Das Gefühl hat etwas von einer Welle. Es ist kurz vor 18 Uhr an diesem Samstagabend, und die Gewinner der Backstage-Verlosung des SÜDKURIER betreten die Bühne des Bodenseestadions für ein Foto. Womit niemand rechnet, ist die Reaktion der etwa 25.000 Besucher, die sich sofort lautstark bemerkbar machen.
Sie applaudieren, rufen und am liebsten wollen sie, dass Die Ärzte schon jetzt mit dem Konzert beginnen. Was die Backstage-Gruppe erlebt, ist ein kleiner Vorgeschmack vom erhofften Dialog zwischen der Band und den Fans. Er reicht für die Ahnung für die Wogen der Emotion, die von einem Live-Konzert ausgehen können.
Die Stimmung hat einiges mit dem Vorlauf zu tun. Bereits um 14 Uhr haben die Parkplatzanweiser beim Flugplatz gut zu tun. Wer mit dem Auto zum Konzert nach Konstanz reist, fährt von hier zumeist mit dem Bus weiter in die Stadt, manche machen sich zu Fuß auf in Richtung Innenstadt.

Hier geht‘s zu wie in besten Vor-Corona-Zeiten, schon an der alten Rheinbrücke haben die Verkehrskadetten gut zu tun. Das Kinderfest im Stadtgarten trägt mit zum Trubel bei, aber etliche Ärzte-Fans lassen sich unschwer an ihren bedruckten T-Shirts erkennen.
Tausende Menschen auf dem Weg Richtung Hörnle
Am Nachmittag setzt dann eine veritable Prozession in Richtung Hörnle ein, und das Wetter dafür ist ideal. Der befürchtete Regen bleibt aus, die Abkühlung macht den Spaziergang zum Vergnügen. Dazu tragen bald die Angebote am Wegesrand bei.
Petra und Simon Wild beispielsweise wollen zwei Karten los werden. Ursprünglich wollten sie als Familie zum Konzert, doch weil ihre beiden Kinder erkrankt sind, wollen sie nun die überzähligen Karten höchstbietend verkaufen.

Es handelt sich um Schnäppchen: Über 70 Euro kostet das Billett im Vorverkauf, hier wären sie jetzt für 50, bei einigem Geschick vermutlich sogar für 30 Euro zu haben. Pech, dass die Passanten alle gut versorgt sind.
Marcel Strauß ist einer von denen, die noch keine Eintrittskarte haben. Er steht an der sich bereits um 16 Uhr bildenden Schlange am Haupteingang in Richtung Bodenseestadion. Zehn Euro will er zahlen, mehr ist für ihn nicht drin. Ihm wird ein Ticket für 30 Euro angeboten, dann für 20, schließlich für 15 Euro.
Aber der 42-Jährige bleibt stur: Zehn Euro – wenn‘s mehr kostet, geht er eben wieder nach Hause. Die Hartnäckigkeit des Marcel Strauß zahlt sich wohl aus, denn nur zehn Minuten später ist von ihm beim nochmaligen Passieren des Standorts nichts mehr zu sehen.
Sicherheit geht vor – die Besucher verstehen das
Unwahrscheinlich aber, dass er sich bereits auf dem Konzertgelände befindet. Denn die Kontrollen sind streng, sehr streng. Jeder wird abgetastet, Rucksäcke und Taschen werden inspiziert, und steckt da nicht etwas unter der Kappe? Trotzdem herrscht gute Laune.
„Den musst Du ganz genau kontrollieren“, ruft einer der Security-Kräfte scherzhaft seinem Kollegen zu, „der gehört zur älteren Generation und das sind die Schlimmsten.“ Prompt lässt einer der Wartenden (ebenfalls ein älteres Semester) eine Ärzte-Song-Phrase fallen: „Wie der wieder aussieht...“
Man hat‘s locker, weil Sicherheit eben vorgeht und dies von den Besuchern dem Augenschein nach akzeptiert wird. Eine Frau beispielsweise darf eine Flasche mit alkoholfreien Radler nicht mit aufs Konzertgelände mitnehmen und muss sie jetzt irgendwie los werden. Ein Passant jenseits der Absperrung nimmt das Geschenk schließlich an und bietet ihr dafür eine Packung Cracker. Überall herrscht gute Laune, kein Stress nirgends.
Vom Enfant terrible zum Establishment
Die Welt, sie hat sich eben geändert, und mit ihr die Wahrnehmung der Ärzte. Zwischen Enfant terrible und Establishment trennen sie ungefähr drei Jahrzehnte, was Daniel Damiani wie kein anderer weiß. Sein Vater war eher der Typ für die Oper und als der Sohn in den 1980ern Die Ärzte zu seinen Helden macht, herrscht erst einmal Irritation.
Sie hat sich gelegt, und heute wäre sein Vater laut Daniel Damiani selbst gern mit auf das Ärzte-Konzert gekommen. Diese Art des Verständnisses für diverse musikalische Geschmacksrichtungen überträgt sich in seiner Familie inzwischen übrigens auf die nächste Generation. „Ich hab ja auch erst einmal schlucken müssen, als meine Tochter von Tokio Hotel geschwärmt hat“, räumt der Ärzte-Fan ein.
Die Ärzte und ihr Punk – sie gehören zur Familie und stabilisieren offensichtlich zudem die Gesellschaft. Während der Backstage-Tour entdeckt Jeanette Spiekermann unter den Security-Leuten einen ihrer ehemaligen Schüler. Giovanni Sia ist 23 Jahre jung und hat nur gute Erinnerungen an seine frühere Englisch-Lehrerin an der Johann-Peter-Hebel-Schule in Singen. Bis heute teilen sie den gleichen Musikgeschmack: Die Ärzte.

Für Leonie Braun sind sie sowieso die größten. In der Konzertkombination mit den Toten Hosen vor einer Woche ist für sie der Samstagabend das „Finale eines richtig schönen Sommers“.
Einen Wunsch allerdings äußert sie dann doch bei der Backstage-Tour an die beiden Veranstalter Dieter Bös und Xhavit Hyseni. Alle guten Ding sind schließlich drei, weshalb sie scherzhaft fürs nächste Wochenende noch mal was Punkiges vorschlägt. Doch da winken die beiden Männer ab – zwei Mal hintereinander muss reichen.