Egal ob Hochwasser, Brand oder Verkehrsunfall: Rettungskräfte ziehen bei ihren Einsätzen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich. Angelockt von Martinshorn und auffälligen Rettungsfahrzeugen treten Neugierige schrittweise näher – oftmals auch mit dem gezückten Smartphone, um ihre Bilder und Videos anschließend in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen.

Das Gaffen

Ein Problem wird dieses Verhalten, wenn dabei Grenzen überschritten, wenn Absperrungen missachtet, wenn Einsatzkräfte an ihrer Arbeit gehindert oder Opfer gefilmt werden. Wie gehen Rettungskräfte aus Konstanz und der Region mit Gaffern um? Wie hat sich dieses Phänomen in Zeiten des Smartphones verändert? Und welche Möglichkeiten haben Einsatzkräfte sich vor Gaffern zu schützen?

Feuerwehr: Helfer werden fast immer beim Einsatz gefilmt

Das Phänomen Gaffen begleitet die Konstanzer Feuerwehr schon seit längerer Zeit, erklärt Pressesprecher Christopher Kutschker auf SÜDKURIER-Nachfrage. „Eigentlich ist es mittlerweile Normalität geworden, dass die Helfer bei den Einsatzstellen gefilmt werden.“ Dies geschehe vor allem, wenn die Helfer im städtischen Bereich unterwegs seien.

„Es gibt Einsätze, da können wir bei der Anfahrt schon in den sozialen Netzwerken ein Bild von der Lage vor Ort machen“, ...
„Es gibt Einsätze, da können wir bei der Anfahrt schon in den sozialen Netzwerken ein Bild von der Lage vor Ort machen“, sagt Christopher Kutschker, Pressesprecher der Feuerwehr Konstanz. | Bild: Cian Hartung

Gaffer störten vor allem, wenn die Einsätze behindert oder hinterfragt würden, erklärt Kutschker. „Wir haben während eines laufenden Einsatzes keinerlei Möglichkeiten, über solche Dinge zu diskutieren.“ Die Feuerwehr müsse darauf vertrauen, dass die Menschen Absperrungen einhielten. „Wenn wir gestört werden, schicken wir sie weg, erweitern den Absperrradius und holen uns die Unterstützung der Polizei dazu.“

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Wie Kutschker erklärt, habe sich die Zahl der Gaffer durch Smartphones deutlich erhöht. „Es gibt Einsätze, da können wir bei der Anfahrt schon in den sozialen Netzwerken ein Bild von der Lage vor Ort machen.“ Er fügt hinzu: „Ich finde es erschreckend, wie schnell Bilder und Videomaterial durch die Sozialen Medien diese Verbreitung erreicht.“ Aus dem Videomaterial ziehe die Feuerwehr natürlich keinen Nutzen, so der Feuerwehrmann.

Sichtschutzwand gehört inzwischen zum Equipment

Gegen Videoaufnahmen ihrer eigenen Einsätze können die Feuerwehrleute wenig tun, sagt Kutschker. „Es gibt im Netz wenige Möglichkeiten für uns als Feuerwehr, Schritte einzuleiten“, so der Pressesprecher. „Wir können das nur durch Sensibilisierung oder Kampagnen machen.“

Gegen Gaffer vor Ort hat die Feuerwehr jedoch eine erste Lösung gefunden: Sie ist rund zwei Meter hoch und 15 Meter breit – gemeint ist ein Sichtschutz. Damit können die Feuerwehrleute beispielsweise Unfallopfer vor den neugierigen Blicken schützen.

Eine Sichtschutzwand der Feuerwehr Konstanz: So sind Unfallopfer vor Gaffern und Schaulustigen geschützt.
Eine Sichtschutzwand der Feuerwehr Konstanz: So sind Unfallopfer vor Gaffern und Schaulustigen geschützt. | Bild: Cian Hartung

Wie der Konstanzer Feuerwehrkommandant Bernd Roth erklärt, wolle man die Neugier der Bevölkerung an der Arbeit der Feuerwehr aber nicht zu sehr verteufeln. Es sei nachvollziehbar, dass sich die Menschen fragten, was an einem Einsatzort passiere.

Außerdem sei ein gewisses Maß an Neugier auch gewollt. „Wir wollen natürlich auch im Rampenlicht stehen und wahrgenommen werden, um Mitglieder im Ehrenamt zu werben“, sagt Roth. „Aber das darf nicht dazu führen, dass wir beim Einsatz behindert und Grenzen überschritten werden.“

DRK-Helfer: Vor 30 Jahren wurde auch gegafft – nur ohne Smartphone

Auch Alex Schroff, langjähriger ehrenamtlicher Helfer des Konstanzer Ortverbandes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), kennt das Phänomen. Er hat bei Großveranstaltungen, wo er und seine Kollegen vorrangig im Einsatz sind, und im privaten Rahmen Erfahrungen mit Gaffern gemacht. Die Gafferei habe aber schon vor der Erfindung des Smartphones bemerkbar gemacht, erklärt er auf SÜDKURIER-Nachfrage.

Wenn Alex Schroff, DRK-Ortsverband Konstanz, im Einsatz ist, möchte er weder dabei behindert werden noch im Anschluss sich selbst auf ...
Wenn Alex Schroff, DRK-Ortsverband Konstanz, im Einsatz ist, möchte er weder dabei behindert werden noch im Anschluss sich selbst auf einer Video-Plattform finden. | Bild: Alex Schroff/DRK Ortsverein

„Ich erinnere mich an eine Reanimation, die ich privat Ende der 1990er Jahre auf einer Autobahn gemacht habe.“ Damals hätte noch niemand ein Smartphone gehabt, doch die Gafferei sei ähnlich gewesen. „Die Leute haben dort einfach herumgestanden und nicht geholfen. Da war es gleich wie heute, nur dass man nicht gefilmt wurde.“

„Solange man nicht auf YouTube landet...“

Die Neugier am Einsatzort hält er für nachvollziehbar. „Es ist ganz klar ein menschliches Bedürfnis zu erfahren, was da passiert. Da fragt man sich: ‚Geht es da jemandem schlecht? Kenne ich die Person vielleicht?‘“ Doch diese Neugier dürfe keine Grenze überschreiten, so der Ehrenamtliche.

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Für Helfer sei es herausfordernd, beim Einsatz im Fokus von Gaffern zu stehen, so Schroff. „Es ist schwierig, da die Grenze zu finden, was man mit sich machen lässt. Da muss jeder Helfer auch seine eigene Schmerzgrenze erfahren.“ Diese Schmerzgrenze sei aber so individuell wie der Mensch, der im DRK-Gewand steckt. Wo sieht Schroff diese persönliche Grenze? „Solange man nicht bei YouTube landet, kann man damit leben.“

Johanniter-Retter: Gaffer sollen sich selbst auf frischer Tat ertappen

Einen ersten Lösungsansatz gegen das Problem scheint der Rettungsdienst der Johanniter gefunden zu haben. QR-Codes auf Rucksäcken, Einsatzwägen und Sichtschutzwänden sollen dazu führen, dass sich Gaffer selbst auf frischer Tat ertappt fühlen. So wirbt der Verein für sein Pilotprojekt. Wenn Gaffer einen Einsatz mit ihrem Smartphone filmen, erkennt die Kamera das zweidimensionale Muster an den Einsatzwägen und ruft automatisch eine Internetseite auf. Dort steht die Botschaft „Stopp! Gaffen tötet! Du behinderst Rettungskräfte und machst dich strafbar.“

QR-Codes auf Einsatzwägen des Johanniter-Rettungsdienstes könnten zukünftig Gaffer bei ihren Videoaufnahmen stören. Bislang handelt es ...
QR-Codes auf Einsatzwägen des Johanniter-Rettungsdienstes könnten zukünftig Gaffer bei ihren Videoaufnahmen stören. Bislang handelt es sich dabei um ein Pilotprojekt. | Bild: Johanniter-Unfall-Hilfe e.V./Youtube-Screenshot

„Bisher ist dieses Konzept erst in der Testphase“, erklärt Notfallsanitäter Andreas Bach, der im Landkreis Konstanz und Singen für den Johanniter-Rettungsdienst im Einsatz ist. „Meine Erfahrung zeigt, dass Leute schnell am Einsatzort stehen und das Smartphone in der Hand haben.“ Viele Johanniter-Landesverbände überlegten, die QR-Codes auf ihre Einsatzwägen, Sichtschutzwänden oder Rücksäcken abzubilden, sagt Bach. „Auch wir haben unser Interesse daran kundgetan.“

Je größer das Ereignis, desto mehr Gaffer

Andreas Bach, Rettungswachenleiter der Johanniter-Unfall-Hilfe in Singen.
Andreas Bach, Rettungswachenleiter der Johanniter-Unfall-Hilfe in Singen. | Bild: Andreas Bach

Aus eigener Erfahrung kann der Notfallsanitäter sagen: „Besonders Verkehrsunfälle wecken das Interesse von Gaffern.“ Je größer das Ereignis, desto schwieriger sei es, die Leute von der Einsatzstelle fernzuhalten. „Ich finde das Gaffen und Filmen vor allem für die Betroffenen beklemmend, aber auch für uns Helfer.“ Umso gravierender sei es, wenn die Filmaufnahmen anschließend in den sozialen Netzwerken landeten, sagt Bach.

Der Notfallsanitäter hält die QR-Codes für „eine gute Sache“. „Die Frage ist aber, ob das den Gaffer aktiv vom Gaffen abhält.“ Der Effekt der Codes werde aktuell noch erforscht. Dennoch seien derartige Schutzmaßnahmen sinnvoll, um das Problem in den Griff zu bekommen, findet er. „Damit macht man klar, dass Gaffen in diesem Moment unangebracht ist.“

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