Unzählige Gäste passieren Tag für Tag dieses unscheinbare Kunstwerk mitten in der Altstadt. Dabei ahnen sie nicht, dass das Bildnis eigentlich ein jahrhundertealtes Werbeplakat ist. Und dass es dem nebenstehenden Lokal „Zum guten Hirten“ seinen Namen gab.

Über der Tür, die zum Hotel am Fischmarkt neben der Weinstube von Tamara Unterwerner führt, sind in einem Relief mehrere Hirten, Bäume und Wurzeln sowie ein paar Schafe zu sehen. „Dieses Bildhauerwerk ist der Grund für die biblisierte Wirtshausbenennung“, weiß der Ur-Konstanzer Wolfgang Mettler, der sich intensiv mit dem Schöpfer des Werks befasst hat.

Hirten, Schafe, Bäume und Wurzeln: Der Schafhirte soll das Haus in der Zollernstraße 6 gut behüten.
Hirten, Schafe, Bäume und Wurzeln: Der Schafhirte soll das Haus in der Zollernstraße 6 gut behüten. | Bild: Wolfgang Mettler

Er erzählt: „Es dreht sich um das Relief ‚Zum Schafhirten‘ des bedeutenden, heute leider vergessenen frühbarocken Bildhauers Hans Morinck.“ Der habe das Relief im Jahr 1608 als Veranschaulichung des Hausnamens angebracht – und gleichzeitig quasi als Werbeplakat. Denn Morinck hatte das Haus in der Zollernstraße im Jahr 1583 zur Miete bezogen und es 1587 gekauft. Er wohnte nicht nur dort, sondern richtete auch seine Bildhauerwerkstatt in diesem Haus mitten in Konstanz ein.

Wolfgang Mettler beschäftigte sich eingehend mit dem Bildhauer Hans Morinck und hielt dazu sogar einen Vortrag im Rosgartenmuseum.
Wolfgang Mettler beschäftigte sich eingehend mit dem Bildhauer Hans Morinck und hielt dazu sogar einen Vortrag im Rosgartenmuseum. | Bild: Kirsten Astor

Wolfgang Mettler, 36 Jahre lang passionierter Musiklehrer an der Geschwister-Scholl-Schule, Chorleiter und Komponist, weiß erstaunlich viel über den frühbarocken Bildhauer Hans Morinck. „Ich bin ja eigentlich kein Kunsthistoriker“, sagt der 71-Jährige und lacht.

Doch er ist ein sehr aufmerksamer Konstanzer und geht mit offenen Augen durch seine Heimatstadt. „Schon als Achtjähriger fiel mir auf dem Weg zum Klavierunterricht der Morinckweg im Paradies auf. Seitdem frage ich mich, was es damit auf sich hat“, erzählt er dem SÜDKURIER.

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Morinck hinterließ viele Spuren in Konstanz

Jetzt, viele Jahre später, hatte er Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Er kaufte sich das einzig verfügbare Buch über Hans Morinck und begab sich in der Stadt auf Spurensuche. Dabei wurde er an vielen Stellen fündig.

„Der Bildhauer hinterließ seine Werke unter anderem in der Stephanskirche, im Münster und im Rosgartenmuseum“, so Mettler. „Hans Morinck gilt als der bedeutendste Bildhauer des Frühbarock im Bodenseeraum.“ Er griff biblische Motive auf und gestaltete daraus Reliefs, Grabmale und bestückte Altäre. Dazu verwendete er Kalkschiefer und seltener Holz.

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Wolfgang Mettler schaute sich all die barocken Figuren genauer an und hat Bewunderung für den Künstler übrig, muss hier und da aber auch schmunzeln. „Das sind kräftige, sehr plastische und aussagekräftige Figuren, das ist für jene Zeit richtig klasse“, so Mettler. Auch Hans Morinck selbst hält Mettler für eine spannende Figur: „Er konnte sich nie richtig entscheiden, ob er nur Handwerker ist oder auch Künstler.“

Der Hirte behütet das Haus von Morinck

Das Relief mit den Hirten und ihren Schafen ist laut Mettler eine der wenigen Arbeiten, die ausschließlich dem Meister Hans Morinck zugeschrieben werden können. Hier haben also keine Gesellen oder andere Steinmetze aus seinem Betrieb mitgearbeitet. Und es ist auch das einzige erhaltene Bildwerk Morincks an einer Hausfassade.

Dort ist in der Inschrift auch sein einziges Monogramm zu sehen. Im Text unter dem Hirtenbild ist zu lesen: „Zum Schaffhirten haisst man diss Hauß / Das bhüet der gut Hirt über Auß / Und alle die gand ein und Auß. Anno 1608 HM.“ Umso trauriger ist Wolfgang Mettler, wenn er sich das besondere Relief anschaut. „Dieses originale Objekt befindet sich nun seit über 400 Jahren an dieser Stelle und es ist in einem erbärmlichen Zustand“, sagt der 71-Jährige.

Bedauernswert: Manchen Schafen fehlen die Köpfe. Doch es könnte sein, dass das Relief beizeiten restauriert wird.
Bedauernswert: Manchen Schafen fehlen die Köpfe. Doch es könnte sein, dass das Relief beizeiten restauriert wird. | Bild: Wolfgang Mettler

„Die Hälfte des Hirtenstabs fehlt, Ausbesserungen wurden mit einem sichtbar anderen Material vorgenommen und den armen Schafen fehlen teilweise die Gesichter. Das Werk sollte dringend abgenommen, abgegossen und als Replik dort angebracht werden. Das Original gehört ins Museum“, findet Mettler.

Der städtische Denkmalpfleger Frank Mienhardt nahm sich auf Mettlers Anregung der Sache an. Auf SÜDKURIER-Nachfrage sagt Mienhardt: „Es laufen derzeit restauratorische Voruntersuchungen mit der Zielsetzung einer zeitnahen Sicherung der Substanz, möglicherweise gefördert aus dem Denkmalförderprogramm des Landes.“ Abgenommen und abgegossen werde das Relief aber wahrscheinlich nicht: „Derzeit wird von einem Erhalt an Ort und Stelle ausgegangen.“

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