Herr Merk, vor kurzem haben Sie sich aus dem aktiven Dienst bei der Feuerwehr verabschiedet. War der schwerste Moment, als sie den Funkmeldeempfänger abgeben mussten?
Ihn abzugeben war schon eigentümlich. Der schwerste Moment aber war die erste Alarmfahrt kurz nach meinem Abschied, als meine Kameraden mit Martinshorn und Blaulicht direkt an meiner Wohnung vorbeigefahren sind. Dreimal sind sie schon ausgerückt. Das ist schon hart, das gebe ich zu.
Warum hat Sie am Engagement für die Feuerwehr gereizt?
Alle meine Freunde waren bei der Feuerwehr. Kameradschaft und Gemeinschaft standen anfangs für mich im Vordergrund. Je älter man wird, desto mehr interessiert man sich dann auch für die Technik. Die Jugendfeuerwehr Dingelsdorf war seinerzeit federführend aufgrund der kind- und jugendgerechten Aktivitäten, und zwar zwölf Monate im Jahr. Im Winter haben wir im Hallenbad sämtliche Schwimmabzeichen gemacht bis hin zum DLRG-Grundschein für Rettungs- und Leistungsschwimmen.
Das Interesse an der Jugendfeuerwehr ist nachvollziehbar. Und doch ist es ein großer Schritt, in die aktive Wehr zu wechseln. Wenn ein Gebäude brennt, rennen alle raus und ihr hinein. Warum haben Sie sich für die aktive Wehr entschieden?
Ich hatte nicht viel zu überlegen. 1972, als ich 15 Jahre alt war, sind viele aus der aktiven Feuerwehr der damals noch eigenständigen Gemeinde Dingelsdorf ausgetreten. Der Kommandant hatte jeden gebraucht. Ohne Nachdenken habe ich den orangenen Plastikhelm abgegeben und den schwarzen Stahlhelm bekommen. Ich wusste, dass zwei bis drei Mal im Jahr in Dingelsdorf Schilf oder Gras brennt oder wir bei Unwetterlagen Keller auspumpen mussten.

Wann merkten Sie, dass das Aufgabenportfolio der Feuerwehr noch umfangreicher und im wahrsten Sinne auch heißer ist?
Als wir 1975 mit der Eingemeindung nach Konstanz am Atemschutzlehrgang teilnahmen, wurde mir klar, dass wir auch zu Großeinsätzen in Konstanz alarmiert werden. Klawitterbrand, Hohes Haus Zollerstraße, als der Erker auf die Straße gestürzt ist, Hotel Halm, Bayerischer Hof... da waren wir Dingelsdorfer auch dabei. Und beim Brand beim Emler Baumarkt da war ich mit Bruno Aichem mittendrin. Das ist unvergessen.
Warum?
Wir waren in der Holzabteilung, haben rechts gelöscht, links gelöscht, vorne gelöscht und dann fing es durch Selbstentzündung sofort wieder zu brennen an. Ich habe gedacht, hier kommen wir nicht mehr lebend raus. Erst als dem Löschwasser Schaummittel zugeführt wurde, haben wir das Feuer ausgekriegt. Da bekommt man schon weiche Knie.
Nur weiche Knie? Keine Angst?
Angst habe ich nie gehabt. Angst ist ein schlechter Berater. Man muss immer einen kühlen Kopf bewahren. Vielleicht war ich auch gut trainiert. Beruflich als Fahrdienstleiter am Hauptbahnhof war ich auch bei jeder Situation, wie etwa Zugentgleisung, gefordert. In der Feuerwehr wird man gut ausgebildet. Ich habe jeden Lehrgang absolviert und immer mehr Verantwortung übertragen bekommen, bis hin zum Zugführer. Da hat man eine Vorbildfunktion. Man hat immer eine Lösung. Nichts tun gibt‘s nicht.
Was ist die Triebfeder, sich in brenzlige Situationen zu begeben?
Adrenalin. Hitze. Du willst als Sieger hervorgehen, Menschen retten, Schäden abwenden, ohne dass deinen Leuten etwas passiert.
In welcher Situation schüttet der Körper eines Feuerwehrangehörigen Adrenalin aus?
Sobald der Melder runtergeht, kommt der erste Adrenalinschub. Der zweite bei der Durchsage. Geht es um Wasser im Keller, ist es nicht so schlimm, aber beim Alarmstichwort „Feuer Gebäude“, da wird es einem immer anders. Aber man lernt, mit Adrenalin umzugehen, schließlich sind wir alle gut ausgebildet. Ausbildung und die Teilnahme an Wettkämpfen – darauf habe ich immer großen Wert gelegt – sind wichtig, denn durch regelmäßiges Üben sitzen alle Handgriffe. Man muss nicht mehr nachdenken; das geht dann quasi automatisch.

Sie haben sicherlich auch Einsätze erlebt, die man nicht so einfach wegsteckt. Welches Erlebnis ging Ihnen an die Nieren?
Unwetter mit Starkregen, als nachts in eine Souterrain-Wohnung in Wallhausen durch ein Fenster, das durch den Wasserdruck zerbarst, Wassermassen eindrangen. Als wir kamen, stand das Wasser 1,50 Meter hoch und ein Schäferhund schwamm neben einem Kühlschrank uns entgegen. Die Bewohner und der Hund wurden gerettet. Aber wir konnten gar nicht so viel pumpen wie Wasser nachströmte.
Abertausende Liter Wasser rannen vom Parkplatz über Feld und Straße in die Wohnung. Das Technische Hilfswerk setzte Großpumpen ein. Als es etwas hell wurde, sind fünf Mann mit Schaufel und Pickel los und haben oben, wo das Wasser herkam, notdürftig Gräben gezogen. Die Bewohner hatten ihre Existenz verloren. Sie waren nicht versichert. Die Wohnung wurde ein halbes Jahr geheizt, um zu trocknen. Das Fenster wurde zugemauert.
Wie sieht Ihr Leben jetzt nach 50 Jahren aktivem Dienst aus? Langweilen Sie sich?
(lacht) SÜDKURIER lesen im Bett, so fängt der Tag an. Heute hat mich um 9.15 Uhr jemand angerufen, ob ich ihm g‘schwind etwas helfen könnte. Es tät pressieren. Danach habe ich Gartenarbeit gemacht, heute Abend ist eine Sitzung der Dingelsdorfer Vereine und jeden zweiten Montag ist Zugdienst. Ich gucke, dass etwas im Kühlschrank im Gerätehaus ist und sorge dafür, dass die ganze Bande etwas zum Essen bekommt. Schließlich haben mich mein Nachfolger Florian Fuchs und sein Stellvertreter Marcus Sauter zum S4 (Versorgungstrupp)-Beauftragten LZ 5 (Dingelsdorf) ernannt.