen angeboten werden.

„Es ist klar, dass da Blut dran klebt.“
Nina*, Drogendealerin

Nina scrollt durch ihr Handy. Benzos, kurz für Benzodiazepine, zehn Packungen für 1000 Euro. Kokain, ein Gramm für 65 Euro. Und Heroin, das Gramm für 60 Euro. Rolex Hash, eine Haschischsorte, 100 Gramm für 350 Euro. “Das ist ultra billig“, sagt Nina “Aber ich will halt auch Qualität haben.“

Das Gras, das Nina kauft, ist nach ihrer Einschätzung billig und hat gute Qualität. Sie ist sich sicher: Hinter dem Kanal müssen organisierte kriminelle Strukturen stecken. “Es ist klar, dass da Blut dran klebt“, sagt sie. “Aber ich muss auch gucken, wo ich bleibe.“

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Die Kanalbetreiber haben auch eine Nachricht gepostet, in der die Kaufbedingungen stehen. Als Zahlungsmittel werden nicht nur Kryptowährungen akzeptiert, sondern auch PayPal und Amazon-Gutscheine. Und sie haben ihren Threema-Kontakt gepostet. Threema ist ein anderer Messenger-Dienst.

Im Gegensatz zu Telegram ist Threema Ende-zu-Ende-verschlüsselt, das heißt, es ist besonders sicher. Der Kauf selbst wird über Threema abgewickelt. Diesen Monat hat Nina bei einem neuen Händler bestellt, ihr alter Händler hatte kein Gras mehr. “Das ist riskant, weil du nicht weißt, ob der dich abzockt“.

Für Nina geht der Anbieter-Wechsel auf. Keine 24 Stunden nachdem sie ihre Bestellung auf Threema abgeschickt hat, kommt das Paket an. Auf Threema schreibt Nina dem unbekannten Dealer: “Alles angekommen, so krass, keine 24h. Vielen Dank bis zum nächsten mal.“ Der unbekannte Händler schickt nur drei Emojis: Zwei Herzen und ein salutierendes Smiley.

Chillen, Party, Sucht – die Serie

Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen„, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie auf SÜDKURIER Online: Große Strafen für keine Deals – der Konstanzer Rechtsanwalt Gerhard Zahner erklärt im Interview, wie die Sucht in den Knast führen kann.