Liebe Ärzte,

bei eurem Auftritt am Samstagabend im Konstanzer Bodenseestadion werdet ihr manchen Fan enttäuschen. Einer euer größten Hits nämlich, „Elke“, steht nicht auf eurem Programm, weil er frauenfeindlich ist und Menschen mit Übergewicht diskriminiert. Das sage nicht ich, das sagt ihr selbst, beziehungsweise euer Bandmitglied Farin Urlaub.

Wer gerade in der Debatte um Winnetou und kulturelle Aneignung seinen Empörungsmotor so richtig schön auf Touren gebracht hat, muss das als vorauseilenden Gehorsam gegenüber einer Verbotskultur verstehen.

Heulen jetzt also selbst Punkmusiker mit den Wölfen? Als nächstes werfen sich noch die bösen Jungs von Rammstein vor den politisch Superkorrekten in den Staub!

Stimmt aber alles gar nicht, das Gegenteil ist richtig. Denn „Elke“ haben „Die Ärzte“ bereits vor zehn Jahren aus ihrem Repertoire genommen. Und zwar ganz ohne öffentliche Selbstbeweihräucherung. In einem Interview sagte Farin Urlaub damals: „Wir haben keine Lust mehr drauf, das schockt nicht mehr.“ Und fügte sinngemäß hinzu, dass eben nicht jedes Lied ewig haltbar ist. Diese Einsicht würde man manchem Künstler wünschen, übrigens auch in der Hochkultur.

Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González sind „Die Ärzte“. Ihre aktuelle Tournee führt die Kultband heute nach Konstanz. ...
Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González sind „Die Ärzte“. Ihre aktuelle Tournee führt die Kultband heute nach Konstanz. Dass der Hit „Elke“ auf ihren Konzerten nicht zu hören ist, war in dieser Woche Gesprächsstoff in sogenannten sozialen Netzwerken. Bild: dpa | Bild: Axel Heimken

Liebe Ärzte, als ihr „Elke“ das letzte Mal live gespielt habt, war das Wort „Fatshaming“ noch gar nicht erfunden. Einfach aus eigener Überzeugung dem Publikum einen außerordentlich populären Song verweigern, zu einer Zeit, in der es dafür statt Verständnis nur Wut und Enttäuschung gibt: Das ist alles andere als Opportunismus. Es ist vielmehr alles, was eine gute Punk-Band auszeichnet.

Frühzeitig erkennen, wo Rebellion in Konformismus umschlägt. Bereit sein, das Spießertum bei sich selbst zu entdecken. Und am Ende daraus die richtigen Schlüsse ziehen, und zwar solange man dafür noch Buhrufe erntet statt Schulterklopfen.

Das ist authentisch!

Es gibt im Internet eine Konzertaufzeichnung aus dem Jahr 2019. Da erklärt Schlagzeuger Bela B. den wütend pfeifenden Fans so geduldig wie kompromisslos: „Nein, wir werden Elke heute nicht mehr spielen!“ Worauf ihm Bandkollege Farin Urlaub zur Seite springt. „Habt ihr schon mal das Wort Authentizität gehört? Jeder will eine Band, die so richtig authentisch ist. Das passt aber nicht dazu, dass eine Band eine lebende Jukebox darstellt!“

Niemandem wird was verboten, keiner wird verurteilt. Drei Jungs wollen ein Lied nicht mehr spielen, das ist alles.

Mancher, der sich früher mal als Punker verstand, hält inzwischen jungen Rappern wohlfeile Moralpredigten, säuselt brave Schlager über ‚Tage wie diese‘ und wundert sich, wenn so was dann auf CDU-Parteitagen läuft. Euch, liebe „Ärzte“, kann das nicht passieren: weil ihr noch eine echte Punkband seid. Und keine Jukebox.