Herr Böhler – so würde das Interview normalerweise beginnen. Aber wir belassen hier es jetzt doch beim Fasnachts-Du. Also, Mario, vor 10 Jahren bist Du Präsident der Narrengesellschaft Niederburg geworden. Wenn Du damals gewusst hättest, was von Corona bis Willi Hermann da auf Dich zukommt, hättest Du die Verantwortung dann auch angenommen?

Ja. Das kann ich mit vollem Herzen sagen. Es ist eine Aufgabe, die sehr viel Freude macht. Sie führt so unterschiedliche Menschen zusammen, bietet einen großen Gestaltungsspielraum. Und es hat so viel mit Kreativität zu tun. Ich bereue es nicht, das Präsidentenamt angenommen zu haben, es ist wirklich etwas ganz Besonderes.

Wenn Du als Niederburg-Präsident auftrittst, dann ziehst Du Dir einen roten Frack an, der mit merkwürdigen Orden behangen ist, und schlüpfst in Lackschuhe. Wie hält man sowas aus?

Ich halte das tatsächlich ziemlich gut aus. Kostüm, Bühne, Theater, das gehört doch auch bei der Fasnacht alles zusammen. Der Smoking muss nur sehr regelmäßig in die Reinigung, an so einem Abend wird einem doch oft an den Ärmel gefasst.

Wenn es etwas gibt, das ich bizarr finde, sind es übrigens weder Frack noch Lackschuhe, sondern diese Ratskette, die ja ganz bewusst der Amtskette des Oberbürgermeisters nachempfunden ist und mein Zepter, die sogenannte Marotte, das ich zum Start in die Fasnacht feierlich vom Hofnarr überreicht bekomme.

2014: Marc Ellegast und Mario Böhler, damals neuer und scheidender Präsident der Narrengesellschaft Niederburg.
2014: Marc Ellegast und Mario Böhler, damals neuer und scheidender Präsident der Narrengesellschaft Niederburg. | Bild: Hanser, Oliver | SK-Archiv

Dieses Spiel mit den Insignien der Macht ist auf seine Art ja auch ironisch. Worin liegt eigentlich für Dich der Zauber der Fasnacht?

Die Fasnacht ist meines Erachtens die größtmögliche Freiheit, die man als Einzelperson auswählen kann. Du kannst Präsident sein, du kannst aber auch Straßenkehrer sein, du kannst Zauberer sein, Du kannst Fee sein, Du kannst alles sein, was du eben schon immer sein wolltest. So kannst Du durch die Gassen und in jede Kneipe gehen. Ohne Eintritt, ohne Dich erklären zu müssen. Ich finde, das ist ein großes Geschenk. Die Fasnacht ist einfach fröhlich.

Gab es in den zehn Jahren auch Momente, wo Dich der Humor so richtig verlassen hat und wo Du gesagt hast, es ist einfach alles überhaupt gar nicht mal lustig?

Ja, natürlich. Wir hatten das große Thema mit Willi Hermann, da musste und muss man mit einer großen Ernsthaftigkeit führen. Da gibt es meines Erachtens auch keine zwei Haltungen dazu. Da kann man auch nicht darüber lachen, wenn sich herausstellt, dass jemand hauptberuflich Propaganda für die NSDAP gemacht macht.

Aber davon abgesehen von diesem sehr singulären, sehr großen Thema gibt es keines, dem man nicht auch eine lustige Seite abgewinnen kann. Norbert Heizmann sagt ja immer, sogar der Tod hat irgendwie was Humoriges an sich, und ich finde, da hat er vollkommen Recht.

Aus dem Jahr 2017 eine bittere Erinnerung: Wolfgang Mettler und Mario Böhler hatten 2017 schon viel vorbereitet für die große Ehrung von ...
Aus dem Jahr 2017 eine bittere Erinnerung: Wolfgang Mettler und Mario Böhler hatten 2017 schon viel vorbereitet für die große Ehrung von Willi Herrmann (1907-1977), der viele Lieder für und über die Konstanzer Fasnacht schrieb. Doch dann ergaben Recherchen, die bis heute nicht allen gefallen: Willi Hermann war ein glühender Nazi. | Bild: Rau, Jörg-Peter | SK-Archiv

Bei Willi Hermann haben wir einen Riss durch die Fasnachter-Gemeinschaft gehen sehen. Welche Rolle spielt die Fasnacht, die Gesellschaft beisammen zu halten?

Einmal im Jahr kann jeder mal über die Stränge schlagen und auch mal sagen, was einem auf der Seele brennt. Dieses den-Kropf-Leeren beider Fasnacht ist für die Hygiene einer Gesellschaft als Ventil von enormer Bedeutung. Was viele ständig auf Facebook meinen posten zu müssen, kann man einmal im Jahr in der Fasnacht sagen, und dann ist auch wieder gut.

Jetzt mal ganz ehrlich: Bist Du im Grunde Deines Herzens richtig zufrieden mit der Fernsehfasnacht? Immerhin ist sie ja da wohl wichtigste Aushängeschild der Konstanzer Fasnacht?

Ja, das kann ich wirklich rundheraus sagen. Ich weiß, dass das in einem knapp vierständigen Programm nicht jede Nummer so zündet, wie wir es uns vorgestellt haben. Aber das, was wir da zeigen als ehrliche, handgemachte, authentische Fastnacht, von Laien auf einer professionellen Bühne dargeboten – ich finde, da muss man sehr, sehr weit gehen, um etwas Vergleichbares zu finden.

Man kann wirklich stolz sein auf dieses Produkt, das ist die am zweitlängsten laufende Fernsehsendung nach „Mainz bleibt Mainz“! Das kann man auch an Zahlen ablesen: Wir verdreifachen den Marktanteil des SWR in BW im Vergleich zu einem „normalen“ Dienstag. Und noch zu einer Kritik, die man gelegentlich hört: Wir bringen immer wieder neue, junge Akteure.

2019: Uli Burchardt und Mario Böhler auf dem Konstanzer Narrenmarkt auf der Marktstätte. Heute sind die beiden auch beruflich eng ...
2019: Uli Burchardt und Mario Böhler auf dem Konstanzer Narrenmarkt auf der Marktstätte. Heute sind die beiden auch beruflich eng verbunden: Böhler arbeitet im OB-Büro. | Bild: Oliver Hanser | SK-Archiv

Ihr versucht als Niederburg, immer wieder auch mit anderen Veranstaltungen und auch außerhalb der Fasnacht neue Zielgruppen anzusprechen, zum Beispiel mit dem Musical „Die Fischerin vom Bodensee“. Das war ja ein Riesenerfolg.

Mein Ansinnen ist es jetzt, in regelmäßigen Abständen sozusagen ein neues Produkt zu präsentieren, was es bisher noch nicht gab. Da steht dann die Textarbeit – das Schreiben von Büttenreden – vielleicht nicht ganz so groß im Vordergrund. Aber auch Tanz. Musik und Schauspiel gehören bei der Niederburg fest dazu, und das haben wir bei der „Fischerin“ ja auch erfolgreich gezeigt. Damit erreichen wir eine ganz große Zielgruppe, und deshalb planen wir auch für 2025 etwas in der Richtung, allerdings nicht so groß.

Gehen inzwischen Events vor Inhalte?

Nein! Wir bleiben bei unserem Kern – das ist ganz klar die lokale, regionale Unterhaltung. Wir machen das so, dass die Akteure mitgehen können, dass der Dreizehnerrat mitgehen gehen. Wir machen es einfach so, dass wir sagen: Eine Sache im Jahr, die machen wir mal ein bisschen anders, und das machen wir zusätzlich. Auch beispielsweise die Belebung des Pulverturms mit „Tage der offenen Tür“ und der Pulverturm-Bar finden sich unter diesem Punkt wieder.

November 2014: Selbst erst knapp dem Klepperle-Alter entwachsen, erhält Mario Böhler beim Fasnachtsauftakt der Niederburg vom Vorgänger ...
November 2014: Selbst erst knapp dem Klepperle-Alter entwachsen, erhält Mario Böhler beim Fasnachtsauftakt der Niederburg vom Vorgänger Marc Ellegast die Kappe des Präsidenten. | Bild: Jörg-Peter Rau

Den 140. Geburtstag feiert die Niederburg mit einem Tanz in den Mai im Bodenseeforum. Was ist da geplant?

Das ist übrigens etwas, das war gar nicht neu erfinden. Die Niederburg hatte das in den 60er- und 70er-Jahren schon einmal. Nun lassen wir das aufleben und feiern mit vielen Leuten eine große Geburtstagsparty. Die Fasnacht dieses Jahr wäre dafür eigentlich auch eh zu kurz gewesen.

Dennoch ist sie auch am 30. April präsent: Wir haben Balletts von vielen befreundeten Fasnachtsvereinen eingeladen, und es gibt ein Wiedersehen mit Rainer Vollmer von der Fernsehfasnacht, der mit seiner Schlager-Band Papis Pumpels spielt. Nach Mitternacht legt dann im Bodensee noch ein DJ auf. Der Vorverkauf läuft super, wir freuen uns auf einen spaßigen Abend vor dem Feiertag mit bis zu 2000 Gästen.

Gruppenbild mit Herr: Unter Mario Böhlers Führung hat sich die Niederburg auch für Frauen weiter geöffnet. Hier mit den beiden neu ...
Gruppenbild mit Herr: Unter Mario Böhlers Führung hat sich die Niederburg auch für Frauen weiter geöffnet. Hier mit den beiden neu ernannten Burgdamen Ruth Bader (links) und Bettina Gräfin Bernadotte (rechts). | Bild: Niederburg-Archiv

Darüber würden sich viele Konstanzer Narrengesellschaften freuen. Sie klagen, dass sie immer weniger Leute haben, die mitmachen wollen. Was macht Ihr anders?

Wir versuchen immer, etwas Neues zu machen und uns nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Das ist eine meiner Kernaufgaben, in der Satzung heißt das dann „Fortentwicklung des Vereins“. Dafür gehen wir mit offenen Augen durch die Welt und schauen, wo es etwas gibt, das wir für uns adaptieren können. Und dann muss man eben ein großer Motivator sein und das mit den flachen Hierarchien wirklich auch leben.