Jessi Weigelt und ihre Familie hatten kein Glück. Beim Losverfahren um die Vergabe der Saisonplätze auf dem Campingplatz Klausenhorn in Dingelsdorf haben sie den Kürzeren gezogen. Jessi Weigelt blickt über den Platz, auf dem sie einen Großteil ihrer Kindheit verbracht hat: „Dieser Ort hier hat so eine extreme Bedeutung für mich“, sagt die 18-Jährige, während ihre Mutter im Wohnwagen die Koffer und Kisten packt.
Es ist Dienstag dieser Woche. Der letzte Tag der Familie Weigelt auf dem Campingplatz. Nur noch einmal werden sie im Herbst zurückkommen, um ihren Wohnwagen abzuholen.
Am 29. Juni hatten Jessi Weigelts Familie und die anderen Dauercamper eine E-Mail erhalten. Darin teilte die Marketing und Tourismus Konstanz GmbH als Pächterin des Campingplatzes mit, dass infolge eines neuen Pachtvertrags nicht nur die Preise für Saisonplätze erhöht, sondern deren Anzahl auch reduziert werde. Verpächterin ist die Stadt Konstanz. Der SÜDKURIER berichtete Ende August über die neue Situation.
Die Dauercamper mussten sich um die verbliebenen Stellplätze bewerben, am Ende wurde per Los entschieden, wer den Zuschlag erhält. Der Ausgang der Auslosung wurde vergangene Woche mitgeteilt, auch per E-Mail. Für Jessi Weigelt war das Schreiben ein Schock: „Ich habe zwei Tage lang durchgeweint.“
Denn das Klausenhorn war für die 18-Jährige nie nur ein Campingplatz. „Meine Eltern sind schon vor meiner Geburt hierhergekommen. Unsere ganze freie Zeit haben wir wenn immer möglich hier verbracht“, sagt Jessi Weigelt, die mit ihren Eltern und den beiden jüngeren Geschwistern in Filderstadt bei Stuttgart in einem Haus ohne Garten wohnt.
„Ich kenne hier jede Straße, jedes Haus, jeden Baum“, sagt die 18-Jährige. Auch Dingelsdorf und die Stadt Konstanz seien für sie zur zweiten Heimat geworden. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum ihre Familie bisher jedes Jahr einen Campingplatz für die gesamte Saison von April bis Oktober gemietet hat. Jessi Weigelt leidet an einer chronischen Muskelerkrankung, die sich fortlaufend verschlechtert. Urlaube in fernen Ländern oder nur schon in Hotels irgendwo in Deutschland sind nicht möglich.
Auf dem Campingplatz hatte Jessi Weigelt trotz ihrer Krankheit ein Stück Freiheit
„Ich musste schon früher so oft ins Krankenhaus, dass es besser war, etwas Festes zu haben.“ Im Schnitt sei sie derzeit alle drei Tage auf medizinische Hilfe angewiesen. Doch am Bodensee habe sie trotz ihrer Krankheit ein Stück Freiheit gehabt: „Hier konnte ich Kraft und Lebensmut schöpfen.“

Jessi Weigelt ist es wichtig, zu betonen, dass nicht nur ihre Familie unter dem Verlust des Saisonplatzes leidet: „Aus unserem Freundeskreis auf dem Campingplatz haben die meisten wie wir eine Absage gekriegt.“ Darunter auch Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten mit ihrem Wohnwagen an den Bodensee kommen.
„Ich kann noch immer nicht durchschlafen, wache nachts mit einem Kloß im Hals auf“
Sie alle seien Teil einer Gemeinschaft gewesen, die zusammenhält, erzählt Jessi Weigelt. Das habe sich gezeigt, als ihre Mutter vor einiger Zeit an einem Gehirntumor litt. Während dieser schweren Zeit hätten die Camping-Freunde der Familie geholfen: „Als meine Mutter in der Klinik war, haben unsere Parzellennachbarn auf meine kleinen Geschwister aufgepasst, wenn mein Vater mit mir jeweils ins Krankenhaus musste.“

Auf SÜDKURIER-Anfrage bei der Pächterin des Campingplatzes, der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH, warum bei der Vergabe der Stellplätze auf ein Losverfahren gesetzt wurde und Härtefälle wie jener von Jessi Weigelt nicht gesondert betrachtet wurden, kommt folgende schriftliche Antwort: „Wir haben ein neutrales Losverfahren gewählt, um eine möglichst objektive, gerechte Entscheidung zu erhalten. Das Ergebnis behandelt dementsprechend alle Dauercamper gleich.“
Als wir Jessi Weigelt treffen, spricht sie immer in der Vergangenheitsform, erzählt, wie schön das Leben in der Camping-Gemeinschaft einst „war“. „Das ist wohl eine Art Schutzmechanismus“, sagt sie, als wir sie darauf ansprechen. Aber sie sei dennoch weit davon entfernt, das alles verarbeitet zu haben: „Ich kann noch immer nicht durchschlafen, wache nachts mit einem Kloß im Hals auf.“ Seit einigen Tagen gehe es ihr auch gesundheitlich viel schlechter.
Was die 18-Jährige vor allem wütend macht, ist der Umgang der Campingleitung und Pächterin mit ihrer Familie und den anderen. Nie sei das persönliche Gespräch gesucht worden. Sie und ihre Familie hätten auf ihre spezielle Situation verwiesen und erklärt, wie wichtig ein Verbleib auf dem Platz für sie sei. Aber darauf hätten sie nie eine Antwort erhalten.
„Mit zwei E-Mails ist eine komplette Gemeinschaft zerstört worden“
„In der E-Mail, in der uns mitgeteilt wurde, dass wir keinen Platz erhalten, wurden wir dann nicht einmal mehr mit unserem persönlichen Nachnamen angesprochen, sondern nur als ‚Sehr geehrter Bewerber‘“, sagt Jessi Weigelt. „Mit zwei E-Mails ist eine komplette Gemeinschaft zerstört worden. Ich finde es einfach schlimm, dass das den Verantwortlichen so egal ist.“ Sie wolle jetzt noch einen Brief an die Stadt Konstanz schreiben, sagt die 18-Jährige: „Ich will, dass die Stadt einfach weiß, was sie da angerichtet hat.“
Familie Weigelt hat inzwischen einen neuen Campingplatz in der Nähe von Tettnang für die kommende Saison gefunden: „Da haben wir in der letzten Woche unsere ganze Energie reingesteckt.“ Denn die Familie hat zwar einen Winterstellplatz, kann den Wohnwagen aber während des restlichen Jahres nirgendwo unterbringen. Zumindest dieses Problem ist jetzt gelöst. Aber der neue Platz sei nur eine Notlösung, betont Jessi Weigelt. Denn die Heimat und Gemeinschaft, die sie auf dem Campingplatz Klausenhorn gehabt habe, sei zerstört.