Eigentlich, so glaubt der Angeklagte, hatte er sich ganz gut im Griff. Immerhin waren seine vorherigen Straftaten deutlich schlimmer. Diesmal hat er doch „nur“ Fotos gemacht und heruntergeladen. Aber es waren Bilder von nackten Kindern.

Es ist 9.09 Uhr. Die Verhandlung am Landgericht Konstanz beginnt. Der Leitende Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth verliest die Anklageschrift. Demnach soll der 50-Jährige seiner Neigung nachgegeben haben, indem er sich kinderpornografische Schriften besorgte. Doch er hat sie sich nicht nur besorgt, sondern auch selbst einige Bilder gemacht – zum Beispiel im Strandbad Hörnle in Konstanz.

Badebetrieb am gut besuchten Konstanzer Hörnle. Hier schoss der Pädophile heimlich Fotos von Kindern.
Badebetrieb am gut besuchten Konstanzer Hörnle. Hier schoss der Pädophile heimlich Fotos von Kindern. | Bild: Eva Marie Stegmann | SK-Archiv

Es ist 10.51 Uhr, da ist die Staatsanwaltschaft gerade einmal mit dem Verlesen der Anklageschrift fertig. Warum es so lange gedauert hat? Roth sollte auf Wunsch des Vorsitzenden Richters Arno Hornstein ins Detail gehen. Sollte detailliert erklären, was auf den Bildern zu sehen ist. Es sind über 12.000 Fotos, einige Gifs (animierte Bilder) und Videos.

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Die Aufnahmen lassen sich nur schwer ertragen. Selbst wenn man sie nicht sieht. Die Schöffen, die Beisitzer und der Vorsitzende Richter kneifen die Augen zusammen, schütteln den Kopf, verschränken die Arme. Der Ekel ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Immer wieder betont der Staatsanwalt das Wort Fokus. Gemeint ist der Fokus der Kamera, die Stelle, auf die sich der Blick bei den Kindern richtet.

„Ja, ich bin definitiv pädophil!“

Als dem Angeklagten das Wort erteilt wird, gibt er ohne Umschweife zu: „Ja, ich bin definitiv pädophil!“ Richter Hornstein hakt ein. „Haben sie schon an Kastration gedacht?“ Der Mann nickt. „Ja, das habe ich mit meiner Ärztin durchgesprochen.“ Doch er habe sich dagegen entschieden. Eine medikamentöse Kastration würde den sexuellen Trieb unterbinden. Aber: „Die Gedanken wären noch da.“

Dass er falsch gehandelt hat, ist dem Angeklagten bewusst. Deshalb legt er ein Geständnis ab. Ja, er habe die Bilder gemacht. Er habe an jenem Tag im August 2021 seinen Drang nicht unter Kontrolle gehabt.

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Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft fotografierte er damals am Strandbad Hörnle Kinder. Ein dreijähriges Mädchen steht unbekleidet auf dem Gelände des Bades, hat eine Trinkflasche in der Hand. Der Mann greift zum Handy. Heimlich drückt er auf den Auslöser der Kamera. Die Tante des Kindes bemerkt das und spricht ihn an. Er wird nervös, fühlt sich ertappt, versucht zu fliehen, stolpert und wird von der Familie festgehalten. Die Polizei kommt. Sie beschlagnahmt das Smartphone.

Auf dem Handy befinden sich die Bilder, die vor Gericht als Beweis zählen. Auch an anderen Orten in Konstanz sind solche Bilder entstanden. Im Hintergrund der Aufnahmen sind das Konzil, die Seestraße und der Seerhein zu erkennen.

Angeklagter ist im ZfP untergebracht

Der Angeklagte lebt seit 2017 im Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP). Seit einem Urteil des Rottweiler Landgerichts wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener ist er dort untergebracht. Er geht zur Therapie. Doch scheinbar hat die mittlerweile dritte Behandlung dieser Art nichts gebracht, stellt Richter Hornstein fest.

Denn für Justitia ist der Mann kein Unbekannter. Bereits vier Eintragungen stehen für ihn im Bundeszentralregister: mehrfacher sexueller Missbrauch, Besitz, Weitergabe und Herstellung von kinderpornografischen Schriften. Viermal wurde er verurteilt. Zunächst zu Freiheitsstrafen auf Bewährung. Doch immer wieder gab er seiner Neigung nach. Schließlich musste er ins Gefängnis. Danach, so der Beschluss des Rottweiler Gerichts, in eine psychiatrische Einrichtung. So gelangte er ins ZfP.

Der Mann ist im geschlossenen Bereich des ZfP untergebracht, hatte am Tattag allerdings Ausgang.
Der Mann ist im geschlossenen Bereich des ZfP untergebracht, hatte am Tattag allerdings Ausgang. | Bild: Thomas Zoch

Dort lebt er also, als er sich am Tattag bei seinem von der Einrichtung ermöglichten Freigang entschließt, ans Hörnle zu gehen. Und dorthin bringt die Polizei ihn auch zurück.

Kurz darauf wird sein Zimmer durchsucht. Auf mehreren Smartphones, SD-Karten und sogar einer Festplatte eines E-Pianos finden Polizeibeamte über 12.000 Dateien mit kinderpornografischen Inhalten. Kaum zu fassen: Nur kurze Zeit nach der Tat am Hörnle und während schon gegen ihn ermittelt wird, lädt er sich Hunderte Dateien mit strafbaren Inhalten herunter.

Hier sieht der Angeklagte die Schuld nicht nur bei sich. „Ich bin nicht komplett allein verantwortlich, dass das stattfinden konnte“, sagt er. Einen Teil der Schuld schiebt er dem ZfP in die Schuhe. Die hätten schließlich einem anderen Patienten einen Laptop genehmigt. „Und in bestimmten Räumen ist Internet verfügbar.“

Er verheimlicht seinen gesteigerten Drang

So fragte er den Patienten, der ebenfalls pädophile Neigungen hat, ob er den Laptop für eine Internetrecherche nutzen könnte. „Ich hab mich hinreißen lassen und nach Bildern geschaut. Dann war ich wieder voll drin“, sagt der Angeklagte und betont, dass es ohne diese Möglichkeit nie zu dem zweiten Delikt gekommen wäre.

Seinem Therapeuten hatte er allerdings verheimlicht, dass sich die Neigung wieder verstärkt. Das macht der forensische Psychiater Stephan Bork, der vor Gericht als Sachverständiger aussagt, deutlich. „Er hat es bewusst nicht in der Therapie angesprochen“, sagt Bork. Denn er habe den Wunsch, bei seinen Therapeuten nicht anzuecken. „Er wollte die Therapie nicht stören, um seine Lockerungsschritte nicht zu gefährden“, formuliert es der Psychiater. Aber der Angeklagte sei sich voll bewusst gewesen, was er tut. „Er ist voll schuldfähig!“

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Für Staatsanwalt Roth liegt die Sache glasklar auf der Hand: Der Angeklagte ist ein voll verantwortlicher Wiederholungstäter. „Eine Freiheitsstrafe ist nach meiner Auffassung mit Händen zu greifen“, sagt er in seinem Plädoyer. Er fordert sechs Jahre.

Pflichtverteidiger Hanspeter Ross legt das Strafmaß ins Ermessen des Gerichts. Aber er gibt dem Richter einen Gedanken mit ins Beratungszimmer: „Mein Mandant ist auch ein Opfer. Er will nicht so sein.“ Das habe er bewiesen. Denn seine Straftaten seien mit der Zeit weniger schlimm geworden. Angefangen habe er immerhin mit sexuellem Missbrauch. Jetzt sei es nur noch die Herstellung und Beschaffung von Bildern.

Das letzte Wort hat der Angeklagte. „Ich will Kindern nichts Schlechtes antun“, sagt der Mann, der Kindern schon so viel Schlechtes angetan hat. Aber ein paar Jahre in Freiheit wolle er auch noch irgendwann leben.

Das Urteil ist bereits rechtskräftig

Doch darauf muss er noch warten. Viereinhalb Jahren Gefängnis, so lautet das Urteil des Schöffengerichts. „Es sind schlimme Dinge passiert. Es ist eine Sauerei, um es mal umgangssprachlich zu sagen. Das will keiner. Das muss bestraft werden“, begründet Richter Hornstein das Urteil. Aber auch der Richter sieht, dass die „Strafbarkeit der Taten einer andere Qualität“ hat. „Ich weiß nicht, was ich Ihnen raten soll“, wendet sich Hornstein an den Täter.

„Können Sie mit dem Urteil leben?“, fragt Staatsanwalt Roth. „Ja, kann ich“, antwortet der Verurteilte. „Ich auch“, erwidert Roth. Damit ist der Richterspruch rechtskräftig.