Das Klopfen an Alexander Gebauers Fenster an jenem Tag im Jahr 1982 war hart und eilig. Etwas musste passiert sein. Er öffnete das Fenster. „Sie fällen den Birnbaum“, sagte der Klopfer – wer es war, weiß Gebauer nicht mehr. Nur noch, dass er losrannte. Vom Kobeliweg runter in die Mainaustraße, wo der Abriss des Kelhofs ein Loch hinterlassen hatte.
Gebauer war damals Vorsitzender der Bürgervereinigung Allmannsdorf-Staad (BAS) und somit in Personalunion Birnbaum-Verantwortlicher. Beim Baum angekommen, erblickte er einen Mann mit Kettensäge. Was dann passierte, ist aus heutiger Sicht amüsant. Damals war es das für keinen der zwei Männer.

Man muss dazu wissen, dass es ein besonderer Birnbaum war. Geschätzt 200 Jahre alt, fabrizierte er nur Mostbirnen, die sich nicht gut verkaufen ließen. Kaum gemostet, setzte der Verfall ein. Man musste schnell trinken, erinnert sich Alexander Gebauer. Und da tranken eben die Bauern den Most während der besonders schweren Herbstarbeit.

Als Gebauer den Mann mit Kettensäge erblickte, fackelte er nicht lange. Er startete einen Ringkampf. Dass der Baum gefällt werden sollte, musste illegal sein, dachte Gebauer. Denn er wusste nichts davon. Im Nachhinein sollte sich herausstellen, dass er Recht hatte.
Er erzählt diese Geschichte auf der Wiese an der Mainaustraße, dem damaligen Ort des Geschehens. Neben ihm kein Birnbaum mehr, dafür Sven Martin, der neue Chef der über 400 Mitglieder starken BAS. Der mahnt zur Eile, denn die Zeit ist eng und das Programm voll. Sie haben an diesem Tag zum Rundgang durch Allmannsdorf geladen. Wollen zeigen, wie Neubauten den Ort verändert haben.
Immer wieder bleibt Gebauer stehen – zu jedem Haus, jeder Wiese kennt er eine Geschichte. Der Fall Birnbaum endete so: Er schaffte es, den Kettensägen-Mann, der sich als Mitarbeiter der Stadt entpuppte, von seiner Arbeit abzuhalten. Allerdings hatte der Baum unwiderruflich Schaden genommen.
Alexander Gebauer, 80 Jahre alt, Bildhauer und aktiver Bürger, ist einer, der macht – und nicht wartet. Oft lag er damit bisher richtig. Auch im Fall Jungerhalde/West? Als er vergangenes Jahr hörte, dass die Stadt Konstanz am Ortsausgang von Allmannsdorf 200 bis 250 Wohnungen bauen will, ist er wieder losgerannt und aktiv geworden.
An seiner Seite Sven Martin. Beide kämpfen dafür, dass die Bürger einbezogen werden in die Pläne auf der Jungerhalde/West. Ihre Kritik hat eine Debatte ausgelöst, über das Bauprojekt der Stadt wird gestritten.
Dabei gab es auch Angriffe. Der Mieterbund Bodensee warf dem Duo Martin-Gebauer vor, es würde Sozialwohnungen verhindern wollen. Denn: Die Neubauten sollen Menschen mit wenig und mittlerem Einkommen eine Bleibe bieten. Der Vorwurf hat Sven Martin sehr getroffen. „Wir sind nicht gegen Sozialwohnungen, darum geht es nicht“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Beim Rundgang durch den Ort wollen sie zeigen, worum es geht. Start ist schräg gegenüber der Grundschule, wo ein hohes Wohngebäude mit Tiefgarage neben einem ähnlich aussehenden Bau heranwächst. Weiß, kastenförmig. Hochwertig, einfallslos. „Naturnähe und hohe Bäume zeichnen Allmannsdorf aus“, ruft Alexander Gebauer gegen den Baulärm an. „Wo soll hier dafür noch Platz sein?“
Ihn schmerzt das fast ebenso sehr wie es ihn begeistert, dass es die Menschen während der Pandemie in die Natur zieht. Von seinem Haus aus beobachtet er, wie sie zum Hockgraben strömen. Und nun sollen ausgerechnet am Ortsausgang ganz nah bei der Natur Hochhäuser entstehen? „Wir müssen an die späteren Generationen denken und den Naturraum für sie erhalten. Alles andere wäre eine Tragödie“, sagt der 80-Jährige.
In Allmannsdorf, sagt Sven Martin, wurde und werde viel gebaut, allerdings vor allem Luxuswohnungen. „Dagegen protestieren wir!“ Es geht ihnen auch um das Ortsbild. Ob die Hafenvillen an der Mainaustraße, wo eine Dreizimmerwohnung knapp 700.000 Euro kostet, oder die würfelförmigen Häuser zwischen Aesch- und Ruppanerweg. Es sind Fremdkörper für Gebauer und Martin.

Also, ist etwas dran an dem Vorwurf, dass die BAS rund um das Duo ein Trupp von Verhinderern sei? „Ich sehe mich eher als Macher“, sagt Martin.
Und dann ist man Am Schmerzenmösle auf der anderen Seite der Jungerhalde angekommen. Blaue Studentenhäuser ragen auf Stelzen in den Himmel, erbaut in den 90ern vom Architekturbüro Schaudt. Alexander Gebauer betrachtet sie: „Das ist eine architektonische Meisterleistung! So kann es doch auch gehen.“