
„Hilfe, Hilfe!“, ruft ein junger Mann kläglich. Er sitzt eingeklemmt in einem Flugzeug und spürt seine Beine nicht mehr. Die Frau neben ihm jammert laut: „Aua, aaah!“ Sie hat Schmerzen in Arm und Nacken. Die Rufe dringen aus dem Inneren von zwei Kleinflugzeugen, die auf dem Konstanzer Verkehrslandeplatz zusammengestoßen sind.
Die vier Insassen müssen gerettet werden, doch Kerosin tritt aus den Maschinen aus. Eine weitere Frau ist sogar bewusstlos, ihr Kopf hängt zur Seite. So stellt sich das Szenario dar, das mehrere Blaulichtorganisationen am Dienstagabend, 18. Juni, gemeinsam üben. Dabei sollen sie nicht nur ihre Zusammenarbeit festigen, sondern auch einiges über Flugzeuge lernen.

„In der rettungsdienstlichen oder notärztlichen Ausbildung werden Unfälle mit Flugfahrzeugen leider kaum berücksichtigt, auch wenn diese Gefährte einige Besonderheiten bieten“, sagt Thorsten Keiloweit, Leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Konstanz.
Er hat die Übung gemeinsam mit Thomas Schmidt, Abteilungsleiter Aus- und Fortbildung beim Feuerwehramt Konstanz, und Notfallsanitäterin Sabine Hartauer von den Maltesern Bodensee konzipiert.
Die Schwierigkeit liegt darin, dass es viele unterschiedliche Flugzeugtypen gibt. „Manche haben den Tank im Rumpf, andere in den Tragflächen“, erklärt Jan Schumacher, einer der beiden Flugleiter im Konstanzer Tower. „Der Feuerwehr muss klar sein, wo der Kraftstoff herkommt, wenn die Maschine heiß ist. Manche Flugzeugtypen brennen wie Zunder, andere gar nicht.“
Seine Kollegin Minky Schweizer nennt eine andere Unwägbarkeit: „Die Rettungskräfte sollten wissen, wo sie sich im Flugzeug nicht festhalten sollten, wenn sie Personen bergen. Denn es könnte sein, dass sie aus Versehen den Griff zum Auslösen des Rettungsfallschirms erwischen, der ihnen dann um die Ohren fliegt.“

18.29 Uhr: Es ist so weit. Minky Schweizer bemerkt die Flugzeugkollision und ruft die Leitstelle an. Bald kommen Feuerwehr und Rotes Kreuz zum Unfallort, parken ihre Fahrzeuge aber mit Sicherheitsabstand. Die Hilfe-Rufe werden immer durchdringender, erste Rettungskräfte nähern sich vorsichtig den Flugzeugen.
Nach einer ersten kurzen Sichtung der Lage entfernen sie sich aber wieder. Später werden die Opfer-Schauspieler sagen, dass dies ein befremdliches Gefühl war. Doch das Vorgehen hat seinen Sinn: Die Helfer haben gesehen, dass doch kein Kerosin austritt und wer von den vier Insassen am dringendsten Hilfe braucht.
Dann läuft vieles parallel: Die Feuerwehr rollt Schläuche aus, der Rettungsdienst birgt die Verletzten nacheinander. Die Bewusstlose spielt ihre Rolle gut, sie gibt keinen Mucks von sich. Sie bekommt einen Zugang gelegt, ihre Klamotten werden aufgeschnitten. Wusste sie das vorher? „Natürlich“, sagt Thorsten Keiloweit und ergänzt lachend: „Bei diesen Temperaturen ist sie sicher auch ganz dankbar dafür.“

Die vier Patienten, alle junge DLRG-Mitglieder, fordern die Helfer ganz schön. Hier tut das Bein weh, dort der Arm und bei einem Insassen muss sogar – im Spiel – das Flugzeug aufgeschnitten werden, um die eingeklemmten Beine zu befreien. Überall wird Blutdruck gemessen, nach dem Befinden gefragt, umgelagert. Auf Zuruf helfen auch Feuerwehrleute bei Sanitäteraufgaben. Nicht alles läuft reibungslos, an vielen Stellen scheinen helfende Hände zu fehlen.

Die Patienten können wieder lachen
19.03 Uhr: Plötzlich ertönt eine laute Sirene. „Übungsende!“, hallt es über die Wiese. Das Gewusel löst sich auf, die Opfer-Darsteller legen Verband und Schläuche ab. Wie war‘s? „In der ersten Phase habe ich mich ein bisschen verlassen gefühlt. Ich bin selbst bei der DLRG und kenne gefährliche Situationen. Es war gut, das mal aus der anderen Perspektive erlebt zu haben“, sagt Vanessa Tröger.

Auch die anderen Rettungskräfte ziehen Bilanz. Tobias Oser, Einsatzleiter bei der Konstanzer Feuerwehr, ist zufrieden. „Wäre wirklich Kerosin ausgelaufen, hätten wir bei diesen Temperaturen präventiv einen Schaumteppich ausgelegt“, erklärt er dem Rettungsdienst. Doch die Übung war bewusst so angelegt, dass weder Feuer noch Rauch im Spiel sein sollten, um nicht unnötig Aufsehen zu erregen.
Eine Anmerkung hat Tobias Oser noch: „Mir fehlte die Absprache mit dem Rettungsdienst, welcher Patient wann gerettet wird und wo wir sie ablegen.“ Notarzt Marius Lischka stimmt zu: „Wir waren definitiv zu wenig Rettungskräfte. Ich hatte zwei weitere Wagen mit Besatzung angefordert, aber es kam nur noch ein Notarzt.“

Das lag daran, dass die Malteser eigentlich auch in die Übung eingebunden sein sollten. Doch kurz vor Beginn hatten sie einen echten Einsatz – und die Kräfte am Flugplatz müssen mit dem nicht unrealistischen Szenario fertig werden, dass sie unterbesetzt sind.
Der ehrenamtliche Sanitäter Márton Krolopp ist trotzdem froh, dass er dabei war: „Man hat deutlich gemerkt, dass Rettungswagen und Leute fehlten, außerdem ist unser Wagen nicht auf Intensivmedizin ausgelegt. Aber es hat Spaß gemacht!“

Auch Thorsten Keiloweit und Patrick Nicolaus, Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Konstanz, ziehen ein positives Fazit der Übung. Am Ende stärken sich alle mit Wurst und Wir-Gefühl. Und die Konstanzer dürfen die Gewissheit haben, dass sie im Ernstfall in geübten Händen sind.