Es ist unbestritten: Wir wollen intakte Straßen nutzen, leistungsfähige Kanäle haben, auch ein gutes Handynetz ist von Vorteil. Wir wollen Nutznießer sein – aber oft sind wir nicht bereit, den Weg dorthin oder die Begleitumstände zu ertragen. Zumindest nicht, wenn die laute Baustelle vor unserer Tür liegt oder der Handymast zu dicht an unserer Wohnung steht.

So ähnlich ist es mit dem überhitzten Wohnungsmarkt in Konstanz: Kein Bürger bestreitet, dass dringend gebaut werden muss – aber bitte nicht in meinem schönen Quartier oder gar auf dem Nachbargrundstück. Viele Beispiele der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass Konstanzer mit unterschiedlichen Argumenten vehement gegen Neubauten vorgehen.

„Einsprüche sind bei allen Projekten an der Tagesordnung“

Bei der Christiani-Wiese, der Jungerhalde West und dem geplanten Neubau für Mitarbeiter der Spitalstiftung im Königsbau ziehen Gegner die Ökologie-Karte. Sie argumentieren mit zu großer Flächenversiegelung, der Einflugschneise von Fledermäusen oder dem Fällen von Bäumen.

Als Viola Fretz-Wältermann ihre Pläne vorstellte, in der Fürstenbergstraße in Wollmatingen bezahlbare Wohnungen für den Mittelstand bauen zu wollen, gab es aus der Nachbarschaft ebenfalls Gegenwind. „Einsprüche sind bei allen Projekten an der Tagesordnung“, sagt der zuständige Projektleiter Martin Frey. „Viele wollen einfach nichts vor ihrer Nase haben, egal ob Hochhaus oder Hühnerstall.“

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So wird auch der Ausbau der Grundschule Wollmatingen seit vier Jahren durch die Klage eines Anwohners verzögert, und im Renkenweg formierte sich lauter Widerstand gegen Nachverdichtungspläne eines Bauherrn. Den meisten Projekten ist eines gemeinsam: Die Protestierenden wissen genau, wie viele Wohnungen in Konstanz fehlen.

Sie haben auch nichts generell gegen neue Häuser, nur eben nicht so dicht am eigenen Zuhause oder nicht so groß. Dieses Verhalten mag man egoistisch nennen – oder man versucht zu verstehen, woher diese manchmal überzogene Abwehrhaltung kommt.

Im Gerhart-Hauptmann-Weg in Fürstenberg ist geplant, zwischen zwei Bestandsgebäude ein weiteres Haus zu bauen. Wohnen sollen dort ...
Im Gerhart-Hauptmann-Weg in Fürstenberg ist geplant, zwischen zwei Bestandsgebäude ein weiteres Haus zu bauen. Wohnen sollen dort Mitarbeiter der Spitalstiftung und des Klinikums. Doch Anwohner und Gestaltungsbeirat finden das zu eng. | Bild: Steller, Jessica

Tatsächlich werden an vielen Orten in der Stadt kleine Lücken zwischen Bestandsgebäuden mit groß dimensionierten Bauten vollgestopft. Bauherren orientieren sich am maximal Möglichen anstatt am Verträglichen.

Das verändert Quartiere, das schafft Unmut unter Anwohnern. Am Ende entstehen nicht selten teure Häuser, die sich keine Konstanzer Mittelstandsfamilie leisten kann. Zur Entspannung des überhitzten Wohnungsmarkts trägt das nicht bei.

Es muss Wohnraum her, aber Nachverdichtung stößt auf Widerstand

Nachverdichtung ist in Konstanz zum Reizwort geworden, als abschreckendes Beispiel wird die Markgrafenstraße angeführt. So etwas soll in Konstanz nicht noch einmal passieren, da sind sich fast alle einig.

(Archivbild) Das ist richtig eng! In der Markgrafenstraße wurden Häuser in Lücken gesetzt. Viel Privatsphäre ist hier nicht mehr vorhanden.
(Archivbild) Das ist richtig eng! In der Markgrafenstraße wurden Häuser in Lücken gesetzt. Viel Privatsphäre ist hier nicht mehr vorhanden. | Bild: Hanser, Oliver | SK-Archiv

Dabei wird übersehen, wie viel Potenzial in gut gemachter Nachverdichtung liegen kann. Denn diese Flächen sind bereits erschlossen und schnell bebaubar. Auch Aufstockungen oder die Nutzung leerstehender Gebäude – und davon gibt es in Konstanz einige – können dazu beitragen, mehr Wohnraum zu schaffen.

Schwierig wird es aber, wenn nicht genau definiert ist, was im Quartier erlaubt und verträglich ist. Das ist immer dann der Fall, wenn kein Bebauungsplan vorliegt oder er so veraltet ist, dass die Vorgaben nicht mehr zeitgemäß sind. Denn klar ist auch: Kostbare Flächen können angesichts der Wohnungsnot nicht mehr allzu oft mit einem zweistöckigen Häuschen bebaut werden, es muss weiter in die Höhe gehen.

Wenn sich Konstanzer Bürger übergangen fühlen, wehren sie sich

Paragraf 34, der in Konstanz häufig zur Anwendung kommt und der besagt, dass neue Gebäude sich maßvoll in die Umgebung einfügen müssen, ist offenbar sehr dehnbar. Sonst würden Bürger nicht bei so vielen Bauvorhaben Einspruch erheben oder sogar klagen.

Dass oft die Anwälte und Gerichte gefordert sind, ist auch ein Zeichen dafür, dass Bürger die Entscheidungen von Behörden nicht mehr einfach hinnehmen. Sie opponieren selbstbewusst, wollen das Warum verstehen und einbezogen werden. Doch städtische Vorgänge werden den Bürgern oft zu wenig transparent gemacht. Wer sich übergangen fühlt, wehrt sich.

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So ist es auch beim umstrittenen Neubau im Staader Renkenweg. Hier handelten Verwaltung und Oberbürgermeister Uli Burchardt nicht klug. Denn noch Mitte Dezember 2023 traf Burchardt sich mit einigen Anwohnern, hörte sich ihre Sorgen an und erhielt über 170 Unterschriften gegen die Dimension des geplanten Gebäudes überreicht.

Der Oberbürgermeister ermutigte die Bürger, ihre Einwände nochmals schriftlich ans Baurechtsamt zu schicken. Die Bürger machten sich die Mühe und erfuhren kurz später vom SÜDKURIER, dass das Bauvorhaben Anfang Januar 2024 genehmigt wurde. So schürt man Frust in der Bevölkerung.

Muss wegen des Klimanotstands jeder grüne Halm erhalten werden?

Bei allem Verständnis müssen aber auch die Anwohner erkennen, wo die Grenzen des Protestes liegen. Manchmal wird der Eindruck erweckt, Bürger suchten sich jedes willkommene Argument, um gegen Bauprojekte zu opponieren.

Wer hier ein schönes Zuhause gefunden hat, spielt gern die Karte aus, Konstanz müsse als Klimanotstand-Stadt jedes grüne Hälmchen erhalten. Dabei wird übersehen, dass auch der Umweltschutz Grenzen haben kann – zum Beispiel, wenn andere Interessen überwiegen. Dazu zählt akute Wohnungsnot.

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Das heißt nicht, dass für Neubauten willkürlich alle Bäume fallen dürfen. Aber unbestritten ist, dass auch diejenigen, die seit 20 Jahren in schicken Häusern mit Garten leben, auf Erzieher, Busfahrer, Pflegekräfte oder Handwerker angewiesen sind. Der Mittelstand kann derzeit nur schwer in Konstanz Fuß fassen. Bereits unterschriebene Arbeitsverträge werden wieder aufgelöst, weil die Menschen keine bezahlbare Wohnung finden.

Der Ausweg aus der Wohnmisere kann deshalb nur ein Aufeinander-Zugehen sein. Miteinander sprechen, anstatt sich mit Briefen und Klagen zu überhäufen. Wer sich unvoreingenommen begegnet, kann so manchen Kompromiss erwirken. Und Kompromisse müssen wir alle eingehen. Sonst zerfällt unser Miteinander.