Eigentlich ist Jürgen Bischoff ein Mann, der in sich ruht. Doch was der ehemalige Staatsanwalt und Richter am 28. August am Sportboothafen Staad erlebte, das trieb auch seinen Puls in die Höhe. „Ich muss mich tatsächlich zurückhalten, um nicht schärfere Worte zu finden“, sagt der 76-Jährige noch Wochen später über den Einsatz der Wasserschutzpolizei (Wapo), den er damals zumindest teilweise miterlebte.

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Ein halbnackter Mann und eine schreiende Frau

Bischoff saß an diesem warmen Sonntagabend gegen 22 Uhr mit seiner Frau und Freunden beim Wein auf der Dachterrasse des Clubhauses Lände, als im Dunkeln unter ihnen zwei offene Boote der Wapo in den Hafen einfuhren. „Im ersten hockte hinten am Motor ein halbnackter Mann mit auf den Rücken gefesselten Händen, der irgendwas um den Kopf gebunden hatte. Im zweiten befand sich eine Frau, die herumschrie und ebenfalls Handschellen trug. Und keiner von beiden hatte eine Schwimmweste.“

Für Bischoff ist das ein unverzeihlicher Fehler der Polizisten. Was wäre gewesen, wenn die Festgenommenen bei der Fahrt ins Wasser gefallen wären? Wie hätten sie ohne freie Arme schwimmen sollen? Noch dazu in diesem Zustand – der Mann war betrunken – und bei Nacht?

Blick von der Dachterrasse des Clubhauses Lände auf die Einfahrt des Sportboothafens Staad. Links davon befindet sich der Anleger der ...
Blick von der Dachterrasse des Clubhauses Lände auf die Einfahrt des Sportboothafens Staad. Links davon befindet sich der Anleger der Fähre Konstanz–Meersburg. | Bild: Sven Frommhold

Direkt unter dem Restaurant seien die Beiden dann „wie Schwerverbrecher zur Unterhaltung der Gäste“ ausgeladen worden und hätten über eine Leiter und ein Geländer steigen müssen, um sie mit einem Einsatzwagen wegbringen zu können.

Dafür hätten die Beamten ihnen zwar die Handschellen abgenommen, in der Verfassung, in der sich das Paar befand, sei aber auch diese Kletterei ein unnötiges Risiko gewesen. Dabei wäre der Landgang, wie Bischoff meint, ein paar Meter weiter an einem Schwimmsteg relativ anonym und problemloser möglich gewesen.

Auch Nüchterne müssen da genau aufpassen, wo sie hintreten. Jürgen Bischoff auf der Leiter, die die beiden Festgenommenen Ende August ...
Auch Nüchterne müssen da genau aufpassen, wo sie hintreten. Jürgen Bischoff auf der Leiter, die die beiden Festgenommenen Ende August hochsteigen mussten. | Bild: Sven Frommhold

Weitere Auseinandersetzung am Polizeiauto

Auf dem Platz am Hafen ging die Auseinandersetzung zwischen den Polizisten und dem etwas älteren Paar laut Jürgen Bischoff weiter. Irgendwann lag der Mann bäuchlings auf dem Boden neben dem angeforderten Streifenwagen. Eine Beamtin und ein Beamter wollten seiner zeternden Partnerin erneut Handschellen anlegen, was ein dritter Polizist verhinderte – „möglicherweise wegen meiner Anwesenheit“, sagt der Konstanzer, der aus dem Restaurant nach unten gestiegen war und sich den Polizisten zu erkennen gegeben hatte.

Bischoff ist kein Allerweltszeuge. Denn er war bis zu seinem Ruhestand 2013 Vorsitzender der Schwurgerichtskammer am Konstanzer Landgericht. Die verhandelt mit drei Richtern und zwei Schöffen Mord und Totschlag. In seiner 40-jährigen Dienstzeit habe er immer eng und vertrauensvoll mit der Polizei zusammengearbeitet, sagt er, und deshalb auch entsprechenden Respekt vor dem Einsatz der Beamten. Doch an diesem Abend hat die Wapo in seinen Augen gleich mehrfach versagt.

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Das geht schon bei der Kontrolle des Paares los, mit der die ganze Aufregung begann. Ort des Geschehens war die beliebte Bucht westlich der Insel Mainau, in der im Sommer tagsüber wie auch nachts Dutzende von Booten liegen.

„Ein Beamter der Überlinger Wapo-Streife erzählte mir, das Paar sei dort betrunken mit seinem Boot gefahren. Und zwar sowohl die Frau als auch der Mann“, sagt Bischoff. Von anderen Zeugen habe er jedoch gehört, die Beiden hätten geankert, um in der Bucht zu übernachten, der Anker habe aber möglicherweise nicht richtig gehalten – herumgefahren sei da jedenfalls niemand.

(Archivbild) Baden, grillen, sonnen, trinken – im Sommer ist die Bucht rechts zwischen Insel Mainau und dem Litzelstetter Ufer bei ...
(Archivbild) Baden, grillen, sonnen, trinken – im Sommer ist die Bucht rechts zwischen Insel Mainau und dem Litzelstetter Ufer bei warmem Wetter immer von Booten bevölkert. Hier fand die Kontrolle des Paares durch die Wapo statt, die schließlich eskalierte. | Bild: Jürgen Traub | SK-Archiv

Was genau hat sich abgespielt?

Der Anlass und die genauen Umstände der Kontrolle bleiben vorerst im Dunkeln, denn das für die Wapo verantwortliche Polizeipräsidium Einsatz in Göppingen ließ einen entsprechenden Fragenkatalog des SÜDKURIER unbeantwortet, zunächst mit Verweis auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Konstanz. Bei dieser lag das Verfahren laut dem Leitenden Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth Mitte Oktober aber noch gar nicht vor. Später folgte die Begründung, man wolle die laufenden Ermittlungen in dem Fall nicht gefährden.

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Eines ist Präsidiumssprecher Markus Schlatter allerdings wichtig zu betonen: Alle Grundsätze, die für den Transport gefesselter Personen auf einem Polizeiboot gelten, seien bei dem Einsatz eingehalten worden. Daran änderten auch die fehlenden Schwimmwesten nichts.

„Für das Anlegen der Westen ist die Kooperationsbereitschaft der Personen erforderlich“, sagt Schlatter. Man hätte zu diesem Zweck die bereits angelegten Handschellen noch einmal öffnen müssen. Das Paar sei jedoch bei der Kontrolle in der Bucht durch die Wapo-Streife aus Überlingen und die zur Verstärkung gerufenen Konstanzer Kollegen so renitent und aggressiv gewesen, dass die Kollegen lieber darauf verzichteten. Schließlich war eine Beamtin laut Polizei von der Frau sogar an der Hand verletzt und gegen das Schienbein getreten worden.

Polizeisprecher: „Das war hundertprozentig safe“

Die Fahrt in den offenen Polizeibooten war laut dem Präsidiumssprecher trotzdem „hundertprozentig safe“. „Sie saßen nicht hinten auf der Wulst, sondern im Inneren des Bootes entsprechend überwacht auf einem Sitzplatz.“ Ein einfaches Herausfallen wäre nicht möglich gewesen, so der Sprecher.

Schlatters Pressestelle trug unwillentlich dazu bei, dass Jürgen Bischoff seine Kritik an dem Einsatz überhaupt öffentlich machte: mit ihrer Pressemitteilung über die Ereignisse an jenem Augustabend, die am 1. September an die Medien ging.

„Polemisch und respektlos“, urteilt der Vorsitzende Richter a.D. über den Bericht. Bischoff setzte sich hin und schrieb einen Leserbrief, den er an den SÜDKURIER schickte. Bereits einen Tag vorher ließ er ihn nach eigenen Angaben den Wapo-Dienststellen in Überlingen und Konstanz zukommen. Bis heute erhielt er von dort keine Reaktion darauf. Schlatter dazu: Man habe das nur als Information, nicht als Aufforderung, sich zu äußern, verstanden.

Auch als Zeuge ist der vier Jahrzehnte lang in der Justiz tätige Bischoff nach eigenen Angaben bislang nicht befragt worden. Dabei will er den Eindruck vermeiden, er mische sich aus Sensationslust störend in die Arbeit anderer ein. „Mein Hauptanliegen ist es vielmehr, dass sich sowas nicht wiederholt. Die Polizei muss deeskalieren, nicht anheizen“, sagt er.

Jürgen Bischoff erklärt: „Ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich untätig geblieben wäre.“
Jürgen Bischoff erklärt: „Ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich untätig geblieben wäre.“ | Bild: Sven Frommhold

Das sei in diesem Fall misslungen. Eine Gesamtbetrachtung der Vorgänge an diesem Abend könne das Verhalten der beiden Festgenommen zwar nicht entschuldigen, aber immerhin erklären. „Da wären andere auch ausgerastet“, glaubt der frühere Richter. Und: „Ich fühle mich von Berufs wegen noch ein bisschen verantwortlich. Deshalb hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich untätig geblieben wäre.“

Die beiden damals Festgenommenen haben sich in dem Fall rechtlichen Beistand geholt. Ob und wann es zu einer Gerichtsverhandlung gegen das Paar kommt, ist ungewiss. Momentan wollen die Anwälte auch keine Stellungnahme zu der Angelegenheit abgeben. „Bislang wurde uns noch keine Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt“, begründet Rechtsanwalt Jens Kehrer, der die Frau vertritt, die Zurückhaltung.