In Wollmatingen braut sich etwas zusammen. Jahrelang haben die Menschen in Konstanz‘ westlichstem Stadtteil die Veränderungen in ihrem Umfeld mehr oder weniger über sich ergehen lassen. Sie haben erlebt, wie ihnen die Sanierung der Durchgangsstraße versprochen wurde und das Projekt ins Stocken kam. Sie haben mitbekommen, dass im Rathaus Pläne gutgeheißen werden, die einem Verlust des historischen Ortskerns nahekommen.
Sie haben erfahren, dass ihr Stadtteil durch den Hafner doppelt so groß werden wird. Und stets hatten sie den Eindruck, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Ob das im Einzelfall stimmt, kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Wut und die Enttäuschung, die sich auf den Zuschauerbänken im Ratssaal Bahn gebrochen haben, die sind real.
Was ist also los in Wollmatingen?
Im Kern lassen sich dort wie unter einem Brennglas viele Themen bündeln, die auch die Gesamtstadt bewegen. Mit Steuergeldern einst errichtete Infrastruktur verkommt (Straßen) oder muss für horrende Summen saniert werden (Geschwister-Scholl-Schule). Wohnraum fehlt und muss irgendwo noch reingequetscht werden (Sozialwohnungen für die Ärmsten).
Der knappe Boden ist heiß umkämpft, und die Eingriffe der Stadt in den Markt (durch die städtebauliche Sanierungsmaßnahme) lassen Alteingesessene mit dem Gefühl zurück, übervorteilt worden zu sein. Und auch in Wollmatingen fühlen sich Vereine gegängelt, Eltern nicht gehört – die Reihe ließe sich fortsetzen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Wollmatingen viele Jahre lang nicht annähernd so um politisches Gehör bemüht hat wie etwa Allmannsdorf. Die Bürgergemeinschaft Fürstenberg-Wollmatingen scheint seit Jahren tatenlos brachzuliegen. Gemeinderatskandidaten aus Wollmatingen haben nicht genügend Stimmen erhalten oder nach einer einzigen Amtszeit wieder aufgehört – wie zuletzt Daniel Groß, der mit Sicherheit als starke Stimme für den Stadtteil wiedergewählt worden wäre. Vielleicht ist auch die Enttäuschung über diese Unsichtbarkeit einer der Gründe dafür, dass die Wollmatinger jetzt laut werden.
Wobei: Die Wollmatinger? Wer ist das eigentlich? Diejenigen, die zuletzt im Ratssaal die Forderungen nach einem Ortschafts- oder Bezirksbeirat und einer Außenstelle der Stadtverwaltung unterstützt haben, vertreten kaum den ganzen Stadtteil – zu dem gehören zum Beispiel auch junge Paare, Kindergartenkinder, Schüler, Studenten, Migranten. Über 1000 Unterschriften sind zweifellos ein Wort. Aber: Was über die Eingemeindung der damals selbstständigen Gemeinde Wollmatingen vor 90 Jahren zu Konstanz kam, umfasst auch Fürstenberg und das Industriegebiet – in dem Gebiet leben zusammen aktuell rund 20.000 Menschen.
Ist ein Ortschaftsrat die beste Idee?
Die andere Frage ist, wie eine sinnvolle politische Vertretung für diese Interessen aussehen könnte. Im Gemeinderat ist die Einigkeit ziemlich groß, dass die Wollmatinger zuletzt nicht gut mitgenommen worden seien. Diese Selbstkritik ehrt die Stadträtinnen und Stadträte, sie sollten aber auch ihre eigene Arbeit nicht indirekt kleinreden. Der Gemeinderat als zentrale Bürgervertretung hat ja ausdrücklich die Aufgabe, Interessen zum Beispiel aus bestimmten Quartieren oder Bevölkerungsteilen mit denen der Gesamtstadt und ihrer Gesamtbevölkerung abzuwägen. Und in dieser Gleichung hat Wollmatingen durchaus eine Rolle gespielt.
Ist in dieser Lage die Schaffung eines Ortschafts- oder Bezirksbeirats die beste Idee? Die Konstanzer Kernstadt in Stadtbezirke aufzuteilen, wäre die wohl massivste Veränderung für die Strukturen von Verwaltung und Politik der vergangenen 50 Jahre. Und es würde viel Geld kosten, denn auch andere Teilgebiete müssten mit einem Gremium, Bezirksvorsteherinnen, Verwaltungsräumlichkeiten und mehr ausgestattet werden. Einen Sonderweg für Wollmatingen kann – auch auf der Basis des vor 90 Jahren zweifellos erlittenen Unrechts – wohl niemand ernsthaft wollen.
Die CDU mit ihrer starken Verankerung in den Bodanrück-Teilorten bringt vor, dass dort die Ortsvorsteher und Ortschaftsräte einen großen Beitrag zur Bürgernähe und -beteiligung leisten. Stimmt, aber es gibt auch in Litzelstetten und Co. Menschen, die sich noch nicht dadurch beteiligt fühlen, dass sie alle fünf Jahre einen zusätzlichen Stimmzettel ausfüllen und jederzeit einer Ortschaftsratssitzung bewohnen dürfen.
Und: Auf dem Bodanrück haben sich die Strukturen seit den Eingemeindungen vor rund 50 Jahren etablieren können. In Wollmatingen würde man auf die Ansprüche des Jahres 2024 mit dem Instrumentarium der 1970er-Jahre antworten. Dass damit in einer zwischenzeitlich veränderten Gesellschaft ein ähnliches Gefühl von Teilhabe entstehen kann, ist nicht garantiert.
Vielleicht wäre es also besser, wenn sich Konstanz tatsächlich erst einmal ehrlich machen würde, wie viel Bürgerbeteiligung diese Stadt eigentlich will. Im Gemeinderat müsste es einen Konsens geben, wie viel Macht dieses demokratisch gewählte Gremium tatsächlich abzugeben bereit ist. Und in der Verwaltung braucht es Klarheit, wie viel Gegenwind man zu ertragen bereit ist, und, ob man wirklich Bürger in einem Stadium einbinden will, in dem sie noch etwas verhindern könnten.
Es geht also um Fragen wie: Wie ist die Stadt Konstanz verfasst, als gewachsene Einheit oder als Summe von vier, fünf oder sieben Stadtbezirken? Welche Rolle spielt der Gemeinderat? Welchen Raum sollen Einzelinteressen bekommen, wo und wie werden sie mit den Bedürfnissen der ganzen Stadt abgewogen? Die Antworten darauf kann das Fallbeispiel Wollmatingen liefern. Verwaltung und Gemeinderat sollten schon deshalb den Impuls von dort aufnehmen – und dann Fantasie entwickeln, am besten mit den Wollmatingern zusammen.