Wir schreiben das Jahr 2035: Maya Allgäuer und ihre Familie leben im neuen Stadtteil Hafner. Morgens läuft Maya mit ihrer Tochter in die Kita, während der 14-jährige Max in der mit Wasserstoff betriebenen Ringlinie zur Schule fährt. Papa Stefan nimmt den autonom fahrenden Quartiersbus bis zum nächsten Mobilitätspunkt. Dort bucht er per Handy ein Elektroauto und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Als Maya dann zu ihrem Job radelt, surrt es über ihrem Kopf: Eine Drohne liefert Päckchen an ein Logistikzentrum.
So ähnlich könnte es im Hafner tatsächlich in einigen Jahren aussehen. Denn auf dem rund 60 Hektar großen Gelände soll ab 2025 ein neues Stadtviertel mit Modellcharakter entstehen. Es soll nicht nur Wohnen und Arbeiten, Sport und soziales Miteinander ermöglichen, sondern auch noch klimaneutral oder sogar -positiv gebaut werden.

Fünf Projektpartner haben nun Fördergelder dafür bekommen, in den kommenden drei Jahren Musterkonzepte für das saubere Viertel zu entwickeln. Der Titel: „Hafner KliEn – klimaneutral und energiewendedienlich“.
1. So sollen die Gebäude errichtet werden
Ein zentraler Aspekt ist die Frage, wie möglichst klimafreundlich gebaut werden kann. Die Aufgabe von Viola John und zwei Kollegen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) ist es, Varianten für ressourcensparendes Bauen durchzurechnen.
„Wir treffen in einer Ökobilanz Aussagen über die zu erwartenden Treibhausgas-Emissionen und den Einsatz an nicht erneuerbarer Energie im gesamten Lebenszyklus von Baustoffen, technischen Komponenten für Gebäude und Straßen bis hin zum jährlichen Energiebedarf von Häusern“, sagt Viola John vom Fachgebiet Energieeffizientes Bauen.

Außerdem gibt es Möglichkeiten, das Quartier flexibel zu gestalten, um auf die Folgen des Klimawandels reagieren zu können. „Hier untersuchen wir, in welchem Umfang zusätzliche Grünflächen auf Fassaden und Dächern für die Kühlung des urbanen Mikroklimas eingeplant werden könnten, wo größere Grünareale angelegt werden sollten, wo sich Wasserflächen anbieten“, sagt die 43-Jährige.
Um die CO2-Bilanz von Gebäuden zu verbessern, sei es auch sinnvoll, weitgehend auf Tiefgaragen und Keller zu verzichten und zum Beispiel mit Holz zu bauen. Hochgaragen haben einen weiteren Vorteil: Sie können später zu Wohnraum umgenutzt werden. Damit die Gebäude auch im Betrieb eine gute Klimabilanz aufweisen, sollen alle geeigneten Dachflächen sowie auch Freiflächen mit Photovoltaikanlagen versehen werden.
Die Versorgung des Quartiers mit Geothermie (Erdwärme) ist ein weiteres angedachtes Konzept. Viola John interessierte sich schon lange vor ihrem Architekturstudium für ressourcenorientiertes Bauen: „Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, die Welt ein bisschen besser zu machen.“
2. Sehr wenige Autos – und trotzdem mobil
Ihren Beitrag für eine bessere Welt zu leisten, dieses Ziel verfolgen auch Gordon Appel und Torben Schultz von den Konstanzer Stadtwerken. Sie erarbeiten für Hafner KliEn Konzepte, wie die Bürger sich möglichst umweltschonend fortbewegen. Auch hier gilt: Umdenken. Der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) könnte zum Beispiel mit Solarstrom oder Wasserstoff betrieben werden.
„Wir prüfen mehrere Konzepte ergebnisoffen, denn heute weiß niemand mit Gewissheit, welche Technologie 2028 die effizienteste ist und was sie kostet“, sagt Torben Schultz. Sein Kollege Appel ergänzt: „Unsere Aufgabe im Gesamtprojekt ist es herauszufinden, zu welchen Zeiten an welchem Ort welche Energieform in welcher Menge bei den Themen Mobilität, Wärme und Strom benötigt wird und wie das weitestgehend klimaneutral gekoppelt werden kann.“

Da die Stadt Konstanz es sich zum Ziel gesetzt hat, den motorisierten Individualverkehr bis 2035 im Vergleich zu 2018 um die Hälfte zu senken, eruiert Torben Schultz in den kommenden drei Jahren, wie die Mobilität der Zukunft aussieht und was davon in Konstanz Sinn hat. „Dabei berücksichtige ich auch das vorhandene Verkehrssystem, denn die Mobilität im Hafner wird mit der restlichen Stadt verknüpft.“
Er und Gordon Appel prüfen viele Details: Ist der geplante Stellplatzschlüssel in den Hochgaragen klimafreundlich? Wie viele Carsharing-Autos und -Räder müssen wo bereitstehen? Ist ein Mobilitätspunkt rechts oder links der Straße energetisch sinnvoller? Der Hafner wird ein Stadtteil mit sehr wenigen Autos.
Eine Utopie? „Nein“, sagt Gordon Appel. Er selbst verkaufte sein Fahrzeug, verzichtet aufs Fliegen, konsumiert sehr bewusst. „Es ist ein Ammenmärchen, dass Klimafreundlichkeit Verzicht bedeute. Ich lebe viel besser, seitdem ich im Paradies keinen Parkplatz mehr suchen muss.“
3. Wie der Blick aufs große Ganze gelingt
Bei aller Offenheit für innovative Gedankenspiele ist dennoch eines klar: „Unser Anspruch ist es, ein lebenswertes Quartier zu bauen und nicht nur ein hochtechnologisiertes. Wir prüfen, was sachdienlich ist und was nicht.“ Das sagt Lukas Esper, der bei der Stadt Konstanz die Stabstelle Hafner leitet und im Teilprojekt Hafner KliEn die Fäden zusammenhält.

Ergebnisoffen zu denken, dabei aber einen konkreten Wirtschaftsplan aufzustellen, gehöre zu den Herausforderungen – genauso wie die Erfordernis, die Vorstellungen der vielen Akteure zusammenzubringen. „Dabei wird es Zielkonflikte geben“, sagt der 36-jährige Stadtplaner. Gordon Appel drückt es so aus: „Jemand, der die Freiraumplanung macht, hat eine andere Brille auf als jemand, der eine große Photovoltaikanlage bauen will.“
4. Dennoch wird es Kritikpunkte geben
Unter den Bürgern ruft ein Vorhaben dieser Größe zwangsläufig Kritiker auf den Plan. „Wir machen deshalb unsere Ideen möglichst transparent“, sagt Lukas Esper. Für ihn ist die Entwicklung der „Heimat Hafner“ spannend: „In Deutschland gibt es wenige ähnliche Projekte in dieser Dimension – und wenn, dann nur in großen Städten.“
Für Konstanz sei das Vorhaben essentiell: „Natürlich versiegeln wir eine große Fläche, aber wir wägen das gut ab mit der sozialen Frage. Wenn wir am Hafner nicht bauen, ziehen noch mehr Familien und Erwerbstätige weg.“