Am Anfang war der Regen. Und die fröstelnde Erkenntnis: Protest und Gegenprotest vertragen sich offenbar nicht mit Nässe. Auf die Straße gehen gegen Maskenpflicht, Flagge zeigen gegen Corona-Leugner oder Corona-Skeptiker ist ja schön und gut – aber bitte nicht bei schlechtem Wetter.

Solange es regnete, hielten sich Proteste in Grenzen.
Solange es regnete, hielten sich Proteste in Grenzen. | Bild: Marcel Jud

Wie sonst soll man es sich erklären, dass am Samstagvormittag nur wenige Dutzende Querdenker und Gegendemonstranten in der Innenstadt unterwegs waren? Erst, als sich die Sonne durchsetzte und mit ihr die Temperaturen kletterten, erschienen sie zu Hunderten, schließlich zu Tausenden.

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Die Stadt trennte sich schnell in zwei Lager. In die Menschen, die Corona als Druckmittel der Regierung auf dem Weg in die Diktatur und partielle Maskenpflicht als Eingriff in die Grundrechte bezeichnen, und in die, die vor einer Verharmlosung des Virus warnen und eine Unterwanderung der Gegenseite durch Neo-Nazis und Antisemiten fürchten. Dazwischen gab es nichts. Die einen beschimpften die anderen, bevor sie wiederum von denen beschimpft wurden. Die Gewalt blieb in aller Regel auf der verbalen Ebene – doch es muss ja nicht immer gleich zu Ausschreitungen kommen. Worte sind auch Waffen.

Bild 2: „Es geht nicht darum, Recht zu haben“: Ein Plädoyer für Annäherung von Querdenkern und Gegendemonstranten und gegen Diskriminierung
Bild: Schuler, Andreas

Wenn Journalisten lautstark von verschiedenen Menschen als Faschisten beschimpft werden, weil sie Fotos von Demonstrationen im öffentlichen Raum machen wollen, also ihren Beruf ausüben, wenn linke Stadträte aus demselben Grund laut schreiend als Nazis verunglimpft werden, dann sind Grenzen nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten.

Journalisten werden übel beschimpft

Exakt diese Erfahrungen machten zum einen der SÜDKURIER-Reporter, zum anderen Stadtrat Holger Reile, als sie am Samstag den Zug der Gegendemonstranten durch den Stadtgarten verfolgten. Damit begaben sich diese Demonstrierenden auf das Niveau, das gerne den Querdenkern vorgeworfen wird. Gleichzeitig marschierten an ihrer Seite Gleichgesinnte, die solche abstrusen Beschimpfungen schweigend tolerierten oder weghörten. Lautet so nicht ein Vorwurf an die Querdenker? Schweigend Menschen zu tolerieren, die Hass säen oder provozieren? Nur mal so ein Denkanstoß.

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Eine Verallgemeinerung verbietet sich jedoch entschieden. Die Reduzierung auf ein paar Schreihälse und schweigende Mitläufer wird dem breiten Bündnis von Vertretern jeglicher politischer Couleur nicht gerecht. Deren Selbstverständnis findet sich auf der Homepage des Bündnisses.

Demo Bündnis Video: privat

Hier heißt es: „Wir möchten Corona-Leugnern und rechtsextremen Gruppierungen keinen Raum in Konstanz geben. Mit der Aktion wollen wir der schweigenden Mehrheit, die hinter den Corona-Maßnahmen steht, eine Stimme geben und gemeinsam für Demokratie und Vernunft und gegen Diskriminierung und Verschwörungsmythen aufstehen.“ Dieses Ansinnen ist durchaus geglückt. Leicht sarkastisch sei noch hinzugefügt: Zumindest so lange die Sonne schien.

Die Kundgebung am Kaiserbrunnen.
Die Kundgebung am Kaiserbrunnen. | Bild: Pit Wuhrer

Die überwältigende Mehrheit der Gegendemonstranten argumentierte zweifelsohne sachlich und mit klarem Verstand. Mehrere hundert friedliche Demonstranten zogen am Sonntag beispielsweise vom Areal Herosé über die Fahrradbrücke zum Gondelhafen und dann spontan noch weiter zur Marktstätte, wo am Kaiserbrunnen eine Kundgebung stattfand.

Viele hundert Konstanzer und Vertreter des überparteilichen Bündnisses zogen am Sonntag friedlich vom Herosé-Areal zum Gondelhafen und ...
Viele hundert Konstanzer und Vertreter des überparteilichen Bündnisses zogen am Sonntag friedlich vom Herosé-Areal zum Gondelhafen und dann spontan noch weiter zur Marktstätte. | Bild: Pit Wuhrer

Die Demo lief unter dem Namen „Konstanz solidarisch in der Corona Krise“ und wurde organisiert von Noel Matausch und Lars Alexis. Die Bündnispartner liefen Seite an Seite mit vielen hundert weiteren Konstanzern – ein beeindruckendes Bild der Einheit. „Auch Solidarität mit Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen war ein wichtiges Thema“, schreibt eine Teilnehmerin.

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Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh sei als herausragendes Beispiel für vereinende Sachlichkeit hervorzuheben. Der Theologe hielt am Münsterplatz und auf Klein Venedig beeindruckende Reden, die mehr als die rund 800 Zuhörer verdient gehabt hätten.

Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh rief auf dem Münsterplatz zu gegenseitigem Verständnis und zum Dialog auf.
Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh rief auf dem Münsterplatz zu gegenseitigem Verständnis und zum Dialog auf. | Bild: Andreas Schuler/Marcel Jud

Er forderte die klare Abgrenzung zu Faschismus, Rassismus und Antisemitismus, brachte jedoch auch eine Botschaft des gegenseitigen Verständnisses mit nach Konstanz: „Wir sind in unserer Demokratie in der Lage, mit dieser Krise umzugehen. Wir sollten uns gegenseitig zugestehen, ins Gespräch miteinander zu gehen. Es ist ja nicht so, dass jemand die richtige Antwort schon weiß. Wir müssen Schutz einerseits und soziale Distanz andererseits miteinander abwägen. Das ist das eigentlich Wichtige: Dass wir uns nicht gegenseitig diskriminieren, sondern das ausnutzen, was die Demokratie uns bietet. Es geht nicht darum, immer Recht zu haben, sondern darum, miteinander das Gespräch zu suchen.“

Damit sprach der Professor einen Punkt an, der eine Annäherung weitgehend verhindert: So lange beide Seiten überzeugt sind, zu hundert Prozent Recht zu haben, und nicht bereit sind, sich aufeinander zuzubewegen, wird es diesen Dialog nicht geben. Davon ausgenommen sind Rassisten, Faschisten oder Antisemiten, die am Wochenende aber kaum in Erscheinung traten.

Demo Bündnis 2 Video: privat

Cornelius-Bundschuh forderte friedliche Querdenker, die ihre Grundrechte gefährdet sehen, und friedliche Gegendemonstranten zu diesem Dialog auf. Der fand in Konstanz, wenn überhaupt, nur rudimentär statt. Beide Seiten beschränkten sich auf eigene Aktionen. Zu erwarten, dass Andersdenkende aufgrund einer Kundgebung der Gegenseite ins Grübeln geraten und sich selbst hinterfragen, ist reichlich naiv. Gleichzeitig ist es richtig und wichtig, seine Überzeugung friedlich und sachlich zu kommunizieren.

„Corona nicht so schlimm? Da gibt es ein Erschrecken“

Der Landesbischof selbst sprach in Konstanz in einem Café mit Corona-Skeptikern. Gerne erzählt er dann von seinen Gesprächen über das Thema mit Vertretern von Partnerkirchen in USA, Israel oder Italien. „Wenn ich denen sage, dass das eigentlich kein Problem sein soll, staunen die, und es gibt ein Erschrecken.“

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Chancen, bei der Gegenseite auf offene Ohren zu treffen, waren durchaus da. Gerry Mayr zum Beispiel, Initiator der Menschenkette und der Querdenker-Kundgebungen, wurde diese Chance auf dem Präsentierteller serviert – doch er vergab sie. Journalisten wollten am Samstagabend wissen, wie er reagieren würde, wenn Rechts- oder Linksextreme auftauchen würden. Seine Antwort? „Dann sage ich willkommen. Wir kämpfen ja für Demonstrationsfreiheit.“ Dass ihm so eine Aussage hinterher um die Ohren gehauen wird – damit musste er rechnen. Quarantäne setzt er mit Gefängnis gleich, wer eine Mund-Nasen-Maske trägt, ist in seinen Augen weder ein angenehmer noch ein willkommener Gesprächspartner. Rechts- oder Linksextreme aber schon?

Bild 6: „Es geht nicht darum, Recht zu haben“: Ein Plädoyer für Annäherung von Querdenkern und Gegendemonstranten und gegen Diskriminierung
Bild: Andreas Schuler

Gerry Mayr versuchte, das Wochenende als Erfolg zu verkaufen. Aus seiner Sicht verständlich. Doch war er vorher nicht von mehreren hunderttausend Menschen ausgegangen? Hier und da offenbarte er auch eine erstaunliche Doppelmoral: Einerseits forderte er Menschen mit Symptomen auf, daheim zu bleiben, und rief dazu auf, den Mindestabstand einzuhalten – andererseits leugnet er die Existenz einer Pandemie und wehrte sich am Wochenende gegen die polizeiliche Anordnung, dass seine Ordner Masken tragen mussten.

Das Mantra von Liebe und Frieden

„Hier ist ja nicht viel los. Es sind ja nicht mal 2800 Menschen hier, also besteht kein Risiko“, lautete seine Begründung am Samstagabend, mit der er sich selbst widersprach. Gebetsmühlenartig wiederholte er das Mantra seines Ansinnens: „Kommt und steht mit uns für Liebe, Wahrheit, Gleichheit, Einigkeit und Frieden.“

Bild 7: „Es geht nicht darum, Recht zu haben“: Ein Plädoyer für Annäherung von Querdenkern und Gegendemonstranten und gegen Diskriminierung
Bild: Andreas Schuler

Einige Menschen, die sich zur Fraktion der Querdenker zählen, verspielten mit ihren Auftritten jegliche Glaubwürdigkeit. Da wurde laut und aggressiv ins Mikrofon geschrien, Angela Merkel aufs Übelste beschimpft und Personen mit Masken, die der Veranstaltung beiwohnten, als dumme Gefolgschaft der Regierung und ahnungslose Blinde abgekanzelt. Und wenn mit Robert Franz ein Mann im Steinzeit-Kostüm auftritt und Werbung für sein Produkt machen darf, das angeblich gegen Corona helfen soll, wirkt das auf Außenstehende eher verstörend bis absurd.

Zu Spannungen kam es zwischen Antifa und Polizei.
Zu Spannungen kam es zwischen Antifa und Polizei. | Bild: Timm Lechler

Und noch einmal Jochen Cornelius-Bundschuh. Auf die Frage, ob sich Corna-Skeptiker oder Leugner mit wissenschaftlichen Argumenten überzeugen ließen, antwortete er so: „Ich würde jetzt nicht einfach mit Nein antworten. Denn das würde ja heißen, dass wir diese Menschen aufgeben. Wir aber geben niemanden auf. Das Gespräch mit ihnen ist zwar schwierig, aber es ist möglich. Das sollten wir suchen, damit wir schnell wieder den Eindruck haben, dass wir zusammen unterwegs sind.“