Es gibt nur wenige schönere Orte zum Altwerden als die Villa, in der Herr K. lebt. Büsche umsäumen den prächtigen Bau, von überall sieht man den Bodensee, denn er ist so nah, dass selbst ein 78-jähriger mit Gehproblemen wie Herr K. in zwei Minuten am Ufer ist.

Neid, Hass und Wut hinter märchenhafter Fassade

Doch hinter der märchenhaften Fassade regieren seit 2011 der Neid, der Hass und die Wut. Im Januar 2020 fraßen sie sich so tief in Herr K.s Herz, dass es aussetzte. Er überlebte den Herzinfarkt und klagt nun Frau W. an, seine Nachbarin.

Es ist im Grunde ein Nachbarschaftsstreit, der da vergangene Woche im Amtsgericht Konstanz verhandelt wurde. Und stünde er nur für sich, wäre er keine besonders große Sache. Würden die Bewohner der Anlage, die meisten davon gebildete Senioren, die Gerichte nicht seit 2011 auf Trab halten. Wegen Körperverletzung, Nötigung, Falschaussage.

Auf dem Gerichtsflur kurz vor dem Prozess. Wo denn Raum 40 sei, fragt man einen offenbar Ortskundigen. Er stellt sich als Zivilrichter vor. Er weiß wo Raum 40 ist. Und er kennt die Angeklagte. Als er ihren Namen hört, lacht er auf. „Ach die Frau W. – der sagen Sie bitte keinen schönen Gruß.“

Angeklagte ist bekannt im Gericht

Im Raum 40 hat Frau W. auf der Anklagebank Platz genommen. Sie soll Schuld daran, sein, dass Herr K. den Herzinfarkt erlitt.

Ohnehin gelten sie und ihr Mann in den Augen der meisten Nachbarn als Hauptaggressoren. In den Gerichtsverhandlungen wechseln die Nachbarn, die W.´s aber sind immer dabei, als Konstante. Was ist da nur los? Warum nennen alle das Haus Höllenhaus?

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Gefährliche Körperverletzung lautet die Anklage diesmal. Die Frau W. soll dem gehbehinderten Senior mit Herzproblemen den Weg zu seiner Wohnung versperrt haben, indem sie eine Zwischentür zuhielt. „Ich mache so lange weiter, bis du einen Herzinfarkt bekommst“, soll sie dabei gerufen haben. Genau so kam es schließlich.

„Ich bin traumatisiert und habe Angst“

Frau W. in grauem, knielangem Kleid und dazu passender Stola um die Schultern, ist die jüngste Bewohnerin der Wohnanlage für Senioren. Seit ihrem 40. Lebensjahr lebt sie dort mit ihrem deutlich älteren Mann. Dieser Altersunterschied habe, so Frau W., die Nachbarschaft seit jeher verärgert. 2018 sollen Herr W. und ein weiterer Nachbar, ebenfalls Ende 70, Frau B. angegriffen haben. Vor Gericht verlesene Arztbriefe dokumentieren blaue Flecken und Hämatome. Schlimmer jedoch wog der innere Schaden, berichtet die Angeklagte. „Ich bin traumatisiert und habe Angst.“ Sie traue sich kaum mehr nach draußen.

Panik und Todesangst im Seniorenhaus

Nur deshalb habe sie die Tür versperrt. An besagtem Tag im Januar 2020 war sie im Erdgeschoss und sah K. auf sich zueilen. Sofort habe sie die bekannte Panik und Todesangst wieder übermannt. Sie rechnete, erzählt sie vor Gericht, mit einem Angriff. „Er rief: ‚Ich krieg dich, du Drecksau, dann schlag ich dir den Schädel ein!‘“. Deshalb habe sie die Tür verbarrikadiert. „Ich wusste, ich muss ausharren, bis die Polizei kommt. Ich habe meinen Mann gerufen.“ Die Polizei rief dann übrigens die Frau von Herr K..

Die Frage, warum Frau W. glaubte, einem gehbehinderten 78-Jährigen nicht entkommen zu können, und deshalb eine Tür verbarrikadieren zu müssen, wird nicht so recht beantwortet.

Immer wieder schweift sie ab zu anderen Vorfällen. So habe im Sommer ein anderer Nachbar sie und ihren Mann geschlagen, Blumenkübel seien gegen ihre Türe geschmissen worden. „Da läuft auch ein Verfahren“, sagt sie. Der Staatsanwalt Simon Pschorr entgegnet: „Ja, gegen Sie läuft ein Verfahren.“ Frau W. schlägt auf den Tisch: „Das ist genau das, was mich so aufregt, hier werden Täter und Opfer verdreht!“

Werden Täter und Opfer verdreht?

Nun schaltet sich der Anwalt der Nebenklage ein, er vertritt den gehbehinderten K.: „In dieser Sache sind Sie schon einmal verurteilt worden wegen Falschaussage!“

Die Angeklagte lacht: „Ja, das hat viele Facetten.“ Und blättert in ihren Unterlagen.

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Der Anwalt der Nebenklage sagt: „Es gab mehrere Verfahren, Frau W., alle wurden eingestellt und sie angezeigt wegen Falschaussage.“ Auch die angebliche Prügel 2018, die zu einer Traumatisierung geführt habe.

Die Angeklagte sagt: „Das sind Aktionen, die andere Nachbarn initiiert haben. Alles Schauspiel!“

Verfolger in Unterhosen

Die Richterin fragt: „Und warum verfolgt Ihr Mann eigentlich in Unterhose auf dem Flur die Leute?“ Und zückt ein Foto. Die Frage bleibt unbeantwortet.

Der Nebenklagevertreter hat unterdessen einen Zettel hervorgeholt, er liest ab: „Vor der Villa soll es 2013 zu Jagdszenen gekommen sein. Die Putzfrau traut sich nicht mehr zu putzen. Eine alte Frau ist aus Angst vor Ihnen ausgezogen.“ Auch dies kann Frau W. erklären: „Die Dame hat mich in der Tür eingeklemmt. Das ist ein Tollhaus!“

Erstaunlich oft geht es in den Streitereien um Türen.

„Alle haben Angst“

Nun betritt Herr K. den Zeugenstand. „Alle haben Angst“, sagt er mit leiser Stimme. Auch er und seine Frau wollen bald ausziehen.

Was ist da nur los? Ein Zeuge sagt aus, dass die Angeklagte und ihr Mann gerne „die Könige im Haus“ wären. Wenn ihnen ein Nachbar nicht passe, werde er so lange gemobbt, bis er gehe. Viele seien bereits ausgezogen.

Familie W. hingegen gibt an, dass ständig gegen sie intrigiert würde.

Was, wenn es tatsächlich ein abgekartetes Spiel ist, wenn sich alle Nachbarn gegen das Paar verschworen haben?

Einige spricht dafür, vieles dagegen

Einiges spricht dafür, vieles dagegen. Da ist zum Beispiel dieses Beweisfoto. Die Frau von Herr K. hat es gemacht. Es zeigt die Situation an der Glastür unmittelbar vor dem Herzinfarkt. Herr und Frau W. vor der Tür, sie versperrt sie mit dem Fuß. Und Herr K. dahinter. Man erkennt die Gesichter der W.‘s nur von der Seite, wohl aber ihre Körperhaltung. „Entspannt sehen Sie aus“, stellt die Richterin fest. Panik, Angst? Ja, auch diese Emotionen zeigt das Foto. Im Gesicht von Herr K..

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Auch vor Gericht ist K. derjenige, der verzweifelt wirkt und wütend. Frau W. hingegen stellt so routiniert Fragen, dass der junge Anwalt neben ihr fast blass aussieht. Sie ist gut vorbereitet. Nur mit einem hat sie sich offenbar zu wenig abgesprochen: Ihrem Ehemann und einzigen Entlastungszeugen. In seiner Aussage finden Staatsanwalt und Richterin so viele Widersprüche, dass beide zu der Überzeugung gelangen, es könne nur eine Falschaussage sein.

Kein Bedauern, keine Entschuldigung

Ein Wort des Bedauerns der Angeklagten für den 78-jährigen K. hört man übrigens nicht. Allein ihr Anwalt sagt, fast so, als müsse er sich für sie entschuldigen: „Dass es zu dem Herzinfarkt kommt, hat sicher keiner gewollt.“ Der Anwalt von K. sagt, er halte die Angeklagte für unmenschlich. Während er sagt, dass er selten eine Angeklagte gesehen habe, die ihre Schuld so wenig reflektiere, grinst der Ehemann von Frau W. im Zuschauerbereich.

Am Ende der fünfstündigen Verhandlung folgt die Richterin dem Staatsanwalt, der die Schuld von Frau W. für „weitgehend erwiesen“ hält. Er plädiert auf Nötigung und fordert eine Geldstrafe in Höhe von rund 3000 Euro.

Der Staatsanwalt sagt: „Was Sie alle hier tun, ist unnötig und nicht das, womit sich die deutsche Strafverfolgung beschäftigen sollte. Ich möchte Sie hier nicht noch einmal sehen.“

Das eigentliche Opfer, für ihn es die Justiz.

An die Angeklagte: „Seit 2011 beschäftigen Ihr Ehemann und Sie wegen aller möglichen Konflikte mit Nachbarn die Gerichte. Immer sind die anderen Schuld. Vielleicht wäre es einmal angebracht, darüber nachzudenken, was man machen kann, damit es mit neuen Nachbarn nicht so geht.“

Diese neuen Nachbarn wird es bald geben. Drei Wohnungen in der Anlage sind gerade erst verkauft worden.