Eva Marie Stegmann

Der Mann, der an diesem Tag wegen Beleidigung vor dem Amtsgericht Konstanz steht, möchte reden. Das ist seine Geschichte:

Die Geschichte von Herrn B., Vorwurf: Beleidigung im Sommer 2019

Diese Frau kennengelernt zu haben, sei das größte Unglück seines Lebens, sagt Herr B. zur Richterin. Seine Nachbarin, Frau K. Ihretwegen steht er heute vor Gericht, zweimal soll er sie vergangenen Sommer beleidigt haben. Eigentlich mag Herr B. keine Frauen, aber die, die habe es geschafft. Was er ihr alles anvertraut habe! Wie oft sie ihn beruhigt habe, als es ihm schlecht ging, über den Gartenzaun hinweg. Und dann das. Keine sechs Jahre später falle sie ihm so in den Rücken. Aus seinem eigenen Elternhaus habe sie ihn treiben wollen. In der ganzen Nachbarschaft habe sie schlecht über ihn geredet. Habe andere dazu gebracht, ihn auszuladen. Habe ihn entmündigen wollen, ihn Arschloch genannt.

Fleischermesser mit einer gefühlten Botschaft: „Oder wir stechen dich ab!“

Ihm ein Fleischermesser vor die Tür gelegt. Dieses Messer sei eine klare Botschaft gewesen: ‚Geh aus der Nachbarschaft, oder wir stechen dich ab!‘, sagt Herr B. Und das Schlimmste: Während dieser ganzen Zeit habe Frau K. ihn freundlich gegrüßt. Als wäre nichts! Da sei ihm die Hutschnur geplatzt. Dabei wisse die Frau K. genau, wie reizbar er sei.

Bild 1: Die Hölle hinterm Gartenzaun: Wie ein Mann eine Konstanzer Familie in den Wahnsinn treibt – und sich selbst
Bild: Oliver Berg

Wenn er wütend werde, vergesse er alles um sich

Den Tod seiner Mutter vor zehn Jahren habe er mit dem Griff zur Flasche verarbeitet. Zwar sei er nun trocken, die Reizbarkeit blieb. Dazu die psychischen Probleme. Er gehe regelmäßig zur Suchtberatung, auch in der geschlossenen Psychiatrie kenne man ihn. Die Tabletten nehme er nicht mehr. Es bringe doch ohnehin nichts. Wenn er wütend werde, vergesse er alles um sich herum, dann sehe er einfach rot. Die Frau K. habe ihn getrieben. Deshalb habe er sie beleidigt, ein paar Wochen nach der Sache mit dem Fleischermesser. Sie als „blöde Kuh“ beschimpft und wenige Tage später als „Satan.“ „Ich bin geständig.“

Nach diesem Auftakt ist die Richterin an der Reihe.

Die Richterin blättert in den Unterlagen, es geht nun um den Lebenslauf von B.. „Sie haben“, sagt sie, „Sozialwissenschaften studiert.“ Herr B., sichtlich erregt:“Haben Sie den Bericht überhaupt gelesen?“Die Richterin trägt vor, dass Herr B. schon einmal von Nachbarin K. angezeigt worden war.

Im Sommer 2018, als die Reichskriegsflagge aus seinem Fenster hing. „Da war ich betrunken“, sagt er. Drei oder vier Wochen später seien die freundlichen Herren von der Kripo gekommen, denen habe er die Flagge ausgehändigt und 600 Euro gezahlt. Nach diesem Vorfall habe über ein Jahr Ruhe in der Nachbarschaft geherrscht, sagt Herr B., nicht ohne Stolz. „Gut, ich habe ab und zu aus dem Fenster geschaut, aber das tat ich als Kind auch schon.“

Die Richterin bittet nun die Zeugin Frau K. in den Saal.

Bild 2: Die Hölle hinterm Gartenzaun: Wie ein Mann eine Konstanzer Familie in den Wahnsinn treibt – und sich selbst
Bild: A3609 Daniel Karmann

Es erscheint eine Frau mit Perlenohrringen und locker gebundenem Zopf. Als sie B. auf der Anklagebank sieht, zuckt sie zusammen. Ihr Anwalt flüstert ihr ins Ohr. Sie nimmt Platz und beginnt, die Ereignisse des vergangenen Sommers aus ihrer Sicht zu schildern

Die Geschichte von Frau K.: „Lüge!“

„Wir sind durch einen Garten verbunden“, sagt Frau K. Das Fleischermesser habe sie ihm nicht vor die Tür gelegt, wie er behauptet. Es könne allerdings sein, dass es ihr aus dem Fahrradkorb gefallen sei. Am nächsten Tag habe er sie nicht nur ‚Satanistin‘ genannt, sondern gerufen: ‚Ich hätte das Messer nicht entsorgen, sondern etwas ganz anderes damit machen sollen. Sie Satanistin, sie kriegen mich nicht klein!‘

Mit dem Fernrohr das Gartenfest beobachtet

Ein Gartenfest, welches Frau K. veranstaltete, sei durch Herrn B. gestört worden, indem er vier, wenn nicht fünf Stunden lang mit dem Fernrohr aus dem Fenster auf die Feiernden gestarrt habe. „Wie er es seit 2017 macht, immer, wenn wir den Garten betreten. Es ist so, sobald ich raus bin, ist er am Fenster. Er ist auch so am Fenster. Ich habe ihn nie Arschloch genannt, ich ...“ Plötzlich springt Herr B. im Gerichtssaal von seinem Stuhl auf, hebt den rechten Zeigefinger, läuft rot an und ruft: „Lüge!“

Frau K. zuckt zusammen. „Beruhigen Sie sich“, sagt die Richterin zu Herrn B. Er setzt sich wieder.

Bild 3: Die Hölle hinterm Gartenzaun: Wie ein Mann eine Konstanzer Familie in den Wahnsinn treibt – und sich selbst

„Diese Familie wird kaputtgestalkt“

Jetzt ergreift der Anwalt von Frau K. das Wort: „Ich möchte etwas dazu sagen: Diese Familie wird kaputt gestalkt. Heute Nacht hat B. eine ganze Batterie Blinklichter aufgestellt, damit die Familie nicht schlafen kann. Sogar Nachbarn haben bei mir angerufen, ob die Verhandlung nun endlich gewesen sei. Meine Mandantin ist fertig, die wollen das Haus verkaufen. Die Kinder haben Albträume.“

Frau K. sagt: „Ich bin hundertfach beleidigt worden, hundertfach! Als Hure, als Sau. Teilweise hat Herr B. tagelang aus dem Fenster geschrien, das längste waren neun Stunden am Stück. Er spuckt, wenn er mich sieht. Er hat mit Waffen gegen mich gedroht, hat gesagt, ich hätte keine Lebensberechtigung.“ Das Amt habe bei ihm illegale Waffen abtransportiert und nachdem sie ihn wegen der Reichskriegsflagge angezeigt habe, habe er gesagt: ‚Sie haben mit der Anzeige nicht nur mich, sondern auch das Deutsche Reich und meinen Vater angegriffen.‘

Herr B. springt erneut im Gerichtssaal auf

Bild 4: Die Hölle hinterm Gartenzaun: Wie ein Mann eine Konstanzer Familie in den Wahnsinn treibt – und sich selbst
Bild: Folker Gratz

Herr B. springt erneut von seinem Stuhl im Amtsgerichtssaal auf. „Das wurde nie bewiesen“, ruft er.

Der Anwalt von Frau K. ergreift erneut das Wort: „Was wir hier verhandeln, ist das Sahnehäubchen, die zwei Beleidigungen. Das ist Psychoterror, was die Familie K. hier erträgt.“

Herr B. schreit: „Sie macht auf Mitleid!“

Frau K. schüttelt, die Augen geschlossen, den Kopf.

Der nächste Zeuge betritt den Gerichtssaal. Ein junger Polizeibeamter. Er hatte nach der ersten Beleidigung eine sogenannte Gefährderansprache bei Herrn B. zu Hause gemacht. „Teilweise war er geständig. Auffällig war, dass Herr B. sich als Opfer fühlte. Ich hatte die Hoffnung, dass die Ansprache Erfolg bringt.“ Mitnichten: Wenige Tage danach beleidigte B. die Nachbarin erneut.

Nun werden die Einträge von B. aus dem Bundeszentralregister verlesen. Und es wird klar: Es ist nicht das erste Mal, dass B. sich nicht an Auflagen hält.

2013 hatte er eine Ärztin rassistisch beleidigt, „Affenfickerin, geile Sau und Schwein“ waren nur einige der Schimpfwörter, die er am Telefon gebrauchte. Er musste eine Geldstrafe zahlen, durfte die Ärztin nicht mehr anrufen. Wenige Tage nach diesem Urteil griff er wieder zum Hörer: „Versau das deutsche Volk!“

Zwischen 2008 und 2018 wird er mehrmals betrunken im Verkehr erwischt

Mitte 2019 wird Herr B. wegen Beleidigung zu zwei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Er hatte gegen eine Politikerin rassistisch gehetzt, in E-Mails vom Genozid am deutschen Volk gesprochen und mit seinen Vorfahren, die in beiden Weltkriegen gedient hätten, geprahlt. Bei einem persönlichen Zusammentreffen sagte er: „Scheiß Türke, geh zurück nach Hause.“

In diese zwei Jahre Bewährung fallen die Attacken auf Nachbarin K.

Die Plädoyers: „Ich erkenne ihn nicht wieder.“

Bild 5: Die Hölle hinterm Gartenzaun: Wie ein Mann eine Konstanzer Familie in den Wahnsinn treibt – und sich selbst
Bild: Folker Gratz

Die Anwälte im Amtsgericht verlesen jetzt ihre Plädoyers. Der Staatsanwalt verlangt zwei Monate Gefängnis – ohne Bewährung, für jede Beleidigung einen Monat.

Herr B.s Verteidiger sagt: „Ich kenne den Angeklagten aus einer Zeit, in der er ein achtbares Mitglied der Gesellschaft war. So, wie er heute ist, erkenne ich ihn nicht.“ Der Alkohol habe einen anderen Menschen aus ihm gemacht. „Er geht in Beratung und in Therapie. Man könnte eine Aggressionstherapie machen, ihm einen Bewährungshelfer an die Seite stellen. Ich denke, dass so eine kurze Freiheitsstrafe eher das Gegenteil von dem, was wir uns wünschen, bewirken könnte“, schließt er.

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Am Ende der Plädoyers entschuldigt sich Herr B., „obwohl es mir schwer fällt“, den Blick auf seine Tasche gerichtet.

Das Urteil: „Ihre Begründung interessiert mich nicht, kann ich gehen?“

Die Richterin verkündet: „Er wird zu zwei Monaten Haft verurteilt.“ Sie setzt sich, um das Urteil zu verlesen. Doch B. bleibt stehen, nimmt seine Tasche: „Ihre Begründung interessiert mich nicht. Kann ich gehen?“ Die Richterin sagt: „Zur Frage der Bewährung zeigen Sie gerade mit diesem Verhalten, warum man Ihnen keine positive Sozialprognose stellen kann. Sie waren nur wenige Monate vor den Taten hier. Ich hatte da den Eindruck, dass sie es verstanden haben. Nun sind Sie wieder hier.“

„Ich habe keine Angst vorm Tod, dann bin ich endlich erlöst.“

B., laut: „Weil sie mich gereizt hat!“

Dann, an die Richterin gewandt: „Sie wissen ja, dass es eine Solidarität unter Frauen gibt. Auch Sie sind eine faule Anarchistin. Ich habe keine Angst vorm Tod, da bin ich endlich erlöst, aber Sie haben Angst vorm Tod, das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“

Er verlässt den Saal. Was bleibt, ist Bedrückung.