Nach jetzigem Stand hatte die Oberbürgermeister-Wahl 2012 jener in diesem Jahr etwas voraus: Bewerberinnen. Was fast schon in Vergessenheit geraten ist: Im ersten Wahlgang erhielt vor acht Jahren nicht der jetzige Amtsinhaber die meisten Stimmen, sondern Sabine Reiser.

Burchardt überholte im zweiten Wahlgang
Auf Platz drei folgte Sabine Seeliger. Erst bei der Neuwahl setzte sich Uli Burchardt mit 39,1 Prozent durch (Reiser: 31,9 Prozent; Seeliger: 27,6 Prozent).
Und 2020? Sind es mit derzeit fünf zwar insgesamt deutlich weniger Kandidaten als die damaligen 13. Sollte sich bis Ende August aber nicht noch eine Bewerberin aus der Deckung trauen, wird das ein sehr männlich dominiertes Wahlkampf-Finale.
Etliche Konstanzer Spitzenpositionen mit Frauen besetzt
Auf den ersten Blick passt das nicht zur sonstigen Besetzung von Führungspositionen in Konstanz: Insa Pijanka an der Spitze der Südwestdeutschen Philharmonie, Karin Becker als neue Intendantin des Theaters, an der HTWG übernimmt Sabine Rein als Präsident, bis zuletzt war Kerstin Krieglstein noch Rektorin der Universität. Dazu Ruth Bader als Chefin des Bodenseeforums.
Warum also nicht auch eine Oberbürgermeisterin, warum nicht wenigstens eine Bewerberin? „Es ist natürlich kein schönes Zeichen, dass sich offenbar keine einzige Frau berufen oder qualifiziert fühlt“, sagt Tanja Rebmann.

Sie sitzt nicht nur für die SPD im Gemeinderat. Rebmann studierte zudem bis kürzlich Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Uni Konstanz und hat sich für ihren Abschluss mit dem Thema Weiblichkeit in der Kommunalpolitik auseinandergesetzt.
Warum so wenige Frauen in der Kommunalpolitik?
Dass Frauen dort fehlten, habe drei aufeinander aufbauende Gründe: Erstens engagierten sie sich von sich aus schon weniger in diesem Bereich. Zweitens berücksichtigte ein Teil der Parteien sie seltener für ihre Listen.
Drittens erhielten sie selbst bei aussichtsreichen Platzierungen auch noch weniger Stimmen als Männer. „Meine Arbeit hat das zwar nicht endgültig wissenschaftlich belegt, möglicherweise hätte es dafür noch mehr Daten benötigt“, sagt Rebmann, „aber es gibt klare Anzeichen, dass das so zutrifft.“
Noch immer herrscht das klassische Hausfrauenbild
Mögliche Ursachen sind bekannt und soziologisch belegt. Noch immer bestehen klare Rollenbilder, mit denen auch eine Mehrheit der nachrückenden Generation groß geworden sind: Für Mädchen ist es schick, Konflikte zu vermeiden, eher zurückhaltend zu sein.
Jungen wird dagegen Durchsetzungsfähigkeit und Machtstreben antrainiert. Überspitzt gesagt: Frauen sollen ihren Männern für deren Karriere den Rücken freihalten – das klassische Hausfrauen-Modell.
„Wer das so gelernt hat, dem fehlt womöglich schon die Idee, überhaupt eine politische Karriere anzustreben“, sagt Tanja Rebmann. „Wer daraus ausbricht, erst recht mit Kindern, gilt schnell als Rabenmutter, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist“, ergänzt die Politikwissenschaftlerin.
Nur bei sieben Prozent Bürgermeisterin gewählt
Mit Blick auf von der Bevölkerung gewählte (Ober)bürgermeisterinnen, braucht es zur Bestätigung dieser Annahmen gar keine tief gehende Wissenschaft. Es reicht eine Auswertung von knapp 1100 Wahlen durch das Statistische Landesamt, die zwischen 2010 bis 2017 in Baden-Württemberg stattfanden: Bei nur 79 (7,3 Prozent) wurde eine Frau gewählt. Eine hässliche Quote, die lediglich davon geschönt wird, dass auch nur bei 247 Wahlen Frauen antraten.
Baden-Württemberg Schlusslicht bei Frauenanteil
Bestätigen kann dies die Forschung von Vincenz Huzel. Der Politikwissenschaftler arbeitet für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und hat zur Entwicklung des Bürgermeisteramts in Baden-Württemberg promoviert. „Im Bundesvergleich ist die Frauenquote hier am niedrigsten“, sagt Huzel.

Auch kaum Kandidatinnen
Seine Analyse von rund 1100 Wahlen zeigt: Unter circa 2700 Kandidaten waren nur rund acht Prozent weiblich. Ein Grund: In den meisten Bundesländer nominierten Parteien einen Bürgermeister. „Der Frauen-Quotendruck einiger Parteien wirkt sich dann auch auf das Amt des Bürgermeisters in diesen Ländern aus“, sagt Vincenz Huzel.
In Baden-Württemberg setzt man dagegen historisch auf externe Verwaltungswissenschaftler an der Stadtspitze – sie sollen möglichst neutral und fachlich ausgebildet die Geschicke leiten. Da helfe es auch wenig, dass es an den beiden Verwaltungshochschulen Ludwigsburg und Kehl mittlerweile deutlich mehr Absolventinnen als Absolventen gebe. Vinzenz Huzel: „Viele von ihnen streben eher eine klassische Beamtenlaufbahn an, weil sie dort Familie und Beruf vereinbaren können.“
Frauen erfolgreicher bei Abwahlen von Amtsinhabern
Ein kleiner Lichtblick: Die Kandidatinnen-Zahl steigt. Zwischen 2014 und 2017 trat bei 25 Prozent der Wahlen auch eine Frau an, zuvor lag die Quote meist unter 20 Prozent. Und: Wenn sie denn antreten, werden sie laut Huzel, entgegen der landläufigen Annahme und der Thesen von Tanja Rebmann für Gemeinderatswahlen, auch nicht seltener gewählt.
Ein weiteres, für die Konstanzer OB-Wahl interessantes Ergebnis seiner Forschung: „Wenn es zu einer Abwahl des Amtsinhabers kommt, haben Frauen eher Erfolg als Männer.“ Gleichzeitig würden sie auch häufiger selbst abgewählt.
Mehr Michaels und Thomasse als Frauen im Amt
Noch zeigt der Blick auf die Amtsinhaber in 1100 Gemeinden in Baden-Württemberg aber: Ende 2019 gab es mehr Bürgermeister namens Michael (52) und Thomas (50) als Frauen (84). Mit einem Michael und Thomas als Kandidat kann Konstanz dann wiederum ebenso wenig dienen wie mit einer weiblichen Bewerberin.