Das Urteil wird am Montag gegen 13.30 Uhr gesprochen, aber die erste Strafe verhängt Richterin Melina Michalski schon zwei Stunden zuvor – und sie trifft ausgerechnet den Eigentümer des Gebäudes, das im Juli besetzt wurde. Der Mann sollte als Zeuge aussagen, doch er folgte der Ladung des Gerichts nicht. Nun muss er ein Ordnungsgeld von 100 Euro bezahlen. Tut er es nicht, droht ihm eine dreitägige Ordnungshaft.

Es ist eine von etlichen pikanten Noten eines Prozesses, in dem es neben der juristischen Bewertung in hohem Maße um die soziale Verhältnisse in Konstanz und deren politische Wertung geht. Mit dem unentschuldigten Fernbleiben des Eigentümers stellt sich zwangsläufig die Frage nach dessen Absichten. Er beziehungsweise der ihm durch die Hausbesetzung vermeintlich entstandene Schaden ist der Hauptgrund für die Verhandlung, die man nach Darlegung der Verteidigung ohne gerichtliche Auseinandersetzung aus der Welt hätte schaffen können. Einer solchen Einigung aber habe sich der Eigentümer verweigert: Er bestand auf dem Prozess – hielt es dann aber nicht für nötig, seine Sicht der Dinge vor Gericht darzulegen.

So muss das Geschehen ohne die Aussage des Eigentümers rekonstruiert werden. Vor Gericht ergibt sich dabei aus den Protokollen und Aussagen von Polizisten, dass die Hausbesetzung im Zusammenhang mit einer Demonstration für bezahlbaren Wohnraum stand. Die Zahl der Hausbesetzer lässt sich mit etwa 50 nur ungefähr beziffern, bei der Räumung des Gebäudes in der Markgrafenstraße wurden die Personalien von 14 Personen festgestellt. Zwei von ihnen mussten sich jetzt vor dem Amtsgericht wegen Hausfriedensbruchs verantworten: Ein 25-Jähriger Student, der inzwischen seinen Studienort von Konstanz nach Leipzig verlagert hat, und ein 24-jähriger Auszubildender. Beide sind bisher weder polizeilich noch gerichtlich auffällig geworden.

Desolat und unbewohnbar: So wird das Haus in der Markgrafenstraße von einem Polizisten im Verlauf des Hausbesetzer-Prozesses bezeichnet.
Desolat und unbewohnbar: So wird das Haus in der Markgrafenstraße von einem Polizisten im Verlauf des Hausbesetzer-Prozesses bezeichnet. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Unklar ist dabei, inwieweit die beiden an dem Geschehen beteiligt waren. Der Student beispielsweise will nach Darlegung seines Verteidigers Gerhard Zahner mehr Zaungast als Aktivist gewesen sein, der im Zuge der polizeilichen Räumung eher zufällig in den dritten Stock des Hauses geriet. Und Christoph Nix, der den Auszubildenden vertrat, machte für seinen Mandanten die Ungenauigkeiten etwa bei der Aufnahme der Personalien im Rahmen Räumung geltend und bezweifelte insgesamt den Tatbestand des Hausfriedensbruchs. Begründung: Das seit Jahren leer stehende Gebäude, das sich nach Aussage eines Polizisten in einem desolaten und nicht bewohnbaren Zustand befunden hat, sei zumindest vom hinteren Bereich aus frei zugänglich gewesen.

Verteidigung hält Verwarnung für ausreichend

Für die beiden Angeklagten spricht ferner, dass die Hausbesetzung samt der polizeilicher Räumung friedlich verlief – es gab keinen Widerstand, keine Beleidigungen. Nach Darstellung der beiden Verteidiger liegt der Hausbesetzung ein zutiefst ethisches Motiv zugrunde, womit auf die Missstände in der Wohnungspolitik hingewiesen werden sollte. Das Verhalten seines Mandanten sei vielleicht nicht besonders schlau gewesen, argumentierte Gerhard Zahner, doch dass ändere nichts daran, dass man es „mit wunderbaren jungen und engagierten Menschen“ zu tun habe. „Wir müssen nicht immer zum schärfsten Schwert greifen“, so sein Appell, das Gericht sollte es bei einer Verwarnung belassen.

Draußen vor der Tür: Oberbürgermeister Uli Burchardt wird im Hausbesetzer-Prozess gehört, muss allerdings lange warten, bis er an die ...
Draußen vor der Tür: Oberbürgermeister Uli Burchardt wird im Hausbesetzer-Prozess gehört, muss allerdings lange warten, bis er an die Reihe kommt. | Bild: Olli Hanser

Um die politische Dimension des Falls zu verdeutlichen, wurde von der Verteidigung übrigens kein geringerer als Oberbürgermeister Uli Burchardt in den Zeugenstand gerufen. Er schilderte seine Bemühungen um einen Dialog mit den Hausbesetzern, was „mäßig funktioniert“ habe. Er habe ein „paar Vernünftige“ angetroffen und trotz des Verständnisses für den Unmut seine Ablehnung der Hausbesetzung als Mittel der Auseinandersetzung verdeutlicht. Der OB räumte bei der Befragung durch Christoph Nix und Gerhard Zahner ein, dass es in Konstanz ein Wohnungsproblem gebe – beim Begriff der Not hält er jedoch eine Differenzierung für notwendig. Für Studenten beispielsweise sieht er die Wohnraumsituation insbesondere vor dem Hintergrund von Corona als relativ entspannt, schlimmer sei die Lage für junge Familien. Das in dieser Klarheit nicht ausformulierte Ziel der Befragung erreichte die Verteidigung mit der eindringlichen Befragung des Oberbürgermeisters: Es lag in der moralischen Würdigung der Absichten der Hausbesetzer.

Auf das Urteil wirkte sich dies allerdings nur bedingt aus. Staatsanwalt Lion Behar-Kremer orientierte sich an der juristischen Würdigung – und da steht für ihn der Tatbestand des Hausfriedensbruchs fest. Dem folgte im Grundsatz die Richterin, die die beiden Angeklagten in diesem Sinne für schuldig hielt. Sie blieb nur geringfügig unter dem geforderten Strafmaß des Staatsanwalts, der für die Angeklagten 50 Tagessätze zu 20 Euro (also 1000 Euro) beziehungsweise 50 Tagessätze zu 30 Euro (also 1500 Euro) forderte. Die Tagessätze orientieren sich dabei an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Angeklagten, die bei 750 beziehungsweise 950 Euro liegen.

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In der Begründung wies die Richterin darauf hin, dass selbst für ein zum Abbruch vorgesehenes Gebäude der Zugang nicht jedermann erlaubt sei. Sie erkenne zwar die hehre Absicht der Hausbesetzer, was jedoch nichts an der Straftat ändere. Die Ahndung bewege sich außerdem im unteren Bereich des Möglichen – prinzipiell kann im Fall des Hausfriedensbruch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Die Richterin ist deshalb überzeugt, dass das Urteil keine langfristigen Nachteile für die beiden Männer hat. „Ihrem Leben“, so wandte sie sich direkt an den Studenten und den Auszubildenden, „wird das nicht schaden.“