Tarek Salloukh sitzt ruhig neben einem jungen Asylbewerber im Bezirksgericht Kreuzlingen. Der Angeklagte aus Tunesien spricht kein Deutsch. Salloukh übersetzt die Aussagen des Bezirksrichters flüsternd ins Arabische und gibt die Antworten des Angeklagten auf Deutsch wieder. Hin und her, immer wieder. Ein inzwischen häufiges Bild für die Behörden.
Straftaten von Asylsuchenden aus den Maghreb-Staaten nahmen seit dem vergangenen Jahr im Thurgau stark zu. Kleinkriminelle, besonders aus Marokko, Tunesien oder Algerien, strapazieren mit den langen Listen ihrer Vergehen die Behörden. Genau das lässt bei Tarek Salloukh die Kasse klingeln. Der Konstanzer fungiert als Dolmetscher, vorwiegend für Asylkriminelle. Mittlerweile ist die Nachfrage für seine Dienste so hoch, dass er vom Übersetzen leben kann.
Der Lebenslauf des promovierten Soziologen ist lang. Das Dolmetschen ist neben Schauspielerei und Mitarbeit in der afrikanischen Entwicklungshilfe das jüngste Kapitel in seiner Laufbahn. Tarek Salloukh übersetzt nicht nur vor Gericht. Auch bei der Staatsanwaltschaft, für schriftliche Übersetzungen, bei der Kesb oder auf dem Standesamt wendet man sich seit rund fünfzehn Jahren an ihn – besonders bei arabischen Sprachbarrieren.
Sein Sprachrepertoire ist beeindruckend: „Ich spreche sechs Sprachen und übersetze vier davon.“ Während er früher an verschiedenen Universitäten als Dozent eingebunden war, hat die Lehrtätigkeit längst keinen Platz mehr. Salloukh wird mit Übersetzungsanfragen geradezu überschüttet, erhält mehr Aufträge, als er annehmen kann. „Ich habe interkulturelle Kommunikation unterrichtet und habe einen arabischen Namen. Wer in der Gegend einen Übersetzer sucht, landet schnell bei mir.“
Sein Arbeitsgebiet umfasst die deutschen Räume Konstanz-Singen sowie den Thurgau. Ins Bezirksgericht Kreuzlingen wird er häufig bestellt, ebenso ins Obergericht nach Frauenfeld. Inzwischen hat Salloukh rund hundert Kontakte, die ihn gelegentlich anrufen, um Rat fragen, oder zum Dolmetschen aufbieten. Manchmal mitten in der Nacht. Allein in der Schweiz hatte er als Dolmetscher schon über 1300 Einsätze.
Manche Kontakte sieht er nie wieder, anderen Klienten begegnet er mehrfach vor Gericht. Bei seiner Arbeit verhält er sich absolut neutral. „Manche meiner Klienten meinen, ich arbeite für die andere Seite, etwa für die Schweizer Polizei.“ Viele Asylsuchende erwarten, dass er ihnen als Verbündeter hilft. „‘Hilf mir, mein Bruder‘, höre ich oft. Aber nur weil ich Arabisch spreche, stehe ich nicht auf ihrer Seite. Das macht mich für viele zum Verräter.“
Argwohn und Missverständnisse
Auch beim Übersetzen ist er Argwohn gewohnt – teils von beiden Seiten. „Viele sind skeptisch, dass ich unbefangen übersetze. Schließlich können sie es nicht überprüfen.“ Sprachbarrieren bringen oft Missverständnisse mit sich. Tarek Salloukh muss bei seiner Arbeit alles andere ausblenden und die Ohren spitzen, um Aussagen richtig aufnehmen und übersetzt wiedergeben zu können. Er sagt: „Richter oder andere Personen, die nuscheln, sind eine große Herausforderung.“
Übersetzen – was heißt das eigentlich? „Meistens übersetze ich konsekutiv“, sagt Tarek Salloukh. Das bedeutet, dass er den Wortlaut der jeweiligen Person zeitlich verzögert übersetzt. Eins nach dem anderen. Anders als beim Simultandolmetschen, wofür er die Sätze so zeitgleich wie möglich übermitteln muss. Auch eine sinngemäße Übersetzung wäre möglich, doch: „Das finde ich ungeeignet. Sinngemäß bedeutet Interpretation und dabei gehen unter Umständen entscheidende Details verloren.“
Im Gerichtssaal soll er jeweils leise und flüsternd übersetzen. Simultanübersetzungen sind dafür ungeeignet, das wäre zu unruhig für alle Parteien. Der Satzbau ist im Arabischen anders als im Deutschen. Das sei besonders beim Simultandolmetschen schwierig. „Man muss manche Sätze zu Ende hören, bis etwa das entscheidende Verb kommt, um korrekt übersetzen zu können.“ Wenn jemand in zig Nebensätzen spricht, sei es noch schwieriger.
So oder so – Inhalte aus der Übersetzung zu erklären, ist nicht seine Aufgabe. „‘Können Sie ihm sagen, dass etwas so und so ist‘ – das gibt es bei mir nicht.“ Formulieren müssten die Beteiligten selber, er übersetze nur. Die Situation tritt spätestens dann auf, wenn es vor Gericht um Rechtsverständnis geht. „Viele Klienten haben ein anderes Rechtssystem und verstehen unsere Zusammenhänge nicht.“
Doch einige seiner Klienten sind Wiederholungstäter und kennen das System inzwischen. „Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Aber da kann ich auch nichts dafür“, sagt Salloukh. Er übersetzt das Gesagte grundsätzlich in der ersten Person, Beschimpfungen inklusive. „Ich übersetze Wort für Wort, auch wenn ich den Inhalt manchmal für mich ausblenden muss.“
Belastet es ihn, als Dolmetscher oft im Fadenkreuz zwischen Ausweglosigkeit und bürokratischem Rechtsstaat zu stehen? „Beschimpfungen oder implizite Drohungen höre ich oft. Manchmal muss ich sie übersetzen, manchmal sind sie gegen mich gerichtet.“ Die ernüchternde Erkenntnis daraus: „Als Dolmetscher bin ich angreifbar. Man ist ein Sündenbock, für beide Seiten.“
Hier kommt ihm seine Schauspielausbildung zugute. „Ich konzentriere mich aufs Hören, nicht auf die Emotionen.“ Er spricht meist ein Gemisch aus Hocharabisch und dem Dialekt seiner Heimat. Zu seinem eigenen Schutz. „Ich möchte nicht, dass alle meiner Klienten wissen, woher ich stamme.“ Man merke jedoch an seiner Art, dass er kein Nordafrikaner sein kann.
„Ich kann die Welt nicht retten“
Tarek Salloukh ist bei seiner Arbeit mit vielen negativen und belastenden Schicksalen konfrontiert. Viele Asylbewerber suchen Gehör und erzählen ihm von schier unglaublichen Erlebnissen. „Das muss ich ausblenden. Außerdem ist es nicht meine Sache, den Klienten ihre Geschichten zu glauben.“ Manchmal sei seine kopflastige Arbeit ein Balanceakt. „Ich darf meine Menschlichkeit nie zur Seite legen, aber die berufliche Professionalität muss in diesem Moment überwiegen“, sagt Salloukh, „ich kann die Welt nicht retten.“
Dennoch macht er sich Gedanken. Darüber, was in unserem System falsch läuft und darüber, was die Asylbewerber anders lösen müssen. „Am liebsten würde ich diesen Menschen die ganze Ungewissheit, den Rassismus und die Perspektivlosigkeit hier ersparen“, sagt Salloukh. Bei seiner Arbeit muss er keine Entscheidungen treffen. Würde er seiner Klientel aus Asylsuchenden trotzdem etwas raten? Tarek Salloukh sagt: „Wenn du nach erfolglosen Jahren in Europa die Chance auf Rückkehr in dein Heimatland hast, nutze sie.“
Autor Tobias Hug ist Reporter unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“.