Jeden Morgen ist Roy Braunwarth mit Müllzange und Blecheimer in der Gerichtsgasse in der Niederburg unterwegs. Er sammelt Zigarettenstummel ein, Papiere, Flaschen, Becher – alles, was Passanten so wegwerfen. Seit 23 Jahren macht er das aus Liebe zum Quartier Niederburg, wie der Kunsthandwerker sagt, der in der Gasse sein Geschäft hat.

„Das ist meine Heimat, ich möchte, dass es ordentlich aussieht,“ sagt er. Er erinnert sich noch an Zeiten in den 1960er und 1970er Jahren, in denen die Niederburg autark war. Seine Oma aus der Konradigasse habe damals gesagt, wenn sie über den Münsterplatz hinaus ging: „Bub, zieh dich an, wir gehen in die Stadt.“

Kaum eine Wohnung mit eigenem Bad

Roy Braunwarth kennt Zeiten, da war die Niederburg noch nicht renoviert und ein Quartier für Gastarbeiter. Anfang der 1980er Jahre habe noch kaum eine Wohnung ein eigenes Bad gehabt. Dafür habe es öffentliche Badewannen im rückwärtigen Bereich der Stephansschule gegeben, so ungefähr neben den heutigen öffentlichen Toiletten an der Laube. Roy Braunwarth erinnert sich, wie es für ihn als Kind ein Festtag war, wenn er in eine der Wannenbäder steigen konnte. Die Zeit sei dabei genau bemessen worden. Seine Mutter, so sagt er, lebte im Paradies, doch er sei häufig bei der Oma in der Konradigasse gewesen.

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Damals, so erinnert er sich, habe man die Niederburg nicht verlassen müssen, wenn man sich versorgen wollte. Von den Haushaltswaren bis zum Lotto-Geschäft, es habe einfach alles gegeben. Auch Metzgereien und Bäckereien. Heute gibt es noch eine Bäckerei und spezialisierte Geschäfte wie den Weltladen oder den Niederburgladen.

Roy Braunwarth geht davon aus, dass die Niederburg auch als Standort für Geschäfte Zukunft hat. „Die Niederburg, das ist der Stadtteil der Individualisten“, sagt er. Sie alle bewegten sich allerdings weit weg von den Berechnungen der Umsatzrentabilität. „Das können wir hier nicht erreichen.“ Viel zu klein und spezialisiert seien die Geschäfte in der Niederburg.

Das Kunsthandwerker hat sein Geschäft mit Glaskunst in der Gerichtsgasse. Er gestaltet eigene Lampen, Glasbilder und renoviert bleigefasste historische Fenster. Jede Sperre dort, wie aktuell wegen Bauarbeiten, sei „extrem hinderlich“. Der Umsatz breche dann ein, weil einfach die Masse der Passanten fehle. Als Geschäftsmann würde er es begrüßen, wenn die Kunden nah parken könnten. Realistisch aber sei das nicht mehr: „Das Parkhaus in der Niederburg wird nicht mehr kommen“, so die Einschätzung von Roy Braunwarth mit Blick auf die Politik der Stadt Konstanz, die der näher rückenden Klimakatastrophe entgegen wirken will.

Belebungsversuche für das Quartier

Der Geschäftsmann geht davon aus, dass es die Bürger in Konstanz selbst in der Hand haben, ob die Geschäfte in der Niederburg überleben. „Zwischen gelebter und gesprochener Solidarität gibt es einen großen Unterschied“, ist er überzeugt. Wenn einer nur die individuellen Geschäfte bewundere, aber dann im Internet kaufe, sei das nicht hilfreich.

Belebungsversuche des Quartiers wie die Gassenfreitage vom Verein Niederburg Vital seien sehr hilfreich. Im Verein seien auch mal Patenschaften für einzelne Gassen in der Niederburg angedacht worden. Unabhängig von einer Entscheidung habe er diese für sich selbst in der Gerichtsgasse übernommen. Er wundere sich manchmal, wie viel Müll er bei seinen Reinigungsstreifzügen am Morgen auflese.

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Wie die Niederburg besser wahrgenommen werden kann, darüber sprechen Politik und Anlieger seit Jahren. Der Verein Niederburg Vital hatte 2008 eine zündende Idee, wie das Quartier attraktiver gestaltet werden kann. Er führte jeweils zum ersten Freitag im Monat zwischen Mai und Oktober den Gassenfreitag ein. Gaukler, Musikbands und Flohmarkttische von Anliegern belebten seitdem an den Aktionstagen die Gassen.

Wegen der Pandemie mit dem Coronavirus mussten die Gassenfreitage in den vergangenen beiden Jahren pausieren. Neue Gassenfreitage seien geplant, aber aus organisatorischen Gründen erst ab Juni möglich, teil Rolf Huesgen mit, Vorsitzender von Niederburg Vital. Für Samstag, 14. Mai aber steht der Bücherflohmarkt auf dem Münsterplatz. Zudem seien Ende August Konzerte geplant.